EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
V: Hans Winterberg – String Quartet No. 1 (1936)
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EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
I: Hans Winterberg – Sonata for Cello and Piano (1951)

01 Allegro moderato EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
I: Hans Winterberg – Sonata for Cello and Piano (1951)
01 Allegro moderato

02 Mit ausdrucksstarker Bewegung EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
I: Hans Winterberg – Sonata for Cello and Piano (1951)
02 Mit ausdrucksstarker Bewegung

03 Vivace EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
I: Hans Winterberg – Sonata for Cello and Piano (1951)
03 Vivace

II: Hans Winterberg – Suite for Viola and Piano (1948/49)

04 I (ohne Tempoangabe) EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
II: Hans Winterberg – Suite for Viola and Piano (1948/49)
04 I (ohne Tempoangabe)

05 II (ohne Tempoangabe) EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
II: Hans Winterberg – Suite for Viola and Piano (1948/49)
05 II (ohne Tempoangabe)

06 III (ohne Tempoangabe) EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
II: Hans Winterberg – Suite for Viola and Piano (1948/49)
06 III (ohne Tempoangabe)

III: Hans Winterberg – Suite for Trumpet and Piano No. 1 (1945)

07 Allegro moderato EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
III: Hans Winterberg – Suite for Trumpet and Piano No. 1 (1945)
07 Allegro moderato

08 Intermezzo EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
III: Hans Winterberg – Suite for Trumpet and Piano No. 1 (1945)
08 Intermezzo

09 Vivace EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
III: Hans Winterberg – Suite for Trumpet and Piano No. 1 (1945)
09 Vivace

IV: Hans Winterberg – Sonata for Violin and Piano (1936)

10 Agitato grazioso EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
IV: Hans Winterberg – Sonata for Violin and Piano (1936)
10 Agitato grazioso

11 Andante con moto EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
IV: Hans Winterberg – Sonata for Violin and Piano (1936)
11 Andante con moto

12 Molto vivace EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
IV: Hans Winterberg – Sonata for Violin and Piano (1936)
12 Molto vivace

V: Hans Winterberg – String Quartet No. 1 (1936)

13 Allegretto EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
V: Hans Winterberg – String Quartet No. 1 (1936)
13 Allegretto

14 Molto tranquillo EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
V: Hans Winterberg – String Quartet No. 1 (1936)
14 Molto tranquillo

15 Allegro vivace EDA 51: Hans Winterberg: Chamber Music Vol. 1
V: Hans Winterberg – String Quartet No. 1 (1936)
15 Allegro vivace

"Der einzig menschenwürdige Platz"

Es dürfte wenig vergleichbare "ver-rückte" Biografien in der Musikgeschichte geben, und doch ist Hans Winterbergs Vita paradigmatisch für die Wirrnisse und Schrecken des europäischen 20. Jahrhunderts, das er nahezu vollständig durchlebte und durchlitt. Geboren ist er 1901 in Prag, gestorben 1991, kurz vor seinem 90. Geburtstag, in Steppberg, einem kleinen, zwischen Nürnberg und München gelegenen oberbayerischen Städtchen. Hans, oder Hanuš Winterberg, wie er sich in den 1920er und 1930er Jahren auch schreibt, gebühren Plätze sowohl in der österreichischen, in der tschechischen wie in der deutschen, vor allem aber in einer europäischen Musikgeschichtsschreibung. Erstere sind ihm verwehrt geblieben, letztere gilt es erst noch zu schreiben. Ihr zu klingender Evidenz zu verhelfen, ist eines der Anliegen unseres Labels. Mit diesem Vol. 1 einer Hans Winterberg gewidmeten Serie wollen wir einen weiteren wichtigen Komponisten ehren, dessen Schaffen aus der Perspektive nationaler Musikgeschichtsschreibung schwer verortet werden kann, dessen Bedeutung aber aus einer transnationalen Perspektive nicht hoch genug einzuschätzen ist.

