EDA 9: Franz Schreker | Hans Krása | Pavel Haas | Bohuslav Martinů: Works for Chamber Orchestra
VI: Bohuslav Martinů – String Sextett arranged for String Orchestra by Martinů (1948) Bitte wählen Sie einen Titel, um hineinzuhören
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I: Franz Schreker – Intermezzo for String Orchestra op. 8
1 Intermezzo
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II: Franz Schreker – Scherzo for String Orchestra (c. 1900)I: Franz Schreker – Intermezzo for String Orchestra op. 8 1 Intermezzo 2 Scherzo
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III: Franz Schreker – Der Wind (1908–09)II: Franz Schreker – Scherzo for String Orchestra (c. 1900) 2 Scherzo 3 Der Wind
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IV: Hans Krása – Overture for Small Orchestra (1934/44)III: Franz Schreker – Der Wind (1908–09) 3 Der Wind 4 Overture
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V: Pavel Haas – Study for String Orchestra (1943)IV: Hans Krása – Overture for Small Orchestra (1934/44) 4 Overture 5 Study
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VI: Bohuslav Martinů – String Sextett arranged for String Orchestra by Martinů (1948)V: Pavel Haas – Study for String Orchestra (1943) 5 Study 6 Lento – Allegro poco moderato
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VI: Bohuslav Martinů – String Sextett arranged for String Orchestra by Martinů (1948) 6 Lento – Allegro poco moderato 7 Andantino – Allegretto scherzando
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VI: Bohuslav Martinů – String Sextett arranged for String Orchestra by Martinů (1948) 7 Andantino – Allegretto scherzando 8 Allegretto poco moderato
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VI: Bohuslav Martinů – String Sextett arranged for String Orchestra by Martinů (1948) 8 Allegretto poco moderato Franz Schreker, "einer unserer Ersten", wie Arnold Schönberg über seinen Kollegen schrieb, war auch einer der Ersten, die dem Nazi-Terror zum Opfer fielen. Als erfolgreichster Opernkomponist neben Richard Strauss (seine Opern Der Ferne Klang, Die Gezeichneten und Der Schatzgräber gehörten zu den meistgespielten Opern der 10er und 20er Jahre) wurde er 1920 von Wien nach Berlin als Direktor der Staatlichen Hochschule für Musik berufen, aus der er, wiederum sei Schönberg zitiert, "als sie ihre ausgezeichneten Traditionen zu verlieren drohte, eine ganz moderne Schule von allerhöchster Leistungsfähigkeit" geschaffen hatte. 1932 sah sich Schreker, dessen Vater jüdischer Abstammung war, zur Demission genötigt. Er war nicht bereit, die von nationalsozialistisch engagierten Kollegen geforderte Zurücksetzung jüdischer Lehrkräfte (darunter international renommierte Künstler wie Carl Flesch, Eduard Steuermann und Arthur Schnabel) zu betreiben. Das preußische Kulturministerium beugte sich dem Druck von rechts und ließ Schreker fallen. Eine irrwitzige Rassenideologie bemühte sich, Schreker und seine Zeitgenossen, darunter viele seiner Schüler (u. a. Ernst Křenek, Berthold Goldschmidt, Karol Rathaus und Alois Hába), aus der Kulturgeschichte auszuradieren. Als "Magnus Hirschfeld der Musik" etikettiert, rangierte er 1938 in der berühmt-berüchtigten Düsseldorfer Ausstellung "Entartete Musik" ganz vorne. Franz Schreker starb am 23. März 1934 im Alter von 56 Jahren in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls. Fast ein halbes Jahrhundert später markierte Hans Neuenfels' Inszenierung der Gezeichneten 1978 an der Frankfurter Oper unter der musikalischen Leitung von Michael Gielen den Beginn einer Wiederbesinnung auf das Werk des als Künstler und Mensch selber "gezeichneten" Schreker. Nach wie vor galt es, ideologische Vorbehalte zu überwinden. Zu den bürgerlichen und