EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
III: Kurt Weill – Symphony no. 2 (1933)
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EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)

1 Allemande. Andante EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
1 Allemande. Andante

2 Marsch. Allegro EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
2 Marsch. Allegro

3 Sarabande. Lento possibile EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
3 Sarabande. Lento possibile

4 Chaconne. Allegro EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
4 Chaconne. Allegro

5 Gavotte. Allegretto grazioso EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
5 Gavotte. Allegretto grazioso

6 Tarantella. Allegro furioso EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
I: Berthold Goldschmidt – Suite for Orchestra op. 5 (1927)
6 Tarantella. Allegro furioso

II: Roberto Gerhard – Concertino for Strings op. 12 (1927–28)

7 Allegro assai EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
II: Roberto Gerhard – Concertino for Strings op. 12 (1927–28)
7 Allegro assai

8 Andante espressivo e con moto EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
II: Roberto Gerhard – Concertino for Strings op. 12 (1927–28)
8 Andante espressivo e con moto

9 Allegretto vivace e con spirito EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
II: Roberto Gerhard – Concertino for Strings op. 12 (1927–28)
9 Allegretto vivace e con spirito

III: Kurt Weill – Symphony no. 2 (1933)

10 Sostenuto – Allegro molto EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
III: Kurt Weill – Symphony no. 2 (1933)
10 Sostenuto – Allegro molto

11 Largo EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
III: Kurt Weill – Symphony no. 2 (1933)
11 Largo

12 Allegro vivace EDA 18: Berthold Goldschmidt: Suite Op.5, Roberto Gerhard: Concertino Op.12, Kurt Weill: Symphony No.2
III: Kurt Weill – Symphony no. 2 (1933)
12 Allegro vivace

Auch wenn eines der Werke auf dieser CD von einem Katalanen stammt und in Barcelona uraufgeführt wurde, so sind doch alle drei – jedes auf seine Art – typisch für das lebhafte, skeptische Musikleben im Berlin der Weimarer Epoche. Die drei Komponisten sind einer Generation und studierten etwa gleichzeitig im Berlin der zwanziger Jahre. Jeder der drei hatte einen anderen Kompositionslehrer, aber diese Lehrer waren die wohl drei wichtigsten und revolutionärsten Pädagogen, die jemals in dieser Stadt gelehrt haben: der Italiener Ferruccio Busoni und die Österreicher Franz Schreker und Arnold Schönberg.

Busoni wurde 1920 zum Leiter der Meisterklasse für Komposition an der Preußischen Akademie der Künste ernannt und hatte diese Stellung bis zu seinem Tod im Juli 1924 inne. Ebenfalls 1920 wurde Franz Schreker Direktor der Berliner Musikhochschule, die bald als führende Musikhochschule Deutschlands galt, und er blieb dort bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1932. Schönberg wurde 1925 als Busonis Nachfolger zum Leiter der Meisterklasse der Preußischen Akademie berufen, er kam im darauf folgenden Jahr nach Berlin. Busoni hatte Schönberg vor dem Ersten Weltkrieg unterstützt; Schreker und Schönberg waren persönlich befreundet. 1932 gesellte sich Schreker zu Schönberg an die Preußische Akademie der Künste. Beide wurden im folgenden Jahr von den Nationalsozialisten ihrer Ämter enthoben.

Kurt Weill wurde im Dezember 1920 in Busonis Meisterklasse aufgenommen und blieb bis Ende 1923 bei ihm. Der junge Berthold Goldschmidt traf Busoni in Hamburg. Busonis Vorbild und seine Ratschläge ermutigten ihn, Komponist zu werden. Goldschmidt war von 1922 bis 1924 Kompositionsschüler bei Schreker in Berlin. Roberto Gerhard, der schon in Wien bei Schönberg gelernt hatte, folgte diesem 1926 nach Berlin und blieb bis 1928 sein Schüler. Alle drei Komponisten teilten das gemeinsame Schicksal ihrer Vertreibung ins Exil.