Hans Winterberg ist ein Kind der Habsburger Monarchie, eines Vielvölkerstaates, in dem eine Vielzahl an Ethnien, Sprachen, Kulturen und Religionen nebeneinander existiert und miteinander auskommt. Österreich-Ungarn ist bis zu seinem Untergang am Ende des 1. Weltkriegs das Gegenteil einer Nation im "modernen" Sinne – eines Staatsgebildes, das sich durch ethnische, sprachliche und religiöse Homogenität auszeichnet, wie sie von identitären Bewegungen damals wie heute – gegen alle Dynamik der Geschichte – gefordert wird. Hans ist Spross einer assimilierten jüdischen Familie. Der Vater betreibt mit seinem Schwager eine Tuchfabrik im Norden Böhmens. Die Familie ist, wie die meisten der in Böhmen angesiedelten Juden seit der Regierungszeit Maria Theresias, deutschsprachig. Deutsch ist bis zur Proklamation der Tschechoslowakei am Ende des Ersten Weltkriegs Schul- und Amtssprache. Auf Deutsch schreiben Prager Literaten wie Franz Kafka, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Egon Erwin Kisch und Gustav Meyrink. Werfel gehört zu den bevorzugten Dichtern des Liedkomponisten Winterberg in den 1930er Jahren. Als pianistisches Wunderkind erhält Hans Unterricht bei der renommierten Pianistin Therese Wallerstein. Ab 1920 studiert er an der neu gegründeten Deutschen Akademie für Musik und darstellende Kunst: Komponieren bei Fidelio F. Finke, Dirigieren bei Alexander von Zemlinsky, der neben seinem Posten als Musikdirektor des Neuen Deutschen Theaters auch die Akademie leitet. Nach dem Abschluss arbeitet Winterberg zunächst als Korrepetitor und Dirigent an den Theatern in Brünn und Gablonz.

1930 findet in der Tschechoslowakei ein erster Zensus statt, um die Zusammensetzung der Ethnien und Sprachen des Landes zu erfassen. Winterbergs Familie deklariert sich, obwohl seit Jahrhunderten zum deutschsprachigen Prager Judentum gehörend, als tschechisch. Es ist nicht mehr zu ergründen, ob dies mit Loyalität gegenüber der prosemitischen Regierung Tomáš Masaryk zu erklären ist oder aus reinem Pragmatismus: Winterbergs Vater ist wohl auch auf Staatsaufträge angewiesen. Vielleicht will man nicht noch zu einer weiteren Minderheit gehören, denn die deutschsprachige Bevölkerung ist nach 1918 nicht mehr die dominierende Kraft in Politik und Kultur. 1930 heiratet Hans die Pianistin und Komponistin Maria Maschat, Interpretin seiner Werke über den Krieg hinaus. 1935 kommt die gemeinsame Tochter Ruth zur Welt. Die Ehe mit einer deutschen "Arierin" schützt Hans Winterberg nach der Annexion der sogenannten Rest-Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland 1939 zunächst. Sogenannte privilegierte "Mischehen" sorgen aber bestenfalls für einen Aufschub der Maßnahmen, die die Auslöschung der jüdischen Bevölkerung zum Ziel haben. Winterbergs Ehe wird erstaunlicherweise erst 1944 zwangsgeschieden. Vielleicht hält jemand eine schützende Hand über ihn, denn als Zwangsarbeiter wird er erst im Januar 1945 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Das rettet ihm das Leben. Mit Ausnahme von Walter Süsskind und Walter Kaufmann, die sich 1938 nach England bzw. Indien retten können, und Karel Ančerl, der Auschwitz überlebt, wird die gesamte tschechisch-jüdische Musikerelite in Herbst 1944 von Theresienstadt aus nach Auschwitz in den Tod geschickt. Erwin Schulhoff, der in diesem Zusammenhang noch zu nennen ist, stirbt bereits 1942 in einem Internierungslager in Bayern.

1945, Stunde Null. Hans Winterberg steht vor dem Nichts. Seine Mutter ist, wie auch seine Klavierlehrerin Therese Wallerstein, 1942 im weißrussischen Vernichtungslager Maly Trostinec ermordet worden. Sein Vater Rudolf starb bereits 1932, dessen Firma wurde 1939 zwangsenteignet. Das Leben von Rudolf Winterbergs Schwager Hugo Fröhlich endet in Dachau. Die jüdischen Freunde und Kollegen sind tot oder im Exil; die anderen im Krieg gefallen, oder im Zuge der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei nach Deutschland geflohen. Übergriffe und Massaker an den 'Sudetendeutschen', als die sie summarisch bezeichnet werden und die man unterschiedslos für Hitlers Vernichtungspolitik verantwortlich macht, gipfeln im März 1946 in der Ratifizierung der sogenannten Beneš-Dekrete – eine Maßnahme zur Vertreibung aller Bürger, die sich im Zensus von 1930 als deutsch oder ungarisch haben registrieren lassen. Dazu gehören auch Maria Maschat und die gemeinsame Tochter Ruth, die nach Bayern flüchten. Hans Winterberg aber, als jüdischer Zwangsarbeiter und KZ-Insasse staatenlos, erlangt, da sich seine Familie 1930 als tschechisch deklarierte, im Sommer 1945 die tschechische Staatsbürgerschaft zurück. Bis heute sind seine Lebensumstände in der Zeit bis zu seiner Emigration ungeklärt, was er tut und wovon er lebt. Und warum er erst 1947 seiner Frau und Tochter nach Bayern folgt. Sicher: für einen Überlebenden der Shoah ist Deutschland 1945 nicht gerade das Ziel aller Träume. Die Wege der jüdischen Emigration führen eher nach Israel, Großbritannien, in die Sowjetunion oder in die USA. Winterberg lässt sich Ausreiseerlaubnisse ausstellen mit der Begründung, seine vor der Deportation im europäischen Ausland in Sicherheit gebrachten Partituren zurückholen zu wollen. Nach der zweiten oder dritten Fahrt ins kriegszerstörte München kehrt er nicht mehr nach Prag zurück.

