EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14
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EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
I: Johann Anton André – Sonata for Piano, Violin and Cello op. 17

1 Allegro con moto EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
I: Johann Anton André – Sonata for Piano, Violin and Cello op. 17
1 Allegro con moto

2 Andantino quasi Adagio EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
I: Johann Anton André – Sonata for Piano, Violin and Cello op. 17
2 Andantino quasi Adagio

3 Rondo Allegretto EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
I: Johann Anton André – Sonata for Piano, Violin and Cello op. 17
3 Rondo Allegretto

II: Johann Anton André – Duo No. 2 in G major op. 27

4 Allegro commodo EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
II: Johann Anton André – Duo No. 2 in G major op. 27
4 Allegro commodo

5 Rondo Allegretto EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
II: Johann Anton André – Duo No. 2 in G major op. 27
5 Rondo Allegretto

III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14

6 Allegro brioso EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14
6 Allegro brioso

7 Andante moderato EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14
7 Andante moderato

8 Menuetto – Allegro scherzoso ma brioso EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14
8 Menuetto – Allegro scherzoso ma brioso

9 Allegretto Vivace EDA 50: Johann Anton André: Chamber Music
III: Johann Anton André – String Quartet No. 1 in C major op. 14
9 Allegretto Vivace

Warum Johann Anton André (1775–1842) zu den am gründlichsten vergessenen Komponisten gehört, ist eine Frage, die einfache Antworten nicht zulässt. Man könnte es sich leicht machen und mangelnde Qualität seiner Musik als Grund ins Feld führen, müsste dann aber Rechenschaft darüber ablegen, welche Maßstäbe anzulegen sind, um ein solches Urteil fällen zu dürfen. Und dabei wird es schwierig: Wer wie Beethoven oder Mozart oder Haydn komponiert und nicht Beethoven oder Mozart oder Haydn heißt, bekommt rasch (von der Nachwelt) den Stempel "Epigone" aufgedrückt – handwerklich zwar geschickt und ohne Tadel, aber geistig unbeweglich und nur zur Nachahmung in der Lage. Vor 75 Jahren brachte der Musikforscher Helmut Wirth in der Enzyklopädie Die Musik in Geschichte und Gegenwart die Sache in Form einer für die allgemeine Geschichtsanschauung repräsentativen Aussage auf den Punkt: Als Komponist stand Johann Anton André "der Kunst Haydns und Mozarts nahe, war aber ohne stilbildende Wirkung". Basta, möchte man sagen; und hinzufügen, dass man sich und seiner Mitwelt eigentlich keinen Gefallen damit tut, sich mit derlei zu befassen. Dies ist aber die Sicht der Nachwelt, deren kulturelles Gedächtnis ohnehin kapazitäre Grenzen hat und deshalb nur den oft genug nachträglich definierten Spitzenleistungen Platz bietet. Die Zeitgenossen dachten anders; ihnen war es (natürlich!) egal, ob jemand später als "stilbildend" eingestuft werden würde, und diejenigen, die übers Ziel hinausschossen, wurden beargwöhnt. Im Grunde fischten alle, die am Musikleben kreativ, reproduktiv oder auch als Zielgruppe gleichsam im gemütlichen Sessel sitzend teilnahmen, in ein und demselben Teich. Sie teilten einen Konsens hinsichtlich der Formen und des Materials, der gesellschaftlichen Kommunikation und vor allem der Hörerwartung.