proletarischen Saubermännern, die sich gegen seine vermeintlichen "Produkte krankhaft-überspannter Erotik" ereiferten, gesellte sich nach dem Krieg der Apologet des Geistigen im "verbindlichen Kunstwerk", der das Sinnliche wie den Beelzebub aus der Musik auszutreiben gedachte. Schreker suchte keinen Rückhalt, wie Schönberg, in einer abstrakten Theorie des Komponierens mit "12 nur aufeinander bezogenen Tönen". Seine Musik wurzelt im mystischen Erleben des Klanges. Schreker, der mit Schönberg eng befreundet war und als Leiter des Wiener Philharmonischen Chores dessen Gurre-Lieder und das Oratorium Friede auf Erden uraufführte, stellt sich, mit heutigem Abstand gesehen, als dessen musikgeschichtliches Komplement dar. Schrekers "Ästhetik des Hörens", die der "Akroasis" der Harmoniker ebenso nahesteht wie der Natur- und Klangmystik der deutschen Romantik, ist in ihrer Tiefe bis heute nicht gewürdigt worden. In einer Gesellschaft, in der das Visuelle zunehmend dominiert, ist der im metaphysischen Sinne "hörende Mensch" Schrekers als Anregung zum Überdenken ästhetischer Positionen aktuell. Schrekers künstlerische Selbstfindung vollzog sich endgültig erst nach Beendigung seiner Studien am Wiener Konservatorium, in der kurzen Zeitspanne etwa zwischen 1900 und 1904. Das Kind dieser "Inkubationszeit", die Oper Der Ferne Klang, mit einiger Verspätung 1912 in Frankfurt am Main aus der Taufe gehoben, ließ Schreker gleichsam über Nacht zum neuen Stern am deutschen Opernhimmel avancieren. Was Schreker als ein "Besinnen auf mich selbst" bezeichnete, war in der Tat nichts anderes als die endgültige Lösung von den Zwängen des in Wien – naturgemäß – traditionsbeflissenen Lehr- und Konzertbetriebs. Als modern galten Brahms und Dvorák, an Wagner schieden sich die Geister, Bruckner bereitete Schwierigkeiten, Mahler wurde abgelehnt und von Debussy wusste man nichts bzw. wollte man nichts wissen. Die frühen Kompositionen Schrekers – zu denen die auf dieser CD vorgestellten Werke gehören – zeigen somit nicht nur die Wurzeln des eigenen Stils, sondern auch den Ausgangspunkt der großen, von Schönberg und Schreker selbst nach der Jahrhundertwende ausgelösten musikalischen Revolution in Wien. Während die Entstehungsgeschichte des Intermezzo relativ gut dokumentiert ist, weiß man über das Scherzo, das 1972 mit einem Teil des Schrekerschen Nachlasses an die Wiener Nationalbibliothek gelangte und erst vor kurzem für den Konzertgebrauch entdeckt wurde, so gut wie nichts. Nach stilistischen Gesichtspunkten, formalen Analogien, aber auch solchen der Handschrift, ist es vermutlich in unmittelbarer Nähe, vielleicht auch in Zusammenhang mit dem Intermezzo, also um 1900 entstanden. Es verrät einiges über Schrekers "Ursprünge", die sich – typisch für das österreichische Völker- und Kulturgemisch – in seinen familiären Zusammenhängen wiederspiegeln. Böhmisch-Musikantisches klingt an und verweist auf die Linie des Vaters, des k. u. k. Hofphotographen Ignaz Schrecker, der aus dem 80 Kilometer östlich von Prag gelegen Golc-Jenikau stammte, so im furiosen ersten Abschnitt in d-Moll oder im Mittelsatz des Trios (B-Teil in der parallelen Tonart F-Dur), in dem ein durch alle "Register" wanderndes zweitaktiges Thema von synkopierten Bordunquinten begleitet wird. Mahlersches Wunderhorn-Ambiente verbreitet der zweite, nach D-Dur aufgehellte Abschnitt des A-Teils, der eine breit angelegte, rhapsodische Steigerung erfährt, während uns das weit ausschwingende, sangliche Thema des Trios in mediterrane Gefilde zu entführen scheint; vielleicht eine Reminiszenz an die französische Riviera, an Monaco, wo Schreker 1878 geboren wurde, und dem er seine frühesten, glücklichen Kindheitserinnerungen verdankt. Der Weg von hier zum glutvollen Melos der Gezeichneten ist