EDA 19: Franz Schreker’s Masterclasses in Vienna and Berlin – Vol.2: Piano Sonatas
III: Grete von Zieritz – Sonata (1928) Bitte wählen Sie einen Titel, um hineinzuhören
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I: Karol Rathaus – Sonata no. 1 in C minor op. 2 (1920)
1 Grave e maestoso
EDA 19: Franz Schreker’s Masterclasses in Vienna and Berlin – Vol.2: Piano Sonatas
I: Karol Rathaus – Sonata no. 1 in C minor op. 2 (1920) 1 Grave e maestoso 2 Lento con espressione
EDA 19: Franz Schreker’s Masterclasses in Vienna and Berlin – Vol.2: Piano Sonatas
I: Karol Rathaus – Sonata no. 1 in C minor op. 2 (1920) 2 Lento con espressione 3 Scherzo. Presto
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I: Karol Rathaus – Sonata no. 1 in C minor op. 2 (1920) 3 Scherzo. Presto 4 Finale. Grave – Allegro energico
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II: Jerzy Fitelberg – Sonata no. 1 (1926)I: Karol Rathaus – Sonata no. 1 in C minor op. 2 (1920) 4 Finale. Grave – Allegro energico 5 Sonate no. 1
EDA 19: Franz Schreker’s Masterclasses in Vienna and Berlin – Vol.2: Piano Sonatas
III: Grete von Zieritz – Sonata (1928)II: Jerzy Fitelberg – Sonata no. 1 (1926) 5 Sonate no. 1 6 Allegro
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III: Grete von Zieritz – Sonata (1928) 6 Allegro 7 Adagio
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III: Grete von Zieritz – Sonata (1928) 7 Adagio 8 Allegretto grazioso
EDA 19: Franz Schreker’s Masterclasses in Vienna and Berlin – Vol.2: Piano Sonatas
III: Grete von Zieritz – Sonata (1928) 8 Allegretto grazioso Als Franz Schreker im Herbst 1920 die Leitung der Staatlichen Akademischen Hochschule für Musik in Berlin übernahm, folgten ihm die meisten seiner Wiener Kompositionsstudenten in die deutsche Metropole, deren Musikleben in den 1920er Jahren dank seiner immensen Vielfalt wie ein Magnet auf junge Komponistenpersönlichkeiten wirkte. So setzten auch Alois Hába, Ernst Krenek und Karol Rathaus ihre in Wien begonnenen Kompositionsstudien bei Schreker in Berlin fort – Studien, deren Lehrplan Alois Hába in seinem autobiographischen Buch Mein Weg zur Viertel- und Sechsteltonmusik skizziert: "...von der zwei- und dreiteiligen Liedform über Präludium, Fuge, Scherzo, Rondo, Variation zur Sonatenform fortzuschreiten, stets in dem Bestreben, den Weg aus der traditionell schulmäßigen zur künstlerisch selbständigen Gestaltung mit stark alterierter Harmonik und Melodik zu finden, kurz gesagt: über Bach, Schumann, Reger zu einer persönlichen Ausdrucksweise zu gelangen." Angesichts dieser Konzeption von Schrekers Kompositionsunterricht überrascht es kaum, dass die meisten seiner Wiener und Berliner Studenten – von denen nicht wenige selbst exzellente Pianisten waren und manche sich später sogar primär pianistischen oder dirigentischen Aufgaben zuwandten (bzw. im Exil zuwenden mussten) – während ihrer Studienzeit bedeutende Klaviersonaten schufen, die in ihrer faszinierenden Vielgestaltigkeit, ja Gegensätzlichkeit die ästhetische Liberalität von Schrekers pädagogischem Wirken eindrucksvoll reflektieren. So würdigt Berthold Goldschmidt, der wie Jerzy Fitelberg von 1922 bis 1926 bei Schreker studierte, im Gespräch mit Thomas Voigt (Opernwelt März 1994) das stilistische Einfühlungsvermögen und die Toleranz seines Lehrers: "Hingegen ließ Schreker jedem seiner Schüler seine Individualität. Wenn zum Beispiel Ignaz Strasfogel eine Sonate hervorbrachte, dann versetzte sich Schreker ganz in dessen Mentalität, sagte zum Beispiel: 'Das Thema ist doch sehr gut, das müßtest du noch weiter entwickeln.' Darum hat Schreker so viele Schüler gehabt, die alle ihre eigene Sprache