Für Hans Winterbergs Entscheidung, 1947 nach West-Deutschland zu emigrieren, sprechen familiäre und berufliche Gründe. Maria Maschat lebt mit Tochter Ruth seit der Vertreibung aus der Tschechoslowakei in München. Wenn die Ehe auch ohne Zwangsscheidung schon während des Krieges auseinandergegangen zu sein scheint, sind Maria Maschat und Ruth doch Winterbergs engste überlebende Angehörige. Und wichtige berufliche Kontakte aus der Vorkriegszeit sind inzwischen auf Posten im deutschen Musikleben. Vermutlich wird aber auch die sich abzeichnende Machtübernahme der Kommunisten die Perspektive eines Weiterlebens in der Tschechoslowakei endgültig zunichte gemacht haben. Hans Winterberg, der Shoah-Überlebende mit dem tschechischen Pass, lässt sich bei seiner Ankunft als Flüchtling registrieren, der er de facto nicht ist. Seine Kennkarte weist ihn zunächst als staatenlos aus, dann macht man ihn zum "Volksdeutschen". Es folgt ein jahrelanges Ringen mit den deutschen Behörden, bis er 1950 durch die Ehe mit einer Gesangsstudentin die deutsche Staatsbürgerschaft erhält. Als KZ-Überlebender wird er einmalig mit wenigen tausend Mark entschädigt, eine Wiedergutmachung für seine Mutter lehnen die Behörden ab: er sei zum Zeitpunkt ihrer Ermordung älter als 16 Jahre gewesen. Maria Maschat, die als Pianistin wieder Fuß gefasst hat, verhilft ihm mit ihren Kontakten zu Jobs als freier Mitarbeiter beim Bayerischen Rundfunk und am Richard-Strauss-Konservatorium in München. Winterberg vernetzt sich mit ehemaligen Freunden aus Prag, wie Fritz Rieger, der nach seiner Position als Chefdirigent in Mannheim 1949 die Münchner Philharmoniker übernimmt. Mit dem Mannheimer Orchester bringt Rieger 1949 Winterbergs 1. Symphonie zur Uraufführung, und mit den Münchner Philharmonikern ein Jahr später das 1. und dann auch das 2. Klavierkonzert sowie den Symphonischen Epilog, mit dem Winterberg der Opfer der Shoah gedenkt.

Heinrich Simbriger, ein Studienkollege Winterbergs in der Klasse Finkes, Gründer des Musikarchivs der Künstlergilde Esslingen, aus dem später das Sudetendeutsche Musikinstituts hervorgeht, wird in den 1950er Jahren so etwas wie ein rettender Anker für Winterberg, der sich nun in den Dunstkreis der Sudetendeutschen Landsmannschaft begibt. Eine zweischneidige Sache, denn Simbriger versucht, ihn zu einem der ihren zu machen. Winterberg spielt das Spiel mit, von ständigen Existenzängsten geplagt, später sicher auch von seiner vierten Frau Luise-Maria Pfeifer gedrängt – einer Sudetendeutschen. Diese bringt einen Sohn aus ihrer ersten Ehe mit einem SS-Mann in die Beziehung, Christoph, den Winterberg adoptieren wird. In den 1960er Jahren überwirft sich Winterberg mit seiner psychisch schwer kranken Tochter Ruth, lernt deren Sohn Peter, seinen Enkel, nie kennen. Christoph macht er zu seinem Alleinerben, der Winterbergs Nachlass 2002 dem Sudentendeutschen Musikinstitut verkauft. Christoph, der in München ein Antiquariat betreibt, ist offenbar hochgradig paranoid und von antisemitischen Ressentiments getrieben. Winterbergs musikalisches Vermächtnis lässt er mit einer Sperrklausel versehen: bis Ende 2030 darf niemand von dessen Existenz erfahren, die jüdische Abstammung des Komponisten gilt es kategorisch zu unterschlagen.

Dass Hans Winterbergs Musik nicht weiter im Hochsicherheitstrakt eines deutschen Musikarchivs vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt wird, ist seinem Enkel Peter Kreitmeir zu verdanken. Dessen Vater trennt sich nur wenige Monate nach Peters Geburt von seiner Frau, Winterbergs Tochter Ruth. Peter, der bei seinem Vater aufwächst, hat zu seiner Mutter zeitlebens keinen Kontakt. Er weiß von seinem Großvater nur vom Hörensagen und hat von der Existenz eines Stiefonkels keine Ahnung. 2004 macht er sich auf die Suche nach seinen Wurzeln, nach der Familie seiner Mutter, nach seinen Prager Vorfahren. Es wird eine Odyssee. Jahre dauert es, bis er erstmals vor dem gesperrten Nachlass seines Großvaters im Sudetendeutschen Musikinstitut in Regensburg steht. An die hundert Kompositionen aus sechs Jahrzehnten: ein Dutzend symphonische Werke, vier Klavierkonzerte, Ballette, Kammermusik, Lieder, Klavierwerke. Ein unglaublicher Schatz. Durch Kreitmeirs Insistieren hebt Christoph Winterberg die Sperrklausel auf. Die Beschäftigung mit einem verschollenen Protagonisten der klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts kann beginnen.

Hans Winterberg hatte zu Lebzeiten keinen Verlag, d.h. von keiner einzigen seiner Kompositionen lag eine gedruckte Ausgabe, will heißen eine Fassung "letzter Hand" vor. Für alle auf dieser CD präsentierten Werke – vier davon in Ersteinspielungen – wurden im Rahmen der Kooperation zwischen dem Exilarte Zentrum der Musikuniversität Wien und dem Musikverlag Boosey & Hawkes Neueditionen erstellt. Die Quellenlage ist von Werk zu Werk unterschiedlich und in den vielen Fällen aufgrund von Divergenzen zwischen den Quellen und Uneindeutigkeiten hinsichtlich Dynamik und Phrasierung nicht ganz unproblematisch. Bei Werken, die zu Lebzeiten des Komponisten nie zur Aufführung kamen, wie etwa das 1. Streichquartett (Symfonie für Streichquartett) von 1936, ist über eine definitive Fassung, die möglicherweise im Probenprozess entstanden wäre, nur zu spekulieren. Allerdings gibt das Aufführungsmaterial von Werken, die Winterberg selbst mit Interpreten erarbeitet hat, keinen Hinweis darauf, dass er später noch grundsätzliche Änderungen gegenüber seiner Reinschrift vornahm.

Winterbergs dokumentiertes, d.h. erhaltenes Schaffen erstreckt sich über fast sechzig Jahre von der Suite für Klavier von 1928 bis zu den letzten Klavierstücken von 1984/85. Sein musikalischer Kosmos ist eine Symbiose vorbewusster, d.h. in der Kindheit erfahrener Prägungen, und bewusster Aneignungen, die sein die Grenzen nationaler Beschränkungen transzendierendes kulturelles Bewusstsein widerspiegeln. In einem Brief an Wolfgang Fortner – in dessen Funktion als Leiter der Musica Viva Konzerte des Bayerischen Rundfunks – vom 6. Dezember 1967 skizziert er seinen künstlerischen Werdegang:

"Ich habe als Komponist alle in unserem Jahrhundert auftretenden Musikströmungen kennengelernt und darin auch gearbeitet, angefangen vom Impressionismus über den Expressionismus der zwanziger Jahre, in welcher Zeit allerdings auch schon die atonale Linie der seriellen Komposition Arnold Schönbergs und seiner Nachfolger entstand. Ich habe seit meiner Emigration von Prag nach Deutschland (nach dem zweiten Krieg) auch sämtliche neuartige Strömungen aufmerksam verfolgt. Trotzdem habe ich mich nach vielen Umwegen, erst jetzt in eine Richtung hineingefunden, die so etwas wie einen neuen Weg, eine neue, vielleicht sehr freie Variante der seriellen Komposition darstellt."