nicht mehr weit. Schreker krönt das formal einfach, aber wirkungsvoll gebaute Stück durch eine Coda, in der, aus einer Reprise des Trios ansetzend, die wichtigsten Themen bzw. musikalischen "Gesten" kontrapunktisch geschickt zusammengeführt werden. Im Auskosten farblicher Valeurs des eigentlich monochromen Streicherapparats, in der beeindruckenden Bandbreite dynamischer, klanglicher und agogischer Schattierungen erweist sich das Scherzo als kongeniales Schwesterstück zu dem auf das Jahr 1900 datierten Intermezzo op. 8, mit dem Schreker 1901 einen von der "Neuen musikalischen Presse" in Wien ausgeschriebenen Preis gewann. Das sinnige Motto, unter dem die Preisanwärter ihre Stücke einzureichen hatten, lautete: "Hoffnungslos weicht der Mensch der Götterstärke, müßig sieht er seine Werke und bewundernd untergehn." Dass der musikalische Gehalt der Schrekerschen Komposition mit dem des Mottos wenig korrespondiert (es entstand ja bereits im Vorjahr), scheint die Jury nicht gestört zu haben. 1902 wurde das Intermezzo mit großem Erfolg im Wiener Konzertverein unter der musikalischen Leitung von Ferdinand Loewe uraufgeführt. Schreker selbst erwähnt in einer autobiographischen Skizze, das Intermezzo später als neuen dritten Satz der Romantischen Suite (1902) eingefügt zu haben, wogegen aber Verschiedenes spricht. Das Intermezzo wirkt in seiner kammermusikalischen Streicherbesetzung neben den übrigen Sätzen der Romantischen Suite fehl am Platz. Durchaus möglich ist, wie Eckhardt van den Hoogen bemerkte, dass Schreker in den gut 15 Jahre später verfassten Erinnerungen das Intermezzo op. 8 mit einem Satz op. 7 für Orchester verwechselte, dessen Partitur in der Wiener Nationalbibliothek aufbewahrt wird und zu dem sich ebenda ein korrespondierendes, aber unvollständiges Orchestermaterial befindet, das auf dem Umschlag den Vermerk Romantische Suite trägt. Die stilistische Affinität und komplementäre Anlage von Scherzo und Intermezzo, der beiden einzigen Werke Schrekers für Streichorchester, legen ihre Koppelung für den Konzertgebrauch nahe; sie erweist sich, wie vorliegende Aufnahme erstmalig demonstriert, als musikalisch ausgesprochen reizvoll. Frank Harders-Wuthenow
"Sachte erhebt er sich, und die Blätter zittern leise, die jungen Bäume werden von ihm bewegt, sie müssen sich beugen! Junge Menschen tanzen vom Wind getrieben, getragen, sie glauben hinzufliegen mit ihm. Der Wind wird toller, er erfaßt die Zweige, die bebend auf und nieder wehen. Auch die Menschen werden von diesem Treiben mitgerissen, sie laufen in den Wind, lachen mit ihm, werfen sich ihm entgegen, ganz außer sich, dem Spiel der Winde hingegeben. Der Wind wird zum Sturm, ernst und gewaltig – die Menschen halten einander fest umschlungen, um gegen ihn anzukämpfen - alles ist Kampf. Der große starke Baum fällt. Der Sturm ist vorbei, nur leise zittern die Blätter." Mit diesen Worten beschrieb die Tänzerin Grete Wiesenthal im Programmheft der Wiener Uraufführung vom März 1910 ihre Choreographie zu Der Wind des jungen Franz Schreker. Zwei Jahre zuvor waren sich die beiden Künstler bei der Wiener "Kunstschau" begegnet, einer umfassenden Werkschau der Secessionskunst. Grete Wiesenthal war dort in einer Pantomime von Max Mell zu Schrekers Komposition "Der Geburtstag der Infantin" aufgetreten – für die Wiesenthal ein bedeutender Einschnitt in ihrer tänzerischen Entwicklung. Berühmt geworden waren die drei Schwestern Elsa ("die Charmante"), Bertha ("die Blühende") und Grete mit ihren Walzerprogrammen, die sie in vielen Ländern Europas mit unbeschreiblichem Erfolg aufführten. Neben der reinen Tanzform des Wiener Walzers beschäftigte sich Grete Wiesenthal zunehmend mit den abstrakteren Formen der Mimik und Pantomime. "... Solange ich mich so ganz an die Musik