hatten." Die drei Sonaten der vorliegenden Einspielung dokumentieren exemplarisch den liberalen Geist von Schrekers Kompositionsklasse, in der so gegensätzliche Werke wie die monumentale, noch der Spätromantik verbundene Sonate c-Moll op. 2 von Karol Rathaus, die in linearer Transparenz pointierte, Strawinsky-nahe einsätzige 1. Sonate von Jerzy Fitelberg und die hochdramatische, in origineller Gratwanderung zwischen Tradition und Experiment gestaltete Sonate von Grete von Zieritz entstehen konnten. Spiegeln diese drei Klaviersonaten unterschiedliche ästhetische Positionen, wie sie gerade für die pluralistisch geprägten 1920er Jahre charakteristisch sind, so ist ihre Veröffentlichung bzw. Nichtveröffentlichung nicht nur für die jeweilige Werkrezeption aufschlussreich, sondern dokumentiert auch indirekt die Wandlung der Beziehung Schrekers zu 'seinem' Verlag, der Wiener Universal Edition. So bot sich den meisten von Schrekers Wiener Kompositionsstudenten – Wilhelm Grosz, Alois Hába, Ernst Kanitz, Ernst Krenek, Felix Petyrek, Karol Rathaus, Josef Rosenstock und Franz Salmhofer – durch Schrekers Vermittlung die Gelegenheit, bei der unter Emil Hertzka vor allem an jungen Autoren interessierten Universal Edition zu publizieren und somit breiteren Kreisen bekannt zu werden. Als in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre Schrekers Ruhm von verschiedensten Anfeindungen allmählich überschattet wurde und sein Einfluss bei der Universal Edition (die Schrekers Oper Christophorus, Hauptwerk seiner Berliner Jahre, ablehnte) spürbar nachließ, gab es auch für Schrekers Schüler nur noch wenig Hoffnung auf Zusammenarbeit mit diesem Verlag. Während Karol Rathaus' 1. Klaviersonate op. 2 1921 als sein erstes Werk bei Universal Edition erschien, gelangte Jerzy Fitelbergs 1. Klaviersonate erst 1933, sieben Jahre nach ihrer Entstehung, zur Veröffentlichung bei Max Eschig, Paris. Grete von Zieritz' Klaviersonate von 1928 ist bis heute ungedruckt geblieben: Sollte sich Schrekers Prognose, die seine hochbegabte Studentin selbst verbürgt hat, "Schade, daß sie kein Mann ist, sie wird es sehr schwer haben!" schließlich doch bewahrheiten? Karol Rathaus, geboren am 16. September 1895 in Tarnopol (Galizien), studierte in Wien und Berlin Komposition bei Franz Schreker, promovierte außerdem 1922 an der Wiener Universität zum Dr. phil. Bis 1932 lebte Rathaus in Berlin, wo er 1927 mit der Uraufführung seines Balletts Der letzte Pierrot einen bedeutenden Erfolg errang; seiner Oper Fremde Erde, die Erich Kleiber 1930 an der Berliner Staatsoper zur Uraufführung brachte, war hingegen kein nachhaltiger Erfolg beschieden. Bereits kurz vor der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 emigrierte Karol Rathaus nach Paris, 1934 nach London, bis er schließlich 1938 in die USA einreisen konnte. Es gelang ihm, 1940 eine Kompositionsprofessur am Queens College New York zu übernehmen, die er bis zu seinem frühen Tod am 21. November 1954 innehatte. "Es war im Sommer 1920, als nach der Berufung Franz Schrekers an die Staatliche Akademische Hochschule für Musik in Berlin die ersten Meldungen zur Aufnahme in seine Kompositionsklasse eintrafen. Junge Musikstudierende, die zum Teil schon in Wien bei Prof. Schreker studiert hatten, schickten ihre Papiere ein und baten um Zulassung zur Prüfung. Ich erinnere mich noch genau dieser Prüfung: da spielte Karol Rathaus zwei Sätze einer Sonate aus c-moll – die gleiche, die als op. 2 im Druck erschienen ist – und phantasierte und modulierte am Klavier, daß es eine Freude war, zuzuhören." So erinnert sich Georg Schünemann, damals stellvertretender Direktor der Berliner Musikhochschule, in