Tritt der Einfluss Schönbergs etwa in den Klavier-Intermezzi von 1929 noch deutlich zutage, so hat Winterberg spätestens Mitte der 1930er zu seinem ganz eigenen Stil gefunden, dessen Potential er in den kommenden Jahrzehnten konsequent auslotet, wie die Auswahl der auf dieser CD vereinten Werke exemplarisch zeigt. Neben der Fähigkeit zur Integration heterogenen Materials (was dessen Konfrontation nicht ausschließt), sticht vor allem Winterbergs ausgeprägtes Interesse an rhythmischen Prozessen hervor, wo er einen bei Janáček vorgezeichneten, für die westeuropäische Avantgarde aber untypischen (und erst beim späten Ligeti wieder dominant hervortretenden), ganz eigenen Weg geht. Treten Winterbergs stilistische Bezugspunkte – Debussy, Bartók, Schönberg und Hindemith – in seinen Kompositionen in sehr unterschiedlicher Ausprägung hervor, ist ihnen das Spiel mit polymetrischen und polyrhythmischen Prozessen doch allen gemeinsam. In einem Brief an Simbriger aus dem Jahr 1955 führt er dies auf die Prägung durch die musikalischen Traditionen seiner Heimat zurück, wenn er von "Spuren ostischer [sic!] Folklore vor allem in rhythmischen Momenten" spricht. Doch, so führt er weiter aus, "sind diese Elemente durchsetzt von einer Harmonik (besonders in meinen späteren Arbeiten), die durchaus westischen [sic!] Ursprungs ist, ich meine dies natürlich im weitestgehendsten [sic!] Sinne". Auch wenn ihn das von Simbriger erwartete Bekenntnis zur deutschen Kultur zu der Feststellung verleitet, dass er sich in seiner Harmonik an westlichen, vor allem an deutsch-österreichischen Vorbildern orientiert, so macht er doch in seiner Musik – am offensichtlichsten in den von tänzerischen Impulsen getragenen letzten Sätzen – keinen Hehl aus den Quellen, aus denen er schöpft. Die Nähe zur Musik eines Hans Krása oder Pavel Haas ist evident. Und hier vor allem wird deutlich, wie Winterberg nach dem Zweiten Weltkrieg eine Tradition fortführt bzw. weiterentwickelt, die mit der Vernichtung nahezu einer gesamten tschechischen Komponistengeneration abgerissen schien.

Im Archiv des Exilarte Zentrums in Wien sind Mappen mit Presseausschnitten aus dem Nachlass des Komponisten aufbewahrt, die Auskunft zur Aufführungsgeschichte seiner Kompositionen geben. Das Material zu den Kammermusikwerken ist spärlich. In einer eigenhändigen Werkliste, die Winterberg gegen Ende der 1960er Jahre anfertigte und dann immer wieder ergänzte, ist vermerkt, welche Werke zur Aufführung kamen und zu welchen Tonaufnahmen vorliegen. Allerdings ist diese Werkliste unvollständig, da Winterberg bereits zu seinen Lebzeiten Manuskripte abhandenkamen, die sein Enkel im Nachlass von Winterbergs zweiter Frau wiederfand. Bei einigen Kompositionen legt die Quellenlage nahe, dass es nie zu Aufführungen kam – wenn z.B. nur eine Partitur aber keine Einzelstimmen vorliegen.