Wenn man den Mut hat, es mit jenen Zeitgenossen zu halten und sich einmal aus dem geschützten Raum der nur in Verbindung mit bestimmten Namen wahrgenommenen Hochkultur hinauszubewegen, so winkt als Lohn ein ganz besonderes Erlebnis. Die Frage lautet nicht mehr, wie gut oder wie schlecht oder wie selbstständig bzw. "stilbildend" die Musik Johann Anton Andrés letztlich ist, sondern wie die musikalische Welt beschaffen war, in die er 1775 hineingeboren wurde. Man begegnet einer Familie mit Migrationshintergrund, die sich prächtig integriert und es zu Wohlstand gebracht hatte: Die Offenbacher Seidenfabrik produzierte Luxusware; ihre Kundschaft verfügte über Freizeit, die gern mit Theater und Musik gefüllt wurde, und da Vater Johann André auch großes musikalisches Talent besaß, verband er wirtschaftliche Erfahrung mit künstlerischer Neigung und gründete im Jahr, bevor der Sohn zur Welt kam, einen Musikverlag, der bald zum Hauptgeschäft wurde. Johann Anton André zählte zu den privilegierten jungen Menschen, die ihre geistigen Gaben ungehindert zur Entfaltung bringen konnten; im Grunde muss man sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, bei welchem seiner damals durchaus namhaften (und heute wiederum vergessenen) Lehrer er was genau gelernt hat – wichtig ist, sich vorzustellen, dass er die Möglichkeit hatte und nutzte, alles aufzusaugen, was auf musikalischem Gebiet passierte. Im väterlichen Verlag gaben sich die, die Rang und Namen hatten und haben wollten, die Klinke in die Hand; was in Paris, London und Wien wie auch an den Höfen und in den Handelsstädten musiziert wurde, war verfügbar, und das Haus selbst beteiligte sich durch seine eigenen Ausgaben an der Geschmacksbildung seiner Kundschaft, die ihrerseits nicht nur in der Region, sondern in halb Europa lebte. Dass Johann Anton André all die vielen Namen kannte, die musikalischen Konventionen wie auch die rasch sich wandelnden Moden, Neuerungen und Tendenzen, wird niemand bezweifeln. Ebenso muss man sich nicht wundern, dass er nicht nur jede Gelegenheit nutzte, alleine oder in Gesellschaft zu musizieren, sondern auch irgendwann, vielleicht von pubertärem Überschwang geleitet, selbst zur Feder zu greifen, davon ausgehend, dass der verständnisvolle Herr Papa den kompositorischen Erstling – es war 1789 – in sein Verlagsprogramm aufnehmen würde. Die Grundlagen waren längst geschaffen, als Johann Anton André zehn Jahre später seinen 1799 verstorbenen Vater beerbte. Neben der vielfältigen Beanspruchung als Verleger folgte André – sicher nicht nur aus persönlicher Neigung – weiterhin seinen kompositorischen Ambitionen. Dies war auch ein Zeichen an die Kundschaft: Der Geschäftsmann versteht etwas von dem, womit er handelt; und es ergab sich in der Tat, dass dieser komponierende Geschäftsmann sich im Laufe der Zeit als eine der führenden Kapazitäten in Fragen der Musiktheorie etablierte, was allein sein Lehrbuch der Tonsetzkunst – es erschien 1832–1843 – belegt.

Johann Anton André hatte schon eine ganze Reihe eigener Werke zu Papier gebracht und auch veröffentlicht – Sinfonien, Konzerte, Sonaten und Lieder sind darunter –, als er sich der Gattung Streichquartett zuwandte. Wer dies in der Zeit um 1800 tat, sah sich mit schon damals sehr strengen Maßstäben konfrontiert, die sich vor allem an Joseph Haydn orientierten; Erst kürzlich hatte André die heute berühmten letzten zehn Streichquartette Mozarts (als Nachdrucke der Wiener Originale) in seinem Verlag herausgebracht und ihnen gleich noch sechs frühe Werke (als Erstausgabe) hinterhergeschickt. Er selbst trug also nicht unerheblich zur Kanonisierung des Meisters bei, dachte aber nicht im Traum daran, mit Mozart oder Haydn (oder gar Beethoven, dessen erster Quartettzyklus op. 18 nur wenige Wochen zuvor in Wien herausgekommen war) in irgendeinen Wettbewerb zu treten. Andernfalls hätte er nicht seine insgesamt sechs als op. 14 und 15 gezählten Quartette ausdrücklich als Quatuors concertans bezeichnet und auf die spezifische, vor allem in Paris gewachsene Tradition verwiesen: Nicht das komplexe und vielfach kontrapunktische Satzbild ist gemeint, nicht das (oftmals später definierte) Ideal grüblerischer Auseinandersetzung mit kompositorischen Problemen in Form geistiger Höhenflüge, sondern ein fortwährendes Gleiten melodischer Linien durch die Stimmen als bezeichnendes Charakteristikum. Das erste Quartett der Trois Quatuors concertans op. 14 ist ein schönes Beispiel für diese seinerzeit bereits seit mehreren Jahrzehnten gepflegte Art des Komponierens und Musizierens in jener Besetzung. Dass es dem Komponisten nicht nur um handwerklich gediegene, inhaltlich ausgewogene Unterhaltung ging, belegt insbesondere der ausgedehnte Kopfsatz; er folgt, ganz der Gewohnheit entsprechend, der Sonatenhauptsatzform, wartet aber mit unerwarteten Effekten auf, als wolle der Komponist mit eingefahrene Hörgewohnheiten spielen: Die rezitativartige Kadenz in der ausgedehnten Durchführung ist ein Überraschungsmoment, mit dem damals sicher kaum jemand rechnete. Auch das sich anschließende Andante und das Menuetto – beide freilich am ehesten der Konvention verpflichtet – sparen nicht mit unverbrauchten Wendungen, und das vermeintlich harmlos ansetzende Finale erweist sich mit den in ihrem dramatischen Gestus sicher nicht ganz ernst gemeinten rezitativartigen Solostellen als ausgesprochen humorvoller Beitrag zur Quartettliteratur – und zwar mit großem Ohrwurmpotenzial sowie Verbeugung des Komponisten in Richtung Haydn und Mozart, die den lustigen Effekt mit den Generalpausen ganz am Ende auch schon ausgekostet hatten. Übrigens: Der Komponist widmete die Quartette op. 14 dem Offenbacher Tabakfabrikanten und als Amateurgeiger begeistertem Quartettspieler Peter Bernard, der die Gabe seines Freunds André gerne empfangen haben wird.