hielt, konnten meine tänzerischen Ideen und Bewegungen nicht ganz frei sich entfalten. Es blieb ein ungelöster Rest. Aber jetzt kamen mir immer mehr und mehr Tanzideen, durch das Ansehen der Blätter an den Bäumen, die zitterten, durch einen Vogelflug, durch ein Tier, durch alles das kamen mir neue Erkenntnisse von Bewegung in meinen Sinn, die noch kein Musiker rhythmisiert hatte und die in mir neue Tänze schufen. So mußte ich mir meine eigene Musik schreiben lassen, zu dem Tanz, der Wind benannt ist." (Grete Wiesenthal) Der Wind für Violine, Klarinette, Horn, Violoncello und Klavier entstand in den Jahren 1908/1909 nach Wiesenthals Anregungen. Das Werk gibt Zeugnis von einer der frühesten konkreten Gemeinschaftsarbeiten zwischen Komponist und Choreograph. Es erscheint mit dieser Aufnahme zum ersten Mal auf CD. Tilman Kannegießer In einem Interview mit Robert Bagar für die New York Herald Tribune am 4. August 1942 nannte Bohuslav Martinů (1890–1959) drei Einflüsse, die auf sein Musikschaffen wirkten: tschechische Folklore, die englische Madrigalkunst und die Musik seines französischen Kollegen Debussy. Solcherlei Einflüsse und Vorlieben gab es jedoch noch weitere, und so sind in seinem Œuvre Werke vereinigt, die stilistisch denkbar unterschiedlich orientiert sind: impressionistisch (Ballett Istar), am Jazz (Le Jazz), neoklassisch (Sinfonia concertante) und neobarock (Concerto grosso), an Folklore und Surrealismus (Julietta) und der Synthese der verschiedenen Elemente in den Sinfonien 1–5 oder der Ariadne-Oper. Aus allen Werken jedoch spricht der unverwechselbare Tonfall Martinůs mit seinen Dur-Moll-Schwebungen, der Polymelodik, Terz- und Sextakkordparallelen, der transparenten Stilisierung der Instrumente und einer Melodik aus dem Fundus der mährischen Folklore. Obwohl Martinů den größten Teil seines Lebens im Ausland, vor allem in Frankreich, verbrachte, hielt er sich bis zum Ausbruch des Krieges alljährlich in den Sommermonaten in seinem Geburtsort Policka auf und komponierte intensiv. Da er auch in Paris stets auf Motive aus seiner tschechischen Heimat zurückgriff, entstanden hier in den dreißiger Jahren unter anderem großartige Bühnenwerke mit nationalen Elementen wie die Opern Marienspiele, Theater hinter dem Tor, Stimme des Waldes und Komödie auf der Brücke. Als seine Wahlheimat Frankreich das Schicksal Böhmens teilen musste – die Besetzung durch Nazideutschland –, fasste Martinů 1939 den Entschluss, nach Amerika zu gehen. Im Frühjahr 1940 floh er vor den Nationalsozialisten über Aix-en-Provence und Lissabon nach New York. Bis 1953 lebte er als Komponist und Lehrer in den USA. Auf dem amerikanischen Kontinent wurde sein Werk schnell bekannt und sein Schöpfer berühmt und geehrt – bis zum heutigen Tag. Die letzten Jahre bis zu seinem Tod im August 1959 verbrachte er in der Obhut seines Freundes, des Musikers und Mäzens Dr. Paul Sacher in der Schweiz. Das Sextett für Streichorchester entstand in der ursprünglichen Fassung für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli im Mai 1932. Martinů überschrieb es mit dem Motto "ParisPrag '32" und widmete das Werk der amerikanischen Kunstliebhaberin Elisabeth Sprague Coolidge, Begründerin einer Stiftung und des Berkshire Festival of Chamber Music. In der Coolidge Competition gewann das Sextett den 1. Preis. Die telegrafische Übermittlung der Nachricht von der Preisverleihung hielt Martinů zuerst für einen schlechten Scherz seiner Pariser Künstlerfreunde – unfassbar erschien dem bescheidene Lebensverhältnisse gewohnten Komponisten die lukrative Wahrheit. Die Preissumme von eintausend Dollar kam ihm bestens zupass – endlich war er in der Lage, sich ein eigenes Klavier anzuschaffen. In der von Martinů selbst angefertigten Version für Streichorchester