Winterbergs Cellosonate von 1951, die die Werkauswahl auf dieser CD eröffnet (die wir aus Gründen der musikalischen Dramaturgie in entgegengesetzter Richtung des Zeitstrahls geordnet haben), hat der Komponist möglicherweise selbst bei einer Aufführung begleitet, wie es eine annotierte Kopie der Partitur nahelegt. Über den Cellisten oder die Cellistin, über Ort und Zeit des Konzertes oder auch spätere Aufführungen zu Winterbergs Lebzeiten ist nichts bekannt. Die Cellosonate – Winterbergs einziger Beitrag zu dieser Gattung – ist ein perfekt gearbeitetes, virtuoses, äußerst effektvolles aber auch tief bewegendes Stück, in dem die Charakteristika seines Personalstils modellhaft ausgeprägt sind, und das sich deshalb hervorragend für einen Einstieg in seinen Stil eignet. Mit der dreisätzigen Anlage und der kurzen Aufführungsdauer von nicht einmal 13 Minuten übt sich das Werk in neoklassizistischer Beschränkung – Geschwätzigkeit, Besinnlichkeit, romantischer Überschwang sind Winterberg fremd. Prägnanz und Knappheit gehen bei ihm aber immer einher mit Intensität und einer überbordenden Fülle an Aktion auf engem Raum. Es ist eine Musik, deren Sehnen bis zum Zerreißen gespannt sind. Der erste Satz führt uns ein in den schier unerschöpflichen Kosmos von Winterbergs rhythmischen Vexierspielen. Die metrische Eindeutigkeit des trotzigen, ja wütenden Marsches, mit dem der Satz anhebt, wird umgehend sabotiert. Bewundernswert, was Winterberg aus der ternären Zelle des für die tschechische Sprache wie für die tschechische Musik so charakteristischen jambischen Rhythmus entwickelt, der den draufgängerischen Seitensatz dominiert und der sukzessive auch das Marschthema überwuchert. Das beständige Konterkarieren der Taktschwerpunkte durch asynchrone Synkopierungen wird im dritten Satz auf die Spitze getrieben, wo eine kleine Manipulation in der Begleitung der linken Hand des Klaviers genügt, um uns für eine Schrecksekunde glauben zu machen, der Ragtime habe seine Ursprünge in der tschechischen Folklore. Die Hyperaktivität der Außensätze wird scharf kontrastiert durch einen meditativen, hochemotionalen langsamen Satz, eine große Gesangszene für das Cello, als wäre es ein "Souvenir de Prague" aus der Feder des späten Fauré, mit "tieferen Schatten" jedoch, "als wir sie aus der französischen Musik kennen".1

Fritz Riegers vermittelnde Tätigkeit lässt sich bis in die Entstehung von Kammermusikwerken nachvollziehen. Die Bratschensuite beispielsweise ist Dr. Carl Weymar gewidmet, dem Gründer der Bachwochen, bei denen Rieger seit ihrer Übersiedlung nach Ansbach 1948 regelmäßig zu Gast ist. Offenbar schreibt Winterberg das Stück dem Widmungsträger, der Bratscher war, in die Finger. Allerdings lässt die Quellenlage vermuten, dass es nie zu einer Aufführung kam. Winterberg konzipiert es ursprünglich für Harfe und Viola, gelangt aber wahrscheinlich "während der Arbeit an dem Werk zu der Erkenntnis, dass sich die an vielen Stellen notwendigen Pedalwechsel auf der Harfe kaum oder gar nicht in der geforderten Schnelligkeit realisieren lassen und sich der Part wohl deutlich besser auf dem Klavier spielen lässt".2 Die Suite ist – was vielleicht auch dem ursprünglichen Begleitinstrument geschuldet ist – das "impressionistischste" unter den auf dieser CD versammelten Werken, ein kleines Juwel, das den magischen und geheimnisvollen Charakter der Bratsche aufs Schönste zum Klingen bringt.

Die 1. Trompetensuite entstand 1945 in Prag nach Winterbergs Rückkehr aus Theresienstadt. Über eine Aufführung in seiner Heimatstadt ist nichts bekannt. Winterberg wird sie im Gepäck gehabt haben, als er sich 1947 zur Übersiedlung nach Bayern entschließt. Ob es sich bei der vom Münchner Studio für Neue Musik im Amerika-Haus organisierten Aufführung am 2. März 1950 um die Uraufführung handelte, ist ungewiss, da der Programmzettel die Aufführung nicht als solche kennzeichnet. Interessanterweise kam im selben Konzert neben Winterbergs Trompetensuite auch ein Liederzyklus von Maria Maschat zur Aufführung und Ausschnitte aus einer Klaviersuite des gerade 14-jährigen Hans Zender, dessen zartes Alter extra vermerkt ist. Die Interpreten der Suite waren der Trompeter Willy Brem und Agi Brand-Setterl, die im selben Jahr auch Winterbergs 1. Klavierkonzert mit den Münchner Phiharmonikern unter Fritz Rieger zur Uraufführung brachte. Wie bei der Cellosonate und der Trompetensuite ist auffällig, wie tief Winterbergs Verständnis für Charakter und Spielweise des Soloinstrumentes ist, wie geschickt und souverän er mit der "Idiomatik" der Trompete umgeht.

In Winterbergs handschriftlichem Werkverzeichnis ist als Kompositionsdatum seiner (einzigen) Violinsonate 1935 angegeben, auf dem Manuskript selbst notiert er "Prague, 18. XI 1936", wobei er aus unerklärlichen Gründen die französische bzw. englische Schreibweise verwendet statt der deutschen "Prag" oder tschechischen "Praha". In Winterbergs Pressemappe findet sich eine undatierte Besprechung einer Aufführung vor dem Krieg, in der weder der Ort noch Interpreten genannt sind. Papier und Schrifttype lassen aber darauf schließen, dass es aus dem deutschsprachigen Prager Abendblatt stammt. Der Rezensent konstatiert dem Komponisten, dass er "alle spieltechnischen Möglichkeiten des geigerischen Apparates" ausnützt und "im motivischen Mosaik auch nicht auf sichere Klangeffekte verzichtet." Die Sonate ist dabei alles andere als ein vordergründiges Bravourstück. Wie auch in der zeitgleich entstandenen 1. Symphonie, in der Winterberg später eine Vorahnung der kommenden Katastrophe ausgedrückt sah, aber auch im 1. Streichquartett, beeindruckt Winterbergs unkonventioneller Umgang mit den tradierten Formen. Der gewichtige Kopfsatz, an Umfang so lang wie der zweite und dritte zusammen, beginnt mit einer präludierenden Introduktion und einem sich anschließenden ausgedehnten Prozess der Themenfindung. Aus einfachen intervallischen Konstellationen kristallisieren sich allmählich zwei melodische Wendungen heraus, die den weiteren Verlauf des Satzes dominieren: ein kreisendes Fünftonmotiv, das den Tonraum einer großen Terz sukzessive chromatisch füllt, dann eine absteigende diatonische Formel, die stark an das Volkslied "Schlaf, Kindlein schlaf" erinnert, der wir auch in späteren Werken Winterbergs wiederbegegnen. Der ursprüngliche Elan versiegt zunehmend und weicht einer melancholischen Nachdenklichkeit, bis der Satz schließlich in einem unentschlossenen Schwebezustand geradezu einfriert. Auch der zweite Satz will sich nicht auf einen Grundcharakter festlegen, beginnt unerbittlich wie eine Passacaglia und streng "wie ein Kondukt", die Violine spielt sich aber frei und kann das Klavier sogar zu einem lyrischen Dialog überreden, bevor beide wieder zur Gravitas des Anfangs zurückfinden. Unverhohlen folkloristisch gibt sich der ungestüme, bisweilen ruppig aufspielende letzte Satz, ein Rondo mit stark kontrastierenden Abschnitten und einer Fülle an vertrackten polyrhythmischen Schichtungen, die dem Hörer, der mit den sehr spezifischen Herausforderungen von Winterbergs Musik inzwischen vertraut ist, ganz neue Aspekte des Hörgenusses offenbaren.

Winterbergs 1. Streichquartett von 1936 – vom Komponisten Symfonie für Streichquartett betitelt – hat eine sonderliche, im Kontext von Winterbergs kafkaesker Biografie aber irgendwie auch typische Geschichte. Winterberg war es gelungen, das Manuskript über den Krieg zu retten und auch bei seiner Übersiedlung nach München 1947 mitzunehmen. Allerdings vergaß er es bei seiner zweiten Frau, der Sängerin Heidi Ehrengut, die ihm durch die Heirat 1950 zur deutschen Staatsbürgerschaft verholfen hatte, nach ihrer Trennung. Offenbar konnte er sich nicht daran erinnern, als er Ende der 1960er Jahre sein Werkverzeichnis anlegte, in dem das Stück – wie auch andere bei ihr zurückgelassene – fehlt. So kam es, dass das Manuskript nicht zum Nachlass gehörte, der 2002 seinen unrühmlichen Weg ins Sudetendeutsche Musikarchiv fand. Peter Kreitmeir stieß erst bei eigenen Recherchen darauf. Allerdings fehlte in dem Notenkonvolut die letzte Seite, die fälschlicherweise einem anderen Manuskript zugeordnet war. Dieser Teil des großen Winterberg-Puzzles konnte erst vor kurzem, nachdem das Amernet Quartet seine Winterberg-Produktion (Toccata Classics) bereits abgeschlossen hatte, bei Recherchen gelöst werden.