Eine Widmung trägt das 1802 mit der Opuszahl 17 erschienene Klaviertrio hingegen nicht; André mochte es wohl nicht mit einer einzelnen, dazu noch prominenten Person in Verbindung bringen, sondern einen Beitrag liefern zu einer sehr weit verbreiteten, nach wie vor überaus beliebten Musiziertradition, die nicht auf die öffentliche Darbietung, sondern auf das häuslich-private Miteinander ausgerichtet ist: Entsprechend folgt der Komponist dem hergebrachten, wiederum von Haydn und Mozart wie von vielen anderen bekannten Prinzip der begleiteten Klaviersonate, bei der sich die Streichinstrumente unterzuordnen haben; das Violoncello ist sogar ausdrücklich als verzichtbar ("ad libitum") bezeichnet und verdoppelt den Klavierbass bzw. in Oktaven die Violinstimme. Dennoch mag man sich das Stück nicht ohne "Begleitung" vorstellen, denn trotz der von ihm befolgten Konvention zeigt sich der Komponist in der Lage, einen ausgewogenen und vielfältigen, manchmal geradezu wohligen Klang – etwa durch lange Haltetöne der Streicher – hervorzubringen. Und dies mag die eigentliche Herausforderung gewesen sein, denn die Gleichberechtigung der Instrumentalparts war erst kurze Zeit zuvor Beethoven als selbstgegebene kompositorische Aufgabe mit Blick auf gehobene musikalische Ansprüche in den Sinn gekommen: Johann Anton André ging es vielmehr darum, Musik zu gestalten, bei der unter Führung eines erfahreneren Spielers die übrigen Beteiligten aktiven Anteil am technischen Gelingen wie auch am Wohlklang des gemeinsamen Spiels haben sollten, ohne sich der Gefahr ausgesetzt zu sehen, vor überzogenen Anforderungen kapitulieren zu müssen – im Idealfall eine perfekte Familienmusik also und Ansporn, weiter fleißig zu üben. Das dreisätzige Werk mit einem Sonatenhauptsatz am Anfang, dem ein Variationsandante folgt, schließt, ganz der Tradition entsprechend, mit einem Rondo, das es aber in sich hat: Überraschende Mollpassagen und andere dramatisch wirkende, geradezu pfiffig geformte Einwürfe zeigen, dass André mehr im Sinn hatte als einen erwartbaren, munteren, aber irgendwann auch langweilig werdenden Kehraus, für den es schon zahllose Beispiele gab.

Mit seinen beiden Violinduos op. 27, die gleichfalls, und zwar 1805, in seinem Verlag erschienen, bediente André ein Feld, das noch mehr als die begleitete Klaviersonate dem pädagogischen Bereich zuzuordnen ist und damals auch so empfunden wurde: Anders als beim Streichquartett und Klaviertrio hat und hatte man weniger eine etablierte Gattung mit entsprechenden Normen und kompositorischen Konventionen vor sich, sondern eine ganz pragmatisch zu erklärende Besetzungsform, die es auch für andere Instrumente gab und die das Miteinander von Lehrenden und Lernenden ebenso thematisieren konnte wie das gleichberechtigte Spiel zweier Schülerinnen oder Schüler. In der Zwischenzeit war – jedoch bezeichnenderweise ohne Beteiligung der noch heute namhaften Klassiker – aufgrund der fortdauernden Nachfrage ein riesiges, auch Bearbeitungen umfassendes Repertoire entstanden, und es mag durchaus geschäftlichem Kalkül geschuldet sein, dass André diesmal wieder eine Widmung aussprach: Jene Madame (Agathe-Victoire) Ladurner, deren Name auf dem Titel erscheint, lebte als anerkannte Violinpädagogin in Paris, und da für André die französische Hauptstadt ein wichtiger Umschlagplatz für seine musikalischen Waren darstellte, konnte sie – um es mit modernen Worten zu sagen – als Influencerin in Sachen Offenbacher Verlagsprodukte und insbesondere der Duos fungieren. Vermutlich wird sie sie mit der Beobachtung angepriesen haben, dass es sich um etwas ganz anderes als die gerade in Frankreich verbreitete Dutzendware für fortgeschrittene Schüler handelt: Man hat handfeste musikalische Literatur mit kompositorischem Anspruch vor sich, und die Herausforderung bestand (und besteht) nicht allein in der Bewältigung etwaiger technischer Schwierigkeiten, sondern insbesondere in der Formung eines beinah gleichberechtigten Zusammenspiels, wobei eben der ansonsten gewohnte Kammermusiksound mit dem allgegenwärtigen Bassfundament diesmal ausbleibt. Vielleicht ist gerade deshalb jenes zweisätzige Duo diejenige der auf der CD vereinigten Kompositionen aus der Feder Johann Anton Andrés, die an Interpreten wie auch an das zweifellos mit beträchtlicher Hörerfahrung ausgestattete Publikum den größten Anspruch richtet.

Axel Beer (April 2024)

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