EDA 36: Krzysztof Meyer: Piano Sonatas
VIII: Sonata no. 6 "Sonata breve" op. 106 (2006) Bitte wählen Sie einen Titel, um hineinzuhören
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I: Aphorisms op. 3 (1961)
II: Sonata no. 1 op. 5 (1962) III: Sonata no. 2 op. 7 (1963) IV: Sonata no. 3 op. 13 (1966) V: Sonata no. 4 op. 22 (1968) VI: Sonata no. 5 "Sonate de sons rayonnants" op. 32 (1997) 7 Dolente
EDA 36: Krzysztof Meyer: Piano Sonatas
VI: Sonata no. 5 "Sonate de sons rayonnants" op. 32 (1997) 7 Dolente 8 Prestissimo, furioso
EDA 36: Krzysztof Meyer: Piano Sonatas
VI: Sonata no. 5 "Sonate de sons rayonnants" op. 32 (1997) 8 Prestissimo, furioso 9 Lento, molto cantabile
EDA 36: Krzysztof Meyer: Piano Sonatas
VI: Sonata no. 5 "Sonate de sons rayonnants" op. 32 (1997) 9 Lento, molto cantabile 10 Ossesivo
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VII: Quasi una fantasia op. 104 (2005)VI: Sonata no. 5 "Sonate de sons rayonnants" op. 32 (1997) 10 Ossesivo 11 Quasi una fantasia
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VIII: Sonata no. 6 "Sonata breve" op. 106 (2006)VII: Quasi una fantasia op. 104 (2005) 11 Quasi una fantasia 12 Sonata breve
EDA 36: Krzysztof Meyer: Piano Sonatas
VIII: Sonata no. 6 "Sonata breve" op. 106 (2006) 12 Sonata breve Krzysztof Meyers Interesse für das Klavier hat einen recht offensichtlichen Ursprung: auf diesem Instrument spielte er seit seiner Kindheit und beherrschte es im Laufe der Zeit gut genug, um öffentlich als Pianist aufzutreten. Viele Jahre hindurch, bis zur IV Sonate, schrieb er die Klavierwerke also für sich selbst, während andere Pianisten sie erst im Laufe der Zeit in ihr Repertoire aufnahmen. Daher lassen sich die auf dieser CD eingespielten Werke auch überwiegend als Frühwerke oder sogar als Jugendwerke bezeichnen. Im späteren Schaffen Meyers tritt das Klavier vor allem in der Kammermusik hervor (Trios, Quartette, Quintette, im Duo mit Violine, Cello, Saxophon oder Fagott). Ergänzend treten in seinem Schaffen hinzu: 24 Präludien für Klavier (1977-1978), Impromptu multicolore für zwei Klaviere (2000) sowie ein Klavierkonzert (1989). Die frühen Werke sind vor allem Zeugen ihrer Entstehungszeit. Zunächst hört man Einflüsse von Bela Bartók, der im Polen der frühen 1950er Jahre als Synonym moderner Musik galt - die parallelen Dreiklänge am Ende der I Sonate, die sich auf den Schluss von Bartóks VI Streichquartett beziehen, klingen geradezu wie eine Erklärung der Bewunderung für diesen Komponisten. Meyers spätere drei Sonaten bezeugen, wie sich in den 1960er Jahren der Sonorismus entwickelte und zur Blüte gelangte: jenes Erkennungsmerkmal der "Polnischen Schule", die auf den Serialismus mit einer Suche nach neuen Klängen reagierte und nicht mit Systemen und Regeln. Seit der V Sonate, die nach einer längeren Pause entstand, erkennen wir in der Musik einen für Meyer typischen Stil, der sich auf natürliche Weise im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Die CD beginnt mit 9 Miniaturen, die der 18-jährige Schüler des Krakauer Musikgymnasiums schrieb. Der Titel Aphorismen verweist auf brillante literarische Sentenzen, aber man kann diesen Zyklus auch als ein Paradieren unterschiedlicher Charaktere verstehen, und so passt das Wort hier wohl am besten. Die Miniaturen sind atonal, was jedoch keineswegs völlige konstruktive Freizügigkeit