mit Kontrabass klingt das Sextett besonders voll und eindringlich, insbesondere im einleitenden Lento. Der ernste Beginn der Komposition lockert sich im weiteren Verlauf auf und reift zum klaren Klang des kathartischen Schlussabschnitts heran. Die Version für Streichorchester wurde 1951 in Louisville, USA, uraufgeführt. Paul Sacher, der Freund und Förderer, hat das Werk noch in Martinůs letztem Lebensjahr mit seinem berühmten Kammerorchester in Anwesenheit des Komponisten in Zürich aufgeführt. Einen anderen Komponisten auf dieser CD, Pavel Haas (1899–1944), verbinden mit Martinů die böhmisch-mährische Herkunft und damit die gleiche inspiratorische Quelle, weiter die Vorliebe für Impressionismus und Neoklassizismus und sogar ähnliche Charakterzüge. Wie Martinů war Haas ein witziger, leicht ironischer, eleganter und nobler Mensch. "In den letzten Jahren", wie sich allerdings sein Zeitgenosse Richard Kozderka erinnert, "war er sehr traurig, blaß und in Erwartung des Grauens". Pavel Haas wurde in eine tschechisch-jüdische Kaufmannsfamilie geboren und wuchs in der mährischen Metropole Brünn auf, wo er ursprünglich die Tradition des elterlichen Schuhgeschäfts weiterführen sollte. Im Unterschied zu seinem unbezähmbaren Bruder Hugo, dem später bekannt gewordenen Schauspieler und Regisseur, ging er an seine Aufgabe im Geschäft des Vaters mit Ernsthaftigkeit heran und arbeitete hier selbst noch zu einer Zeit, als er nach Absolvierung der Meisterklasse Janáčeks bereits Dutzende bemerkenswerte Kompositionen vorzuweisen hatte. Erst auf ausdrücklichen Wunsch seiner Ehefrau widmete er sich seit Mitte der dreißiger Jahre ausschließlich der Musik. Erfolgreiche Aufführungen seiner Werke stärkten sein Selbstbewusstsein, vor allem des Bläserquintetts (1929) und der Suite für Klavier (1935), sowie die begeisterte Aufnahme seiner Kompositionen für den Tonfilm (z. B. den noch heute beliebten Films "So ein Hundeleben", ein Gemeinschaftswerk der beiden Brüder). Sein persönlicher Stil entwickelte sich aus den Einflüssen seines Lehrers Janáček, nicht zuletzt dessen Neigung zu geballten Klangentladungen, der Polyrhythmik Strawinskys, in die Haas verstärkt Elemente des Jazz verwob, sowie der Melodik und Harmonik des Volkslieds und der Synagogalmusik. Im Jahr 1937 beendete er die großartige tragikomische Oper Scharlatan nach einem Sujet aus der deutschen Historie, dem "Doktor Eisenbart", in der entsprechenden Figur des tschechischen Quacksalbers Pustrpalk. Eine 1940 begonnene Sinfonie konnte er nicht mehr fertigstellen. Im Dezember 1941 wurde er ins Konzentrationslager Terezin (Theresienstadt, ca. 50 Kilometer nördlich von Prag) deportiert. Hier vegetierte er fast drei Jahre lang dahin; er komponierte – nach mühsamer Überwindung des Schocks der Internierung und den erbärmlichen Lebensumständen zum Trotz – bis Oktober 1944 mindestens acht Werke, von denen drei erhalten sind. Gemeinsam mit den Komponisten Hans Krása und Viktor Ullmann trat er am 16.10.1944 den Weg nach Auschwitz an. Seine Studie für Streichorchester entstand in Theresienstadt im Jahr 1943. Die Partitur blieb nicht erhalten, doch entdeckte Karel Ančerl, der die Komposition im Lager mehrfach dirigiert hatte, nach dem Krieg im Lager die Orchesterstimmen außer der für den Kontrabass. Diese ergänzte Haas' Schüler und Biograph Dr. Lubomir Peduzzi für die Veröffentlichung der Partitur in den Verlagen Tempo Praha und Bote & Bock Berlin im Herbst 1991. Hauptthema der Studie ist eine Reminiszenz an die Oper Scharlatan (aus dem Zwischenspiel zum 2. Bild). Typisch für den Komponisten Haas ist die parallele Bewegung zweier Metren (6/8 und 3/4) zu Beginn und das in der mährischen Volksmelodik beheimatete schwermütige Thema des Adagio-Abschnitts. Schließlich webt Haas im weiteren Verlauf ein aus einer Synagogenweise gewonnenes Motiv in die Partitur ein. Damit vereinigt die Studie nahezu alle für die Musiksprache von Pavel Haas typischen Elemente, die seinen Stil im Kreis der tschechischen Komponistengeneration der Zwischenkriegszeit unverwechselbar machen. Die Studie ist heute das meistgespielte Werk von Haas. Auch das Schaffen von Hans Krása (1899–1944) erwächst aus den Wurzeln des Impressionismus und Neoklassizismus, es wurde jedoch außerdem durch den damals in Prag lebendigen Mahler-Kult und die sogenannte Zweite Wiener Schule, vor allem durch Arnold Schönberg, beeinflusst. Hans Krása entstammt einer tschechisch-deutschen Prager Familie. Die Musik war ihm durch die Mutter, eine Sängerin, in die Wiege gelegt. Als er noch ein Junge war, wurden seine Kompositionen schon in Salzburg und St. Moritz aufgeführt. Seinem Wesen nach ein Bohemien, war Prag für Hans Krása eine lebenspendende Stadt, zu deren künstlerischer Avantgarde er sich zählte. Er korrepetierte an der Opernszene des Neuen Deutschen Theaters; hier gab er 1920 mit seinem Absolventenwerk, den Orchestergrotesken nach Morgensterns Galgenliedern, sein Debüt als Komponist und erwarb sich mit einem Schlag die Gunst der Kritik. Den Erfolg seiner Sinfonie für kleines Orchester und des Streichquartetts (Paris 1923) belegen die zeitgenössischen internationalen Presseberichte. In Zeiten des Arbeitseifers, die sich mit solchen ausschweifenden Müßiggangs abwechselten, war er konzentriert und eifrig schöpferisch tätig. Krásas Kollege Viktor Ullmann schrieb über seine Arbeit an der Oper Verlobung im Traum im Jahr 1928 in der Prager Bohemia: "... Sein Schaffen geschieht ohne Arbeit, wie zwischen Schach und Matt. Aber was entsteht, ist von nachtwandlerischer Sicherheit." Krása selbst urteilte über seine Arbeit: "Ich arbeite sehr pedantisch und will nicht, daß auch nur eine Stelle langweilig wird". (Aus einem Brief an die Universal Edition, 6.11.1928.) In der Zeit der nazistischen Bedrohung rückten gleichgesinnte tschechische und deutsche Künstler zunehmend zusammen. Ergebnis der freundschaftlichen Zusammenarbeit Krásas mit dem tschechischen Schriftsteller und bildenden Künstler Adolf Hoffmeister war die Kinderoper Brundibár, die später den Kindern und Erwachsenen im. Konzentrationslager Theresienstadt ein wenig Hoffnung geben konnte und heute in vielen Ländern der Welt bekannt ist. Nach Theresienstadt kam Krása im August 1942. Hier, umgeben von Elend und Tod, setzte er sein Schaffen mit großer Konzentration fort und vermochte sich sogar seinen feinen, spezifischen Humor zu bewahren. Von den erhalten gebliebenen Kompositionen Krásas aus Theresienstadt ist die Ouvertüre für kleines Orchester die einzige, die im Lager nicht mehr aufgeführt werden konnte. Das kleine Meisterwerk gewinnt seinen für die Musik Krásas typischen feinsinnigen Reiz durch die motorische Rhythmik, den weit gewölbten Aufbau des gesanglichen Themas, die Farbigkeit der Orchestrierung und ein schnelles Grundtempo. Obwohl die Ouvertüre mit der Oper Brundibár einen ähnlichen Puls und einen gewissen thematischen Zusammenhang aufweist, handelt es sich um absolute Musik par excellence. Ebenso wie die Studie von Pavel Haas wurde auch die Ouvertüre erst fünfzig Jahre nach dem gewaltsamen Tod ihres Schöpfers in den Verlagen Tempo Praha und Bote & Bock Berlin herausgegeben. Ihre Wiederentdeckung begründete das neuerwachte Interesse an der Musik eines der intelligentesten und sensibelsten Komponisten, die der multikulturelle Schmelztiegel der Stadt Prag hervorgebracht hat. Dr. Blanka Červinková
eda records | Kannegiesser, Maillard & Harders-Wuthenow GbR | Erkelenzdamm 63 | 10999 Berlin | Germany | info@eda-records.com
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