seiner Würdigung Franz Schreker als Lehrer im Franz-Schreker-Heft der Musikblätter des Anbruch anlässlich des 50. Geburtstags von Schreker 1928. In der Tat: Karol Rathaus' große viersätzige Sonate op. 2 besticht allein schon durch ihre außergewöhnliche Virtuosität, die besonders in den Ecksätzen geradezu orchestrale Klangfülle evoziert. In Anlehnung an die russische Klaviertradition, namentlich an deren bedeutendste Repräsentanten um 1900 Sergej Rachmaninoff und Alexander Skrjabin, entwickelt Karol Rathaus einen Klavierstil, der bei aller Assoziation orchestraler Farben oder auch vokaler Momente gleichsam unübersetzbar dem genuin pianistischen Klangerlebnis verbunden bleibt und eine eminente Kenntnis des Instruments verrät. Der von Schünemann gerühmte modulatorische Erfindungsreichtum von Karol Rathaus zeichnet auch dessen 1. Klaviersonate aus, deren harmonisches Grundgerüst indessen ebenso wie die formale Konzeption enge Verbindung zu tradierten Mustern erkennen lässt. So folgt der 1. Satz in allen Details der klassischen Sonatenhauptsatzform mit ihren zwei gegensätzlich geprägten Themen, von denen das dramatische, mit großem Pathos deklamierte erste in c-Moll, das kontrastierende lyrische zweite Thema zunächst in der terzverwandten Tonart Es-Dur, in der Reprise dann in C-Dur erscheint. Es-Dur kristallisiert sich als Grundtonart des dreiteiligen 2. Satzes heraus, dessen aufbrausender Mittelteil von zwei in eigenartigem Zwielicht dämmernden ruhigen Abschnitten gerahmt wird. Jenes Zwielicht resultiert aus der harmonischen Ambivalenz der Tritonusspannung, die in der Wechselbewegung aus Akkordbrechungen in Es-Dur und A-Dur gleich zu Satzbeginn verankert ist. Dominantisch zum Es-Dur-Ausklang des 2. Satzes steht der 3. Satz, ein dämonisches Scherzo, in b-Moll – wiederum gewinnt ein Tritonus zu Satzanfang (c – ges) Bedeutung und verleiht dem Satz zunächst eine harmonische Instabilität, die jedoch mit der fortissimo einsetzenden Bassoktave eine eindeutige Orientierung erfährt. Più lento (Con sentimento) ist der nostalgisch anmutende Ges-Dur-Trioteil überschrieben – eine melancholisch gefärbte, bewusst romantisierende Episode, der als Kontrast die ungemein komplexe, zum Teil ziemlich dissonante Harmonik des rondoartigen Finale gegenübersteht. Bemerkenswert scheinen mir in dieser Sonate all die Anklänge an ostjüdischen Gesang, die sich schon im 1. Satz in der Überleitung zum zweiten Thema, vor allem aber in der weit ausschwingenden Melodie zu Beginn des 2. Satzes und in der melismatischen, um kleinste Intervallzellen kreisenden Bewegung zu Beginn des 3. Satzes erkennen lassen. Vielleicht können diese Momente im Sinne eines persönlichen Bekenntnisses von Rathaus zur spezifisch jüdischen Musiktradition seiner ostgalizischen Heimat verstanden werden, wie sie Rathaus' Jugendfreund Soma Morgenstern in seinen Erinnerungen In einer anderen Zeit (Lüneburg: zu Klampen 1995) eindrucksvoll schildert. "Was meine Sonate anbetrifft, ist folgendes: ich habe sie noch im Juni dem Stefan Askenase zur Aufführung übergeben. Er wird sie in dieser Saison in Berlin, Frankfurt, Hamburg, Mannheim, München, Wien und Warschau spielen." schreibt Karol Rathaus am 21. September 1920 noch aus Wien an Felix Petyrek (vgl. EDA 017-2), der Interesse an der Uraufführung von Rathaus' Sonate op. 2 signalisiert hatte. Ob Petyrek dann ungeachtet der entgangenen Uraufführungschance die Sonate trotzdem in sein Repertoire aufgenommen hat, lässt sich nicht nachweisen; indessen diente sein Exemplar des 1921 bei Universal Edition erschienenen Werkes als Quelle für die vorliegende Einspielung. Jerzy Fitelberg, Sohn des bedeutenden polnischen Dirigenten Grzegorz Fitelberg, zählt zu den heute noch ihrer Wiederentdeckung harrenden Komponisten aus Schrekers Berliner Klasse – kein Geringerer als Berthold Goldschmidt verlieh der Wertschätzung seines gleichaltrigen Studienkollegen beredten Ausdruck (vgl. Berthold Goldschmidt, Komponist und Dirigent. Hamburg: von Bockel 1994): "Jerzy Fitelberg war ein Mitschüler bei Schreker, sehr musikalisch, sehr geistreich, er konnte exzellent orchestrieren. [...] Ein Werk, das mich sehr beeindruckte, war sein [1.] Violinkonzert. Ich hörte es gespielt von Stefan Frenkel beim Pyrmont-Festival 1931, wo ich Marc Blitzstein und Aaron Copland traf. Das Violinkonzert war sehr sparsam und schön instrumentiert." 1922 kam Jerzy Fitelberg, geboren am 20. Mai 1903 in Warschau, als Student an die Berliner Musikhochschule, seine Kompositionslehrer waren dort sowohl Franz Schreker als auch dessen einstiger Schüler Walter Gmeindl. Bis 1932 konnte Jerzy Fitelberg mehrere Werke bei der Universal Edition veröffentlichen, 1933 ging er ins Exil nach Paris, wo sich neue Verlagskontakte zu Max Eschig anbahnten, 1940 floh er nach New York. Trotz Aufführungen durch berühmte Interpreten und Auszeichnungen seines Schaffens in Frankreich und USA geriet Jerzy Fitelbergs Oeuvre, das auch ungewöhnliche kammermusikalische Besetzungen umfasst, rasch nach seinem frühen Tod am 25. April 1951 in Vergessenheit. Die heutige Nicht-Rezeption der Musik Jerzy Fitelbergs bezeugt in trauriger Weise, wie lange Mechanismen politischer und ästhetischer Verdrängung nachwirken, sie beweist zugleich die Notwendigkeit der gewiss noch nicht als abgeschlossen zu betrachtenden Exilmusikforschung wie auch einer ideologiefreien, differenzierten Aufarbeitung der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts im allgemeinen. In seiner 1. Klaviersonate aus dem Jahre 1926 strebt Jerzy Fitelberg nach äußerster Konzentration gleichermaßen in Bezug auf die formale Gestalt wie im Hinblick auf den Klaviersatz, der von kristallin-klarer Polyphonie ganz im Geiste des Neobarock geprägt ist. Rasche Abfolge markant, zum Teil auch grotesk charakterisierter Segmente zeichnet die Sonate ebenso aus wie fantasievoller, stets organisch entwickelter Wechsel von tonalen, polytonalen und tonal ungebundenen Momenten fernab von jedem Akademismus: Auf engstem Raum verbindet sich Bach-inspirierte Satzstrenge in humorvoller, pianistisch brillanter Weise mit Elementen des Jazz und der Unterhaltungsmusik der 1920er Jahre, toccatenartige Motorik kontrastiert stockenden, synkopierenden Rhythmen. Der Gegensatz zwischen Karol Rathaus' pathetischer 1. Klaviersonate und Jerzy Fitelbergs extrem knapp gestalteter 1. Klaviersonate könnte kaum größer sein – Fitelbergs bewusste Abkehr von jeglichen Einflüssen der Spätromantik bzw. des Impressionismus ist typisch für die Aufbruchsstimmung der Komponistengeneration der nach 1900 Geborenen, denen – so erinnerte sich Berthold Goldschmidt – der Klangzauber von Schrekers Werken weit weniger verlockend schien als die rhythmische Kraft und Instrumentationskunst Strawinskys. Bemerkenswerte Parallelen offenbaren sich beim Vergleich von Fitelbergs 1. Klaviersonate mit dem Finale von Goldschmidts ebenfalls 1926 entstandener Klaviersonate op. 10; ein ähnlich lichter, an barocken Vorbildern orientierter transparenter Klaviersatz findet sich in der Suite (1928) von Zdenka Ticharich, die 1923 bis 1925 bei Schreker studierte. Somit stellt Fitelbergs 1. Sonate, deren früheste nachweisbare Aufführung am 17. Juli 1928 im Rahmen eines Vortragsabends der Kompositionsklasse von Walter Gmeindl im Konzertsaal der Hochschule für Musik Berlin durch Kurt Appelbaum stattfand, nicht nur ein charakteristisches Werk für stilistische Vorlieben in Schrekers Kompositionsklasse der mittleren 1920er Jahre, sondern auch für wesentliche, antiromantische Tendenzen der Musik jenes Jahrzehnts dar. "Wirklich glücklich war ich nur bis zu meinem 17. Lebensjahr. Von diesem Zeitpunkt an begann für mich ein harter, unerbittlicher Lebenskampf." Mit diesen Worten umriss Grete von Zieritz kurz vor ihrem 90. Geburtstag im Interview mit Ursula Weck (vgl. Grete von Zieritz: Komponistenportrait - Werkverzeichnis, herausgegeben von Ursula Stürzbecher, Berlin: Ries & Erler 1989) ihre Lebenssituation als Komponistin, als überzeugte Individualistin fernab aller stilistischer Moden und Rezeptionsmechanismen. "Trotzdem sind gemischte Programme so wichtig; denn reine Komponistinnenkonzerte können die Gleichberechtigung nicht unter Beweis stellen", betont Grete von Zieritz im selben Interview und verweist damit zurecht auf ein Desiderat, das noch heute – 2001 – namentlich im sinfonischen Bereich seiner Erfüllung harrt. Als Grete von Zieritz, geboren am 10. März 1899 in Wien, 1921 Franz Schreker kennenlernte, hatte sie bereits ihr Kompositionsstudium bei Roderich von Mojsisovics in Graz mit Auszeichnung abgeschlossen und mit der Uraufführung ihrer Japanischen Lieder in Berlin – ihrer Wahlheimat seit 1917 – nachhaltigen Erfolg errungen. Trotz eminenter pianistischer Fähigkeiten stand für Grete von Zieritz schon damals die Komposition im Vordergrund ihrer künstlerischen Interessen, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die es als Frau damals in dieser vermeintlichen Männerdomäne zu meistern galt. "Wenn Sie zu mir in meine Klasse kommen, so hoffe ich, immerhin in der Lage zu sein, Sie in möglichst weit gehender Weise zu unterstützen. [...] Ich selbst werde Ihnen, wenn Sie einmal an der Schule sind, gern mit Rat und Tat behilflich sein." So schreibt Franz Schreker am 3. Oktober 1921 an Grete von Zieritz, der es jedoch erst 1926 gelang, ein weiterführendes Kompositionsstudium bei Schreker an der Berliner Musikhochschule aufzunehmen. Grete von Zieritz gehörte bis 1931 Schrekers Kompositionsklasse an, zeitlebens bewahrte sie ihrem eigentlich prägenden, zweiten Kompositionslehrer Dankbarkeit und Wertschätzung, wie sie im folgenden Brief der Komponistin an den Verfasser vom 1. November 1991 anklingen: "Sie [die Klaviersonate von 1928] ist ein absoluter Beweis für Schreker als Lehrer, der ja – wie Sie wissen – das zweite Thema des ersten Satzes 15 mal abgelehnt hat, bis er das 16. Thema als für die Durchführung geeignet erachtete. Diese Tatsache hat mich verstärkt zur Selbstkritik erzogen und ist ein gutes Beispiel dafür, was ich [in] den fünf Jahren bei Schreker gelernt habe. Nachdem sie entstanden war bat Schreker mich, den zweiten Satz dem zufällig anwesenden administrativen Direktor der Hochschule, Schünemann, vorzuspielen, weil es 'ein gutes Stück' sei. Schünemann sagte anschließend: 'Das ist wirklich ein schönes Adagio – Nicht zu kurz und nicht zu lang'. Er hatte gerade Hindemith an die Hochschule geholt. Die Klaviersonate habe ich selbst öffentlich gespielt." In der Tat sind zwei Aufführungen der Klaviersonate am 24. Oktober 1930 in Berlin und am 3. November 1930 in Königsberg durch die Komponistin selbst belegt. Erste Klaviersonate lautet der ursprüngliche Titel, der Grete von Zieritz' Intention einer möglichen späteren zweiten Sonate impliziert. Indessen blieb diese große dreisätzige Klaviersonate – gewidmet Rudolf Maria Breithaupt, bei dem Grete von Zieritz in Berlin nach dem frühen Tod von Martin Krause ab 1917 ihre Klavierstudien fortsetzte – ihre einzige Klaviersonate, zudem einer ihrer ganz wenigen Beiträge zur Gattung Sonate überhaupt. Mit einem grellen Aufschrei, gefolgt von mehreren Abstürzen ins Bassregister eröffnet der 1. Satz ein Drama von abgründiger Tragik, das Grete von Zieritz in allen drei Sätzen ihrer Klaviersonate im Spannungsfeld zwischen Tradition und deren Negation gestaltet. Verrät die formale Anlage des 1. Satzes im Sinne der klassischen Sonatenhauptsatzform ebenso wie der hochvirtuose, von spätromantischen Vorbildern inspirierte Klaviersatz eine gewisse Traditionsgebundenheit, so wird dieser Aspekt gleichsam aufgehoben durch die außerordentlich geschärfte, unkonventionelle harmonische Sprache, zudem durch zahlreiche abrupte Stimmungswechsel, die den Eindruck von Zerrissenheit unterstreichen. Ein Vergleich des ersten und zweiten Themas verdeutlicht exemplarisch die extreme Polarisierung innerhalb des 1. Satzes: Prägen ekstatische, in scharfen Punktierungen insistierende Gesten das zerklüftete atonale erste Thema, so gewinnt das tonal gefärbte zweite Thema mit seinen kleineren Intervallschritten und fließender Rhythmik geradezu nostalgischen Charme, der wie eine melancholische Erinnerung an vergangene Zeiten der Donaumonarchie anmutet. Größte Kontraste charakterisieren auch den dreiteiligen 2. Satz, dessen Beginn unmittelbare Verbindung zum 'Tristan-Motiv' und der stark alterierten Harmonik des Tristan anklingen lässt. Nach einem raumgreifenden, von höchster Leidenschaftlichkeit bestimmten kurzen Ausbruch fällt der 2. Satz in die düstere, von harmonischer Instabilität geprägte Atmosphäre des Anfangs zurück und erstirbt gleich einem Spuk in glockenartig verhallenden, niedersinkenden Akkordfolgen. Unerwartet traditionell beginnt der 3. Satz mit einem schlichten, volksliedhaften Thema in c-Moll, dem bald ein kontrastierendes, in punktierten Rhythmen insistierendes zweites Thema in e-Moll entgegengesetzt wird: Beide Themen bestimmen den weiteren Verlauf des rondoartigen Satzes, der gleichsam die Zerstörung der ursprünglichen tonalen Stabilität beider Themen zum Ziel hat. In immer komplexerer Polyphonie und Harmonik steuern beide Themen, zum Teil auch in unmittelbarer Konfrontation übereinander, einer unausweichlichen Apokalypse entgegen, die in einer dämonisch-stürmischen Coda einen völlig überraschenden – scheinbaren – Abschluss in Fis-Dur findet: Tatsächlich verliert die Tonalität hier in geradezu erschreckender Weise ihre affirmative, stabilisierende Kraft und beendet die Sonate mit einer ironisierenden Geste zerstörter Vertrautheit. Als eindringliches, von größter Subjektivität getragenes Werk spiegelt die Klaviersonate von Grete von Zieritz den Lebenskampf einer unangepassten Künstlerin im 20. Jahrhundert, darüber hinaus auch die Bedrohung und Vernichtung tradierter Werte in diesem Jahrhundert im Blick einer visionären Musikerin, die inzwischen zur legendären Zeugin jenes Zentenariums geworden ist.
Postscriptum Voller Intensität begleitete Grete von Zieritz am 17. Juli 2001 die Einspielung ihrer Klaviersonate, die sie über 70 Jahre nicht mehr gehört hatte. "Wenn Sie diese Musik hören, ahnen Sie, welcher Dämon in mir war", kommentierte sie während der Aufnahme und ergänzte mit gedämpfter Stimme "...oder noch ist." Am 26. November 2001 ist Grete von Zieritz gestorben: Somit erscheint jenes Treffen am 17. Juli 2001 als ungeahnter Abschluss unserer 13jährigen Zusammenarbeit – vorliegende CD sei nun dem Andenken an diese faszinierende Komponistin gewidmet. Kolja Lessing, im Dezember 2001
eda records | Kannegiesser, Maillard & Harders-Wuthenow GbR | Erkelenzdamm 63 | 10999 Berlin | Germany | info@eda-records.com
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