oder gar Beliebigkeit bei ihrer Konstruktion bedeutet. Neben Elementen der Reihentechnik sind bei der Klanggestaltung und beim Verhältnis zwischen den Stimmen vor allem zwei Faktoren prägend, die im Laufe der Jahre geradezu zu einem Markenzeichen Meyers wurden: Akkorde aus symmetrisch um eine hypothetische Achse angeordneten Intervallen sowie ein raffinierter Kontrapunkt. Die I Sonate entwickelt den Stil der Aphorismen weiter, allerdings hier mit den Mitteln einer strikt dodekaphonen Technik. Bei den Komponisten in Polen stieß die Dodekaphonie in den 1930er Jahren auf kein größeres Interesse und wurde dafür in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre für kurze Zeit zu einem Objekt der Faszination. Als man jedoch den Geschmack jener zuvor während des Sozialistischen Realismus verbotenen Frucht erkannte, ließ die Begeisterung rasch nach. Die I Sonate blieb das einzige vollständig dodekaphone Werk Meyers. Wenn man weiß, dass für Krzysztof Meyer ein Musikwerk eine in ihren Einzelheiten durchstrukturierte klangliche Narration darstellt, bei der es nicht darum geht, vor dem Hörer ein Feuerwerk stets neuer Einfälle auszubreiten, sondern extrem konsequent eine kleine Menge an Material zu nutzen, dann kann man verstehen, weswegen ihn eine von der Dodekaphonie vorgegebene Strenge anzog. Eine zwölftönige Reihe machte er zur Grundlage der Introduktion und des Themas mit Variationen. Die allgemeine Formidee geht auf das Erbe Bartóks zurück, was sich in der Verwandtschaft zwischen den einzelnen Sätzen ausdrückt. Eine vergleichbare Grundlage zur Gestaltung einer Großform finden wir auch in späteren Werken Meyers. In der I Sonate und in der Introduktion erkennen wir sie als eine der Variationen, und die letzte Variation verweist auf den Anfang des Themas zurück. Die Atmosphäre der 1960er Jahre bewirkte auch, dass die nächste, nur ein knappes Jahr später komponierte Sonate völlig anders klingt. Man kann sogar den Eindruck gewinnen, als ob der Komponist sich hier von allem lossagte, was er zuvor gelernt hatte, und stattdessen begann, seinen eigenen Stil von Grund auf zu entwickeln. Im ersten Satz überwiegen ausgedehnte Klangbänder mit vielfältigen Arten von Trillern, und das Klavier klingt wie ein Schlaginstrument, das ein Mosaik aus vielfarbigen Figuren ausbreitet. Im zarten und ruhigen zweiten Satz entstehen Kontraste aus in wechselnden Registern "atomisierten" Figuren. Der dritte, besonders dynamische Satz nutzt das Material der beiden vorangegangenen Sätze. Über die Grundidee der II Sonate könnte man sagen: These - Antithese - Synthese (ein vom Komponisten im I Streichquartett ausgeführter Gedanke). Und wie ist der Gesamteindruck? Wenn wir uns angewöhnt haben, eine bestimmte Art von Musik mit impressionistischer Malerei zu vergleichen, so kann man bei der II Sonate an einen abstrakten Expressionismus denken, wie wir ihn aus Bildern von Jackson Pollock kennen. Bei der Erforschung der koloristischen Möglichkeiten des Klaviers stand Meyer ziemlich allein da. Viel stärker war das Interesse der Komponisten an neuen Klangeffekten oder neuen Instrumenten, und wenn schon das Klavier eingesetzt wurde, dann "präpariert". In Meyers gesamtem Schaffen für Klavier treffen wir aber auf keine Präparierung vom Spiel auf den Saiten oder auf sonstige ähnliche Effekte. Neue Klangwirkungen werden mittels traditioneller und modifizierter Spieltechniken erreicht - dazu gehören ein unhörbares Niederdrücken des Pedals und ein Glisando auf den schwarzen anstatt auf den weißen Tasten. Solche Klangwirkungen finden wir in der folgenden Sonate, die für den bulgarischen Pianisten Anton Dikow geschrieben wurde, mit dem Meyer sich in Frankreich während der Studien bei Nadia Boulanger angefreundet hatte. Das Werk hat jedoch nichts mit dem zu tun, was man im Allgemeinen mit Boulangers "Schule" assoziiert. (Die "allgemeine" Auffassung deckt sich hier nicht mit der Realität, denn bei Boulanger studierten auch Elliott Carter und Philip Glass). In der III Klaviersonate stehen die sonoristischen Klangmittel im Dienst einer Form, die deutlich von der für die "Polnische Schule" typischen Gegenüberstellung und Synthese von Kontrasten abweicht. Im Verlauf von sechs deutlich voneinander unterschiedenen Abschnitten baut sich eine weitatmige Spannung auf. In Kontrast zu einem nach Regeln der klassischen Zwölftönigkeit komponierten Abschnitt (hier letztmalig in Meyers Schaffen) steht eine Episode, die dem Grundsatz der Dodekaphonie strikt entgegensteht und Klänge einsetzt, die die Rolle von tonalen Zentren übernehmen. Zu einem raschen und dynamischen Fragment tritt eine statische Episode, in der die Entwicklung zum Erliegen kommt. Beständig wechselt die Faktur: von einer ganz schlichten, bei der über einen längeren Zeitraum Einzeltöne erklingen, bis hin zu einer sehr komplexen, die an einen Pianisten schwierige technische Anforderungen stellt. Die Rolle, die in einer traditionellen Form die Themen erfüllen, übernehmen hier in diesem Werk Koloristik und Dynamik. Die IV Sonate entstand während eines weiteren Pariser Stipendienaufenthaltes Meyers, der in die Zeit der Studentenrevolten im Mai 1968 fiel. Die Sonate ist jedoch keine musikalische Revolte (die hatte Meyer schon hinter sich), sondern eher ein Zeugnis für die Verknüpfung von sonoristischen Mitteln im Dienste einer traditionelleren Musik. Die deutlich erkennbare Form aus sechs kontrastierenden Sätzen wird beschlossen von einem Epilog, der eine Variation des ersten Satzes darstellt. Eine Quelle für die Entfaltung pianistischer Virtuosität bilden rasche Läufe, Tremoli und Cluster. Im Unisono, das gleichsam mit dem dicken Pinsel aufgetragen wird (Interludio II) steht der Pianist vor einer Herausforderung, die ein Hörer ohne Blick auf das Notenbild nicht erahnen kann: hier soll die rechte Hand legatissimo und diminuendo vom fff ausgehend spielen, während die linke Hand im Gegensatz dazu staccatissimo spielt und ein crescendo vom ppp aus durchführt. Die niedrige Opusnummer der V Sonate erklärt sich dadurch, dass sie den Titel eines 1975 vernichteten Werkes trägt und nur einige Fragmente daraus nutzt. Es überwiegen langsame und gemäßigte Tempi, mit Ausnahme eines kleines Furioso (zweiter Satz). Den Werktitel erläutert der Komponist so: "Vielfach kehrt ein Effekt wieder, den man bildlich als Explosion eines Stromes von Klangstrahlen beschreiben könnte. Daher auch der Titel des Werkes Sonate de sons rayonnants (Sonate strahlender Klänge)." Den Charakter und den Ausdruck der V Sonate, ähnlich wie auch bei den späteren auf dieser CD eingespielten Werken, bestimmt vor allem die Harmonik, die auf strikten Intervallordnungen und vor allem auf den bereits erwähnten symmetrischen