Weill – ein besonders prominentes Ziel von Naziattacken gegen die sogenannte 'Entartete Musik' – floh wenige Wochen nach Hitlers Machtergreifung von Berlin nach Paris. Nach Aufenthalten in Frankreich und London erreichte er 1935 die USA, wo er für den Rest seines Lebens blieb. Goldschmidt, 1933 aus seiner Stellung an der Städtischen Oper entlassen, blieb noch zwei Jahre in Berlin, floh aber dann nach England, wo er sich schließlich in London niederließ. Gerhard war, nachdem er seine Studien bei Schönberg beendet hatte, nach Barcelona zurückgekehrt, doch nach der Niederlage der Republikaner und der Unterdrückung Kataloniens im Spanischen Bürgerkrieg floh er Anfang 1939 nach Frankreich und dann nach England, um in Cambridge sein Domizil zu finden.

Obgleich Kurt Weills Musik sich in sozialer und politischer Hinsicht gänzlich anders als die des aristokratischen Busoni entwickelte, blieb Busoni ihm eine reiche Inspirationsquelle, und man kann die These vertreten, dass von allen Schülern Busonis er den Idealen seines Lehrers den greifbarsten Ausdruck verlieh. Als Gegner sowohl eines engstirnigen Konservatismus als auch einer bilderstürmerischen Revolution der Künste, hatte Busoni die alternative Lehre der 'Jungen Klassizität' propagiert. Diese meinte nicht 'Neoklassizismus' (wie auf unterschiedliche Art von Strawinsky und Hindemith praktiziert), sondern ein Prinzip der Erneuerung: moderne Kunst sollte aktuelle Entwicklungen in der Technik nutzen und aus dem Besten der Vergangenheit schöpfen. Klassische Formen sollten eine zentrale Anregung sein, nicht um sklavisch kopiert zu werden, sondern als Ermutigung zu harmonischer Proportion und Klarheit. Die neue Sprache sollte beziehungsreich und gleichzeitig 'objektiv' sein, dabei stärker von latinischer Leichtigkeit als von deutscher Emotionalität und Sentimentalität erfüllt.

Während Kurt Weills in Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht entstandene Bühnenwerke wie die Dreigroschenoper und Mahagonny mit ihren knappen Liedformen einen Aspekt dieser Auffassung ausloteten, kam er in den folgenden Werken Busonis Ideal viel näher. Der Jasager, Die Bürgschaft, Der Silbersee und Die sieben Todsünden entfalten eine große Bandbreite an Bezügen und Gefühlen, vom Populären bis hin zum Tragischen, vereint durch einen sehr 'klassischen' Sinn für Bewegung. Weills 2. Symphonie, seine letzte rein instrumentale Komposition, gehört zur selben Periode und verkörpert diese Richtung in vollendeter Form.

Die Symphonie entstand im Auftrag der Prinzessin Emond de Polignac. Der erste Satz wurde noch in Berlin im Januar 1933 vollendet – so gut wie die letzte Musik, die Weill dort schrieb. Nach der Machtergreifung durch die Nazis floh er nach Paris. Dort komponierte er an der Symphonie weiter und arbeitete gleichzeitig an mehreren anderen Werken. (Auch in Paris erlebte er antisemitische Demonstrationen bei Aufführungen seiner Musik.) Er vollendete die Partitur im Februar 1934 in Louveciennes. Die Premiere fand am 11. Oktober unter Bruno Walter in der Amsterdamer Concertgebouw statt. Die Kritiken waren fast einhellig ablehnend. Als Walter die Symphonie am 13. Dezember mit den New Yorker Philharmonikern wiederholte, gab er dem Stück den Namen Drei Nachtszenen – eine List, die die Kritiker nicht gnädiger stimmte. Unklar bleibt, ob Weill damit einverstanden war, da er sich beständig geweigert hatte, Walter zuliebe dem Stück einen farbigeren Titel zu geben. Auch wenn das Stück mitunter unter dem ebenso falschen Titel Berliner Symphonie aufgeführt wurde, hat sich Weill in seinem Gefühl sicher nicht getäuscht. Es handelt sich nicht um eine programmatische Komposition, sondern um den tiefgründigen Ausdruck ihrer Zeit, in geschmeidiger, schlanker symphonischer Gestalt. Die d-Moll-Tonalität, oft scheinbar einfach und diatonisch verwendet, birgt eine extreme, dabei strukturell höchst wirksame harmonische Spannung. Während sie auf subtile Weise an Vorbilder wie Mozarts g-Moll-Symphonie KV 550 und Mendelssohn, Schubert und Mahler anknüpft, ist Weills 2. Symphonie doch völlig zeitgenössisch im Ausdruck: ein urbaner und ungestümer Nachruf auf die Weimarer Zeit, Trauermarsch und Totentanz inklusive. Von Spannung erfüllt ist schon die Sostenuto-Einleitung des ersten Satzes mit ihren aufgeregten rhythmischen Figuren und dem durchdringenden Trompetensolo (dies gibt einen Vorgeschmack auf den zentralen Trauermarsch: die Einleitung enthält die Keime des gesamten Stückes). Darauf folgt ein flinkes Sonaten-Allegro mit einem geschäftigen, maschinenartigen ersten und einem lyrischen zweiten Thema, dessen Ausdrucksweise an volkstümliche Balladen erinnert. Allerdings wirkt es unbehaglich auf der neapolitanischen Stufe es-Moll. Die Exposition ist stark komprimiert, die Entwicklung des Materials wird dabei heftig zugespitzt, der tonale Raum weit ausgeschritten. Die Durchführung beginnt im Tritonus-Abstand von der Tonika in as-Moll – diese diabolus-in-musica-Achse ist zentral für die Tonalität der gesamten Symphonie. Ein langer dominanter Orgelpunkt führt nach d-Moll zurück, aber nicht zur Reprise, sondern zu einer zweiten Durchführung. Diese mündet in eine heftige Steigerung, die den Hörer in die finster entschlossene 'echte' Reprise in as-Moll katapultiert. Die Koda beginnt mit einem wehmütigen Bläsersatz auf dem gemurmelten Rhythmus einer Polonaise und kommt auf der Subdominante G zum Schluss.

Der langsame Satz ist ein zorniger und prachtvoller Trauermarsch, in dem ein klagendes Cello-Solo geballtem Bläsersatz gegenübersteht. In seiner Stimmung weist er zurück auf den Großen Dankchoral aus Weills Berliner Requiem oder das Finale der Dreigroschenmusik und voraus auf das Ende des mit Franz Werfel und Max Reinhardt realisierten epischen Bühnenwerks Der Weg der Verheißung. Rein musikalisch gesehen ist er aber von ebenso kraftvoller symphonischer Eigenständigkeit wie jeder als Trauermarsch angelegte Satz Gustav Mahlers. Die Anlage in liedartigen Strophen bleibt der Volksmusik verbunden, aber die Kraftentfaltung in diesen Abschnitten, wie sie in ausgewogenem Aufbau aufeinander folgen, ist von Beethovenscher Wucht. Wut weicht Kummer und tragischem Pathos, aber die gestalterische 'Disziplin' lässt nie nach.

Formal ein Rondo, beginnt das Finale wie ein Saltarello als schnellfüßiges moto perpetuo in a-Moll (möglicherweise eine Anspielung an Mendelssohns Symphonie in der selben Tonart), aber es wird bald klar, dass der Antrieb so wild entschlossen und bedeutungsvoll ist wie der im ersten Satz. Das erste Zwischenspiel besteht aus einer harschen, militärisch klingenden Melodie in e-Moll, die zur übergeordneten Tonika d-Moll zurückführt, das zweite aus einem mit aller Kraft geblasenen, grotesk komischen Militärmarsch für Blas- und Schlaginstrumente, der immer rauher und beherrschender wird. Die finsteren Fanfaren treiben die Rückkehr des Rondo saltarello voran. Von da aus geht es rasch über in eine Coda im Presto, die das Hauptthema des Trauermarsches in einen wilden Tanz verwandelt. Obwohl die Musik sich nach C-Dur wendet, bleibt der Konflikt mit D bestehen, so dass dieses offenbar aufrührerische Ende (das – zufällig? – die 'Tarantella' aus Busonis Klavierkonzert zitiert) vor dem Hintergrund des Ringens erreicht wird. Hier wird eher der Wille gefeiert, weiterzuleben, zu kämpfen und zu tanzen, als die Hoffnung, dass der Kampf zu einem triumphalen Ende führen würde.

Der Geist des Tanzes beseelt auch Berthold Goldschmidts Suite für Orchester, die zwischendurch auch Tanzsuite betitelt war: fünf von sechs Sätzen folgen barocken Tanz-Rhythmen, am Schluss steht eine Tarantella. Goldschmidt war seit jungen Jahren von den strengen Formen des Barock, insbesondere der Chaconne, fasziniert. Als Schüler war er überwältigt von Bachs c-Moll Passacaglia, als Alfred Sittard sie einem ausgesuchten Publikum in der Hamburger Kirche St. Michaelis vorspielte, und von Bachs d-Moll Chaconne in der Interpretation von Adolf Busch. Von da an betrachtete Goldschmidt diese Formen mit ihren einzigartigen Möglichkeiten zu kontrapunktischer Entwicklung als die grundlegenden Strukturen musikalischer Architektur. Sein Schaffen enthält hierfür einige Beispiele: Eines seiner frühesten Werke war die beeindruckende Passacaglia für Orchester op. 4, die Goldschmidt 21-jährig während seines Studiums in Berlin komponierte. Es war sein erster bedeutender öffentlicher Erfolg: 1925, gegen Ende seines Studiums bei Schreker, erhielt er für diese Arbeit den Staatspreis der Mendelssohn-Stiftung, und am 26. Februar 1926 erfuhr das Stück eine weitere Auszeichnung durch die renommierte Uraufführung durch Erich Kleiber in der Berliner Staatsoper. #

Der Ursprung von Goldschmidts Suite liegt noch vor dieser bemerkenswerten Passacaglia. Ihre Entstehungsgeschichte war ein komplexer Prozess, der sich über mehrere Jahre hinzog. 1923 komponierte er sein op. 2, eine Suite stilisierter Tänze für Orchester. Es bestand aus sechs Sätzen: Praeludium (Tempo della Polacca) – Allemande – Menuett Sarabande – Gavotte – Finale quasi Tarantella. Dieses Werk ist verloren gegangen, abgesehen von einer Fassung für Klavier. Goldschmidt selber leitete die Premiere in Dessau 1924, wobei das Werk unter dem Titel Eine Folge stilisierter Tänze als Begleitung für ein Ballett diente. Trotzdem scheint es, dass die Suite als Konzertmusik unabhängig von einer Choreographie gedacht war. Einige Zeit später strich er das Praeludium und das Menuett, revidierte die anderen Sätze und fügte zwei neue Sätze hinzu, einen Marsch und eine Chaconne, fertiggestellt im Januar 1927. Diese neu gestaltete Partitur wurde Tanzsuite, später einfach Suite genannt, sein op. 5. Goldschmidt widmete sie dem Dirigenten und Autor Werner Wolff, der in den 20er Jahren Musikdirektor der Hamburger Staatsoper war. Die neue Suite wurde in einem Konzert der Hamburger Philharmonischen Gesellschaft am 30. Januar 1929 mit dem Komponisten als Dirigent uraufgeführt. Inzwischen hatte Goldschmidt einen Verlagsvertrag mit der Universal Edition (UE) in Wien geschlossen, und die Suite gehörte zu den im Vertrag enthaltenen Werken. Aber obwohl die UE Goldschmidts folgende Werke druckte und bekanntmachte, wurde die Suite nicht veröffentlicht und nach 1929 auch nicht mehr aufgeführt. Ein 1930 begonnenes Projekt, aus der Suite – mit veränderter Reihenfolge der Sätze – ein Ballett zu Masereels Bildfolge Die Idee zu machen, damit die UE ein Ballett mit Musik Goldschmidts anbieten konnte, wurde nicht zu Ende geführt (es existiert allerdings noch ein Klavierauszug dieser Version).1

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und Goldschmidts Emigration nach England galt die Suite als verschollen, wie eine Reihe weiterer Werke aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. (Dennoch sind Reminiszenzen in einigen seiner späteren Werke zu hören, insbesondere im Ballett Chronica und im 3. Streichquartett). Das seit den 80er Jahren wiedererwachte Interesse für Berthold Goldschmidts Musik veranlasste Verleger und CD-Produzenten nachzuforschen. Siebzig Jahre nach seiner Entstehung fand ein Mitarbeiter der Decca das verstaubte Manuskript der Suite im Archiv der UE. Es gehörte zu einer ganzen Reihe von frühen Werken Goldschmidts, die dem Komponisten zu seiner großen Überraschung bei einer Pressekonferenz anlässlich der Berliner Wiederaufführung seiner Oper Der gewaltige Hahnrei im Jahr 1994 präsentiert wurden. Dieses Werk erweist sich als eines der aufschlussreichsten unter Goldschmidts frühen Kompositionen, sowohl wegen des Lichtes, das es auf seine stilistischen Vorläufer wirft, als auch wegen der Kühnheit, mit der der junge Komponist mit den von ihm gewählten Formen umgeht.

Schreker griff nicht in die stilistischen Vorlieben seiner Schülers ein. Klarheit, 'Trockenheit' und Humor waren die Eigenschaften, die sie hochhielten, wie sich an so unterschiedlichen Personen wie Petyrek (siehe EDA 017-2), Fitelberg (siehe EDA 019-2), Grosz und Krenek erkennen lässt. Schreker selbst folgte dieser Entwicklung – auch wenn er dem heutigen Publikum durch seine üppig-raffinierte, spätromantische Sprache besser bekannt ist –, was sich an der kontrapunktischen Gewandtheit und den neobarocken Formen mancher seiner späteren Stücke wie der Kleinen Suite (1928) und den Vier kleinen Stücken für großes Orchester (1930) zeigt. Goldschmidts Suite verdeutlicht lebhaft, wie sehr auch er an dieser Richtung teilhatte. Trotz der Tatsache, dass sich in fast allen Sätzen die alten Tanz-Rhythmen finden, enthält nur einer von ihnen bewusste harmonische Archaismen: die freundlich eröffnende Allemande, die, wie in der Barocksuite üblich, als eine Art Vorspiel fungiert. Würden die Melodielinien nicht erheblich weiter ausgreifen als erwartet, und würde der 4/4-Takt nicht ständig von 6/4-Takten unterbrochen werden, könnte man beinahe von einem Pasticcio sprechen. (Die ursprüngliche Suite stilisierter Tänze, in der die Allemande als zweiter Satz auftauchte, ist überschrieben: "Wie eine alte Orgel zu spielen"). Dies ist auch der einzige Satz, der nicht in hohem Maße kontrapunktisch und dabei oft dissonant ist.

Die anderen Sätze sind vollkommen zeitgenössisch im Ausdruck, wie im folgenden Marsch sofort deutlich wird. Er trägt Züge eines Foxtrott und ist in einem sehr unmilitärischen 5/4-Takt angelegt, – eine grotesk komische Erfindung, gefolgt von einem finster-sonoren Trio, das sich zu einem heftigen Höhepunkt steigert, bevor der Marsch im da capo wiederkehrt. Dieser Satz und die Chaconne von 1926/27 sind die einzigen, die Goldschmidts nahem Zeitgenossen Weill möglicherweise etwas verdanken. (Der Marsch ist verwandtschaftlich in der Tat wenigstens ein entfernter Cousin der Ballade vom angenehmen Leben aus Weills Dreigroschenoper – dabei entstand Goldschmidts Satz über ein Jahr früher.) Die darauf folgende Sarabande ist eines der seltsamsten, am düstersten phosphoreszierenden Stücke aus Goldschmidts Feder. Kein anderes zeigt deutlicher den tiefen Eindruck, den Busonis Oper Doktor Faust auf den Komponisten machte (zumindest die Sarabande daraus, da die Oper noch nicht vollendet war, als Goldschmidt 1923 seine eigene Sarabande schrieb). Die Tempo-Bezeichnung charakterisiert dieses Stück als ‚lastend, schwer', aber in der Klavierversion des ursprünglichen op. 2 – und später im Klavierauszug der Idee, fügte Goldschmidt eine weitere, aufschlussreiche Charakterisierung hinzu: 'spukhaft'. Dieses Wort ist typisch für Busoni: man muss nur an Spukhaftes Stück denken, das der ältere Komponist als ersten Satz der Suite aus seiner Oper Die Brautwahl entwarf. Aber selbst ohne diese Hinweise lässt sich Goldschmidts Sarabande gut als melancholische Studie in 'chiaroscuro' hören, mit ihren geschwungenen Linien, die durch dissonante, rhythmisch akzentuierte Gesten zerrissen werden, durch nachