EDA 35: Simon Laks: L\'Hirondelle inattendue, Karol Rathaus: Le Lion amoureux
IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) Bitte wählen Sie einen Titel, um hineinzuhören
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965)
01 Ouverture
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 01 Ouverture 02 Qui sont ces gens étranges
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 02 Qui sont ces gens étranges 04 Voici par ordre
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 04 Voici par ordre 05 Ce sont nos Oles
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 05 Ce sont nos Oles 06 Oh, la pauvrette!
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 06 Oh, la pauvrette! 07 Je vois la vie
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 07 Je vois la vie 08 On m'apelle l'hirondelle
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 08 On m'apelle l'hirondelle 09 Comme les autres
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 09 Comme les autres 11 Elle aurait
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 11 Elle aurait 13 Et pourquoi pas?
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 13 Et pourquoi pas? 15 On m'apelle l'hirondelle
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 15 On m'apelle l'hirondelle 16 Où est-elle
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I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 16 Où est-elle 17 Ah! Laissez moi parler
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II: Ferdinand-Louis Bénech / Ernest Dumont – L'Hirondelle du Faubourg (1912)I: Simon Laks – L'Hirondelle inattendue (1965) 17 Ah! Laissez moi parler 19 L'Hirondelle du Faubourg
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III: Karol Rathaus – Prelude for Orchestra op. 71 (1953)II: Ferdinand-Louis Bénech / Ernest Dumont – L'Hirondelle du Faubourg (1912) 19 L'Hirondelle du Faubourg 20 Prelude for Orchestra
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936)III: Karol Rathaus – Prelude for Orchestra op. 71 (1953) 20 Prelude for Orchestra 21 Sarabande
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) 21 Sarabande 22 The Lion's Dance
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) 22 The Lion's Dance 23 The Queen and the Lion
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) 23 The Queen and the Lion 24 Dance of the Flower Girl
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) 24 Dance of the Flower Girl 25 Finale
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IV: Karol Rathaus – Suite from the ballet "Le Lion amoureux" op. 42b (1936) 25 Finale Zwei FremdeSimon Laks und Karol Rathaus – zwei polnische Komponisten jüdischer Abstammung derselben, um 1900 geborenen Generation. Zwei Komponisten, deren Biographien exemplarisch sind für das Schicksal der polnischen Musik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nachdem Generationen von polnischen Künstlern und Intellektuellen im 19. Jahrhundert aufgrund der politischen Situation in ihrer Heimat zu einem Leben im Exil gezwungen waren, so gehörten Laks und Rathaus zu den ersten, die ein dauerhaftes Leben im Ausland vor allem aus Gründen besserer künstlerischer Entfaltungsmöglichkeiten wählten. Der eine, Laks, in Warschau gebürtig, fühlte sich nach einer Zwischenstation in Wien der französischen Mentalität mehr verbunden und reüssierte in dem weltoffenen Milieu der Seine-Metropole. Den anderen, Rathaus, aus dem galizischen Tarnopol stammend, zog es nach Wien und dann, seinem Lehrer Franz Schreker folgend, nach Berlin. Wurden für Laks Clarté und Esprit des französischen Néoclassicisme zur ästhetischen Maxime, so entfaltete sich Rathaus' Talent im Geist der deutschen Spätromantik und des Expressionismus. Beide machten in ihrer Wahlheimat Karriere, die nach Hitlers Machtergreifung einen dramatischen Einschnitt erfuhr. Rathaus konnte sich ins Exil retten und überlebte in New York. An ein Wiederanknüpfen an seine Laufbahn in Deutschland nach 1945 war nicht zu denken. Laks wurde inhaftiert und 1941 nach Auschwitz deportiert. Er überlebte den Holocaust als Mitglied und später Leiter der Männerkapelle im Vernichtungslager Auschwitz II-Birkenau. Für ihn, der in den 30er Jahren für das Roth Quartett, für Maurice Maréchal, Vlado Perlemuter und die legendäre polnische Sängerin Tola Korian komponierte, kam der künstlerische Durchbruch zu spät, um sich eine Position im französischen Musikleben zu schaffen, an die er nach dem Krieg - nach Deportation, Auschwitz und Zwangsarbeitslagern – wieder hätte anknüpfen können. Er verstummte als Komponist zunehmend, trotz vereinzelter Erfolge und Auszeichnungen, und widmete sich ab Ende der 60er Jahre bis zu seinem Tod fast ausschließlich schriftstellerischen Arbeiten. Mehrere Kompositionen aus seiner Feder kamen erst in jüngerer Zeit zur posthumen Uraufführung. Rathaus hatte sich spätestens nach dem Sensationserfolg seiner Filmmusik für Fedor Ozeps legendäre Dostojewski-Verfilmung Der Mörder Dimitri Karamasoff 1931 über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Er erhielt Aufträge verschiedener großer deutscher Orchester, Dirigenten wie Furtwängler, Kleiber und Jochum setzen sich für ihn ein. Sein Ruf als Filmkomponist verschaffte ihm schon vor 1933 renommierte Aufträge in Frankreich, so dass er keine Schwierigkeiten hatte, Visum und Arbeitserlaubnis zu beschaffen. Doch in Frankreich verkomplizierte sich nach Hitlers Machtübernahme das Leben für ausländische Künstler. Die Emigrantenströme aus Deutschland verschärften ein Ambiente der unliebsamen Konkurrenz und zogen arbeitsrechtliche Restriktionen nach sich. Rathaus bekam dies schnell zu spüren, als er nach seiner Übersiedlung nach Paris im Januar 1933 plötzlich sehr viel weniger für seine Filmmusiken verdiente als noch Monate zuvor und er seine Honorare mit französischen Co-Komponisten, wenn auch nur zum Schein, aber zu seinem Nachteil, teilen musste, die die Produktionsgesellschaften aufgrund von Quotenregelungen zu engagieren genötigt waren. Einladungen zu prominent besetzten Filmproduktionen nach England (Broken Blossoms in der Regie des Exilanten John Brahm und The Dictator in der Regie von Victor Saville) schien der Ausweg aus einer materiell sich zuspitzenden Situation. Doch waren die Arbeitsmöglichkeiten auch dort zunehmend von bürokratischen Schikanen geprägt, so dass sich Rathaus kurz vor Ausbruch des 2. Weltkriegs schließlich gezwungen sah, eine Lebensgrundlage für sich und seine Familie in den USA zu suchen. Das Thema des Exils und der Selbstbehauptung in der Fremde hatte Rathaus bereits in seiner einzigen Oper Fremde Erde, die am 10. Dezember 1930 an der Berliner Staatsoper durch Erich Kleiber uraufgeführt wurde, künstlerisch verarbeitet. Auch er ein "Jude auf Wanderschaft", sah er in dem Sujet nicht nur eine seiner Ansicht nach für die Gattung Oper nötige überzeitlich gültige Thematik, sondern auch den aktuellen Zeitbezug, den der Ruf nach der "Zeitoper" in den 20er Jahren so vehement eingefordert hatte, um die Oper aus ihrer Musealität zu befreien. Es ist bezeichnend, dass Rathaus das Thema des Fremdseins auch in dem bedeutendsten Auftrag aufgreift, den er nach dem Verlassen Deutschlands erhalten sollte, in der Ballettmusik Le Lion amoureux für Colonel Basil's Russian Ballet-Company in der Saison 1937/38 an Londons Royal Opera House Covent Garden (die Suite kam am 13. März 1938 durch das BBC Symphony Orchestra unter Clarence Reynolds zur Erstaufführung). Auch wenn es in der Adaptierung von La Fontaines Fabel um die domestizierende und veredelnde Kraft der Liebe gehen mag – der Aspekt des Fremden wird gegenüber La Fontaine durch das Einbrechen des Löwen in ein höfisches Milieu noch zugespitzt – so lässt sich die Geschichte auch im Hinblick auf Rathaus' eigene biographische Situation interpretieren, die als ‚Subtext' auf der Ebene bzw. mit Mitteln der Musik erzählt wird. Denn die Zuordnung Löwe = atonale = avantgardistische, Königin/Hof = tonale Musik bildet ton-symbolisch eben jene Versetzung des Komponisten, der einmal ein Protagonist der Neuen Musik Szene in Deutschland war, in ein Milieu ab, in dem deren ‚Sprache' als irritierend und fremd empfunden wurde. Zwar bleibt diese Konfrontation der Stile in der Suite episodisch und ist im Grunde auf den tonmalerischen Beginn der Auftrittsszene des Löwen beschränkt, doch schreibt Rathaus ihr selbst im Vorwort zur Partitur programmatische Bedeutung zu. Sie ist Hinweis darauf, dass das erzwungene Exil in den meisten Fällen nicht nur einen dramatischen, oft tragisch verlaufenden Einschnitt in die Künstler-Biographie bedeutete, sondern auch die Aufgabe ästhetischer Positionen nach sich zog. Rathaus war allerdings nie Verfechter einer Hardliner-Avantgarde und warnte schon Ende der 20er Jahre davor, den Bruch mit dem bürgerlichen Publikum und die damit einhergehende Ghettoisierung der zeitgenössischen Musik zu provozieren. Insofern steckt im Verliebten Löwen auch ein gehöriger Schuss Humor und Selbstironie. Offensichtlich sind manche dramaturgischen und auch stilistischen Parallelen zu Schrekers Tanzpantomime nach Oscar Wildes Geburtstag der Infantin von 1908 (EDA 13), in der es ebenfalls um das Eindringen des Fremden – hier des hässlichen Zwergs – in ein höfisches Milieu geht (die Verlagerung des bäuerlichen Milieus bei La Fontaine in ein höfisches bei Rathaus mag direkt auf Schreker/Wilde zurückgehen). Rathaus, der Schrekers Pantomime in einer Produktion der Berliner Staatsoper 1927 erlebte (mit dem neuen Titel Spanisches Fest), übernahm das Prinzip der Kontrastierung neobarocker und expressionistischer Elemente zur Musikalisierung des Antagonismus Natur/Kultur. Es ist hochinteressant zu sehen, wie sich die semantische Konnotation der Stilebenen gemäß den biographischen, musik- und zeitgeschichtlichen Kontexten, in denen die Werke entstanden, verschiebt. War Rathaus' Suite aus der Ballettmusik zum Verliebten Löwen die erste größere symphonische Arbeit, mit der er sich in den USA bei einem Konzert mit dem St. Louis Symphony Orchestra unter Vladimir Golschmann im Februar 1939 dem amerikanischen Publikum vorstellte, so ist das Prelude for Orchestra seine letzte Orchesterkomposition, die er im Auftrag des Louisville Orchestra und seines Gründers und Chefdirigenten Robert Whitney komponierte und das am 12. Juni 1954, ein knappes halbes Jahr vor Rathaus' Tod, zur Uraufführung kam. Ein Bravourstück, dem doch jede vordergründige Brillanz abgeht, gibt Rathaus den Solisten des Orchesters und den einzelnen Gruppen Gelegenheit zur Entfaltung ihrer spezifischen Qualitäten und Schönheiten. Wie das letzte Orchesterwerk seines Lehrers Schreker, das Vorspiel zu einer großen Oper, scheint auch Rathaus' Prelude, wie Rathaus' Biograph Martin Schüssler treffend schrieb, "alle wesentlichen Momente eines gedachten Dramas" in sich zusammenzufassen. Tatsächlich wirkt das Stück nicht nur wie eine Summe von Rathaus Schaffen auf gedrängtem Raum. Mit seinen starken Kontrasten und emotionalen Entladungen mag dem Musikdramatiker Rathaus, dem es in den USA nicht vergönnt war, für die Bühne zu schreiben (abgesehen von der Rekonstruktion der Originalfassung von Mussorgskis Boris Godunow für die Metropolitan Opera) hier eine Art Vorspiel zu einer imaginären Oper vorgeschwebt haben. "Pour aller plus loin que les astres" – "Um weiter zu gehen als bis zu den Sternen" schrieb Claude Aveline (1901-1992) augenzwinkernd in ein Widmungsexemplar seines 1959 beim Verlag Mercure de France erschienenen Bestiaire inattendu. Und tatsächlich führt die interplanetarische Reise eines Gesellschaftsreporters durch die Weiten des Alls zum Paradies der berühmten Tiere weit über das Ziel hinaus. Aveline hatte diese Suite von Reportagen über eine Reihe von Tieren aus Mythos und Legende einige Jahre zuvor bereits als Hörspiele für den Französischen Rundfunk produziert (ausgezeichnet mit dem Prix Italia), und in dieser Form ist Simon Laks der Stoff, der ihn zu seiner ersten und einzigen Oper inspiriert hat, auch erstmals begegnet. Claude Aveline, ein Kind russisch-jüdischer Emigranten, war eine schillernde Figur im französischen Geistesleben seit den 1920er Jahren. 1921 lernte er Anatole France kennen, der ihn zu seinem engsten Freund und Vertrauten machte. Er erntete frühen Ruhm als Dichter und als "jüngster Verleger der Welt", engagierte sich in der Résistance, brillierte als Essayist, Romancier und Verfasser von philosophischen Krimis, beeinflusste die Existenzialisten, stand den Surrealisten nahe, ließ sich als Skeptiker und linker Moralist aber durch keine Zeitströmung wirklich vereinnahmen. Sein in zahlreiche Sprachen übersetztes Gedicht Portrait de l'Oiseau qui n'existe pas (Das Bildnis des Vogels, den es gar nicht gibt) gab den Anstoß zu einer Serie bildnerischer Umsetzungen durch eine große Anzahl von Malern unterschiedlichster stilistischer Richtungen bis in die 1970er Jahre (als Schenkung zunächst im Pariser Musée d'Art Moderne, heute im Centre Pompidou). Avelines Bestiaire inattendu bezieht sich weniger auf die Tradition der Mythen-Parodien eines Offenbach oder der Mythen-Aktualisierungen eines Gide (Der schlechtgefesselte Prometheus); der Zyklus steht vielmehr einem Genre nahe, das Franz Blei in ähnlicher Weise in einigen seiner Miniaturen erprobt hatte (Andromeda, Drei imaginäre Briefe), das der Mythen-Demontage durch Gegendarstellung. In sechs Episoden erzählen die berühmten Tiere aus eigener Sicht den wahren Verlauf ihrer Geschichten, die in den Legenden, wie sie die Menschen erzählen, auf den Kopf gestellt oder stark verfälscht wurden: Jonas Wal tritt auf, der Adler des Prometheus, der Löwe des Androkles, die gezähmte Spinne des Dichters Pellisson, der Esel der Krippengeschichte und, im augenzwinkernden Nachspiel, die "Schwalbe der Vorstadt", die in Laks' Oper zur "Unerwarteten Schwalbe" wird. Laks kannte den Schriftsteller seit Beginn der 50er Jahre und hatte 1952 bereits dessen Portrait de l'oiseau qui n'existe pas als Klavierlied vertont. Er muss in Avelines voltaireschem Geist eine Wesensverwandtschaft erkannt haben. Beide teilten einen scharfen, hintergründigen Humor und den ungetrübten Blick auf die "condition humaine", der eine aus der Erfahrung der Resistance heraus, dem Kampf gegen die Nazis in Frankreich, der andere als Überlebender des Vernichtungslagers Auschwitz, wo Laks dem Tod in den Gaskammern nur "durch eine unendliche Reihe von Wundern" entkommen konnte. Wer Ferdinand-Louis Bénechs und Ernest Dumonts Chanson L'Hirondelle du Faubourg von 1912 kennt und von seiner großen Popularität in Frankreich weiß, durchschaut sofort den "coup de génie" von Avelines Erzählung und das geniale Gespür des Komponisten, darin einen idealen Opernstoff zu erkennen. Das die Geschichte der Gattung begleitende Problem der Komponisten, operngeeignete Stoffe zu finden, das Franz Schreker einmal, auf sich selbst bezogen, als Unmöglichkeit beschrieben hatte, "ein Sujet zu vertonen, in welchem der Grundgedanke nicht ein die Musik erheischender - nein - die Musik selbst ist": hier ist es sozusagen idealtypisch gelöst, denn die Musik – die Melodie - wird, buchstäblich, zum Thema der Oper. Die notorische Frage, warum denn überhaupt gesungen werden muss, stellt sich nicht, wenn ein Chanson die Hauptrolle spielt. Das Thema des Fremden – das Chanson als "Fremdkörper" im Kontext der Oper - nutzen Laks und sein kongenialer Librettist Henri Lemarchand (der auch eine Reihe von Laks' polnischen Liedern ins Französische übersetzte) zu einem vor Geist und Witz überbordenden Spiel mit der Gattung, wie es in ganz anderer Form Richard Strauss mit Ariadne und Capriccio gelang. Die Apotheose der Melodie, die der Reporter am Ende der Oper in seiner Arie anstimmt, ist dabei durchaus beim Wort zu nehmen. Denn sie ist es, worin sich das Unsterblichkeitspotential der Musik in der höchsten Konzentration manifestiert. "Das Lied ist überall", resümiert der Journalist, "während wir, Menschen und Tiere, immer nur da sind, wo wir gerade sind." Die Verachtung, mit der die Gralshüter der sogenannten Ernsten Musik der populären Melodie begegnen – zur Zeit der Komposition der Oper dürfte das Auseinanderdriften zwischen E und U seinen absoluten Höhepunkt in der Geschichte der (europäischen) Kunstmusik erlebt haben – findet ihren Ausdruck in der Hirondelle inattendue im Hochmut, mit dem die Tiere der abgerissenen ‚Schwalbe' begegnen und als Artfremde unter ihresgleichen ablehnen. Laks erfuhr die Entfremdung der Musik durch ihre Nutzbarmachung für die Todesmaschinerie der Nazis, sein Buch Musik in Auschwitz gibt darüber Auskunft. Er erlebte das Fremdsein als Exilant vor und mehr noch nach dem Krieg, die Entfremdung von seiner unter kommunistischem Diktat stehenden Heimat Polen, und schließlich die Fremdheit als Ausschluss aus dem Kreise der Erwählten, jener Musiker, die nach dem Krieg zum Establishment gehörten. In der Utopie, die in dem so heiteren wie hintersinnigen Ende der Oper aufscheint, schafft sich vermutlich auch die Spannung einer durchgehenden traumatischen Lebenserfahrung Erlösung. L'Hirondelle inattendue ist ein Werk sui generis, ein Einzelgänger der Gattung, ohne Auftrag, oder doch vielleicht in höherem Auftrag geschrieben. Laks reflektiert, virtuos und hintersinnig, über Musik mit den Mitteln der Musik und stimmt einen Hymnus an auf ihre Unsterblichkeit. An geistreichen Anspielungen mangelt es nicht: der aufmerksame Hörer wird alten Bekannten wie Schuberts Forelle oder Mozarts Bildnis-Arie aus der Zauberflöte begegnen. Eine Referenz an Laks' Zeitgenossen - und Vogelexperten - Olivier Messiaen ist, an passender Stelle, kaum zu überhören. Je vertrauter man mit dem Werk wird, umso größer ist das Erstaunen über den Grad an handwerklicher Meisterschaft, die sich in der Partitur offenbart. Laks, der zu seinen Lebzeiten keine Handvoll seiner Orchesterwerke in Aufführungen zu hören bekam, erweist sich als ein Meister der Instrumentierung, aber auch der menschlichen Stimme. Die Oper wimmelt nur so von liebevollen Details – angefangen mit dem musikalischen Nachzeichnen eines Flügelschlags in den ersten Takten –, und es ist überhaupt beeindruckend, welchen enormen Fächer an Stimmungen und Farben der Komponist auf dem engen Raum seines Einakters zu entfalten weiß. Die Pforten der Theater sind der Hirondelle inattendue bis heute verschlossen geblieben. Zu Lebzeiten des Autors kam es lediglich zu einer musikalisch unbefriedigenden Studioproduktion 1975 beim Polnischen Fernsehen (in polnischer Übersetzung). Im Kontext des oben Gesagten wirkt ihre Ausgrenzung aus dem Repertoire, bis hin zu den einschlägigen Enzyklopädien, fast schon folgerichtig. Aber wer weiß, vielleicht heißt man die Hirondelle inattendue ja doch noch eines Tages willkommen auf den Bühnen, im Paradies der berühmten Opern… Das Zustandekommen der vorliegenden CD-Produktion, die erstmals und endlich die Schönheiten und Vorzüge des Werkes ins Licht stellt, entbehrte der dramatischen Momente nicht. Ihr voraus ging die durch Michel Pastore initiierte und von der Europäischen Kommission im Rahmen eines mehrjährigen europäischen Projektes geförderte konzertante französische Erstaufführung beim Festival musiques interdites am 11. Juli 2009 in Marseille, mit Marie Laforêt in der Titelpartie und einem Teil des auf dieser Einspielung versammelten Ensembles. Die ursprünglich für April 2010 geplante CD-Produktion beim Warschauer Rundfunk fiel der Flugzeug-Katastrophe von Smolensk und der anschließenden Trauerwoche in Polen zum Opfer. Der Direktorin der Musikabteilung des Polnischen Rundfunks Małgorzata Małaszko, der Direktorin des Rundfunkorchesters Bogna Kowalska, seinem künstlerischen Leiter und Chefdirigenten Łukasz Borowicz, dem Polnischen Rundfunkchor und seiner Leiterin Małgorzata Orawska, Piotr Kaminski, der die Einstudierung des Chores in Krakau begleitete und mit ihm an der perfekten französischen Diktion feilte, den Meistern des Tons Gabriela Blicharz und Lech Dudzik, die mit ihrer Kunst die oft schwierigen aufnahmetechnischen Bedingungen der Live-Aufnahme vergessen machen, allen beteiligten Sängerinnen, Sängern und Musikern, dem Direktor des Festivals musiques interdites, Michel Pastore sowie der Vorsitzenden des kooperierenden Berliner Vereins Room 28 Hannelore Brenner-Wonschick gebührt größter Dank dafür, dass das Projekt im Juni 2010 dann doch zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden konnte. Der Verlust des gesamten Aufführungsmaterials nach der Warschauer Fernsehproduktion machte die Herstellung eines neuen Aufführungsmaterials (Partitur, Orchesterstimmen und Klavierauszug) notwendig. Die Neuausgabe der Oper beim Musikverlag Boosey & Hawkes Bote & Bock in Berlin wurde aus Mitteln der Kulturförderung der Europäischen Kommission und privaten Zuwendungen unterstützt. Winfried Jacobs, dem Geschäftsführer von Boosey & Hawkes in Berlin, sei gedankt für die nachhaltige Unterstützung bei der Herausgabe der Werke von Simon Laks, wie auch allen Kollegen, die der Edition seit Jahren mit Rat und Tat zur Seite stehen. Jens Luckwaldt insbesondere half mit großem Einsatz bei der aufwendigen Redaktion und Gestaltung des Booklets. Last but not least gilt unser Dank wieder einmal Stefan Lang von Deutschland Radio Kultur, der auch bei dieser Folge von "Poland Abroad" als Koproduktionspartner mitgewirkt hat. Frank Harders-Wuthenow
eda records | Kannegiesser, Maillard & Harders-Wuthenow GbR | Erkelenzdamm 63 | 10999 Berlin | Germany | info@eda-records.com
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