Akkorden basiert. Meyer vertritt die Ansicht, dass Musik vor allem auf die Emotionen der Hörer wirken sollte (zu den häufiger in seinen Werken anzutreffenden Interpretationshinweisen gehört "espressivo" oder sogar "molto espressivo"), und er glaubt, dass vor allem die Harmonik über den Ausdruck der Musik entscheidet. Er sieht jedoch keinen Sinn darin, zur romantischen Harmonik zurückzukehren, wenn auch die Art, in der Meyer die Narration seiner Werke gestaltet, an jene Epoche denken lässt. Ein weiträumiger Aufbau von Spannungsverläufen vollzieht sich oftmals gleichsam auf rhapsodische Weise, wie in einem beständigen Rubato, und vielfältige Figuren leiten sich aus der Entwicklung eines Trillers ab. Zahlreiche Zusammenklänge ergeben sich aus einem Arpeggio, und die Faktur hinterlässt mehrfach den Eindruck eines "Auseinanderbröckelns". Diese Musik "strebt" nach etwas oder schafft eine Erwartungshaltung, wenn wir uns auf etwas altmodische Metaphern berufen, und kategorische "Feststellungen" sind die Domäne von kurzen, meist akkordischen Kulminationen. Genau so klingt Quasi una Fantasia, komponiert für die Teilnehmer des ersten Beethoven-Klavierwettbewerbs, der 2006 auf Initiative von Pavel Gililov in Bonn durchgeführt wurde. Die Organisatoren wünschten sich, dass das Werk in irgendeiner Form auf die Musik des Namenspatrons Bezug nehmen sollte, und so weckt der Titel eine leichte Anspielung auf die Mondscheinsonate. Das Anfangsmotiv kann an den Beginn von Beethovens IV Klavierkonzert erinnern, und später lässt sich ein Echo des Variationsthemas aus der Klaviersonate op. 109 vernehmen. Den Anforderungen des Wettbewerbs entsprechend gab der Komponist den Interpreten reichlich Gelegenheit, sich zu präsentieren: sowohl mit technischer Virtuosität als auch mit einer Schönheit des Klangs im traditionellen Wortsinn. Jener "schöne Ton" ist im Grunde bei allen Werken Meyers unentbehrlich - ohne ihn kann man sich eine Aufführung der Sonata breve, einer geradezu intimen Musik, gar nicht vorstellen. Die in der Form ABA'CA'' angelegte Sonata breve entwickelt sich so, dass die Wiederkehr des Ausgangsgedankens mit jedem Mal mehr nach "leggiero" klingt, und dass die Musik im Schlussabschnitt nach und nach verklingt und sich verflüchtigt. Widmungsträgerin der letzten Sonate ist die Musikwissenschaftlerin Zofia Helman, aber nicht nur aus diesem Grund liefert dies Werk ein reichhaltiges Material für eine Analyse. Die enthaltenen Kontraste resultieren aus einer ständigen Gegenüberstellung der unterschiedlichsten Kanons mit einer traditionell verstandenen "Melodie mit Begleitung". Durch Meyers Vorliebe für den Kontrapunkt sind zahlreiche seiner Partituren geradezu gespickt mit "niederländischen Kunststücken". Komplexe Zeitrelationen zwischen den einzelnen Abschnitten bilden einen weiteren Denksport für Musikwissenschaftler. Und wenn solche Verfahrensweisen auch einen Hörer seiner Musik nicht interessieren müssen, so ist es doch schwer vorstellbar, dass eine dermaßen bis in die kleinsten Details durchdachte Konstruktion eines solchen Klanggebäudes und Formablaufes ohne Einfluss auf die Wahrnehmung und auf das Erleben bleibt. Thomas Weselmann
eda records | Kannegiesser, Maillard & Harders-Wuthenow GbR | Erkelenzdamm 63 | 10999 Berlin | Germany | info@eda-records.com
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