Winterbergs erstes Streichquartett ist vielleicht sein komplexestes, anspruchsvollstes Werk aus der Vorkriegszeit, und es erfüllt uns mit Dankbarkeit und Ehrfurcht, dieses Juwel – "ein Meisterwerk nicht nur der tschechischen Musik, sondern des gesamten Streichquartettrepertoires des 20. Jahrhunderts"3 – fast neunzig Jahre nach seiner Entstehung bergen und zum Leuchten bringen zu dürfen. Hinsichtlich der interpretatorischen Herausforderungen und der Besonderheiten seines stilistischen Ansatzes bewegt es sich auf der Schnittstelle zwischen den Quartetten Janáčeks und dessen Schüler Pavel Haas und den Quartettkompositionen der Protagonisten der 2. Wiener Schule. Zu der Ästhetik des Prager Viertel- und Sechsteltonkomponisten Alois Hába, bei dem Winterberg Ende der 1930er Jahre noch einmal ein Zusatzstudium absolvierte, lassen sich hingegen kaum Verbindungen feststellen. Wer das Faszinosum von Winterbergs Musik verstehen oder, noch besser, darin eintauchen und sich von ihm mitreißen lassen will, muss seinem Ohr Zeit lassen, sich auf eine andere, neue Gewichtung der Parameter einzulassen. Sind wir von der Renaissance bis zur Avantgarde der 1920er Jahre geschult worden, uns vor allem auf melodische und harmonische Prozesse zu konzentrieren, die von einem Rhythmus getragen werden, so bekommt der Rhythmus bei Winterberg eine primordiale Bedeutung, wie er sie seit der Musik des späten Mittelalters in der europäischen Kunstmusik nicht mehr hatte. Harmonische und melodische Entwicklungen dienen über weite Strecken geradezu als "Kontrastmittel", um rhythmische Prozesse, rhythmische Komplexität erfahrbar zu machen.

Mit Winterbergs 1. Symphonie verbindet die Quartett-"Symfonie" die verschleierte Dreisätzigkeit – verschleiert, da es keine in sich abgeschlossenen Sätze gibt, wohl aber eine latente Dreiteiligkeit, die sich durch einschneidende Tempo- und Charakterwechsel (Molto tranquillo – Allegro Vivace) manifestiert. Während der langsame Mittelteil sich von den beiden Außensätzen klar absetzt, greift der dritte Teil Material und Prozesse des ersten wieder auf und schließt zyklisch mit einer Reminiszenz des Beginns des Werkes, wodurch sich eine große übergeordnete dreiteilige Liedform ergibt: A – B – A'.

In einem Gespräch mit seiner vierten Frau, der Malerin und Dichterin Luise-Maria Pfeifer, am 23. März 1977, dem Tag seines 76. Geburtstags auf Tonband aufgezeichnet, sinniert Winterberg über die Fragen von Musik und Identität und die Problematik seiner eigenen, aus dem pluralistischen Kosmos der k. & k. Kultur vertriebenen künstlerischen Existenz. "Wenn einer nicht eine Nation vertritt und in sich fühlt, dann ist er sozusagen eine Null, dann ist er nichts", resümiert er bitter, um dann über den Konsequenzen dieser Feststellung regelrecht zu explodieren: "Was heißt Nationalität? Was ist denn das für ein rückständiger, verquerer Begriff!" Der nur wenige Monate vor Winterberg geborene und nur wenige Monate nach Winterberg gestorbene österreichische Komponist Ernst Krenek brachte am Ende seines Lebens die Crux des Exilschicksals ironisch und treffend auf den Punkt, und sein Fazit trifft uneingeschränkt auch auf Winterberg zu, auch wenn die biografische Demarkationslinie beim einen ein Ozean und beim anderen ein Eiserner Vorhang war: "Im Lauf der letzten zwanzig Jahre habe ich oft mit der Idee gespielt, es müsse doch möglich sein, als Weltbürger, als Österreicher und Amerikaner zu existieren, doch das ist gewiss eine Schimäre, die dem Druck der Realität nicht standhält. Das Resultat ist, dass man zwischen zwei Kontinenten schwebt oder zwischen zwei Stühlen sitzt, was sich schließlich als der einzig menschenwürdige Platz ausweisen mag."4

Für weitere Informationen zu Leben, Nachleben und zum Schaffen von Hans Winterberg besuchen Sie bitte die Website seines Enkels Peter Kreitmeir: https://kreitmeir.de/petersuchtmama, den Blog von Michael Haas https://forbiddenmusic.org/2021/05/27/the-winterberg-puzzles-darker-and-lighter-shades sowie die Website seines Verlages Boosey & Hawkes www.boosey.com/Winterberg.

Frank Harders-Wuthenow

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1  Michael Haas, Vorwort zur Ausgabe, Boosey & Hawkes, Berlin 2024.

2  Holger Groschopp, editorischer Bericht zur Erstausgabe, Boosey & Hawkes, Berlin 2024.

3  Michael Haas, Vorwort zur Erstausgabe, Boosey & Hawkes, Berlin 2024.

4  Ernst Krenek, "Von Kakanien zur Wahlheimat", in: Das Jüdische Echo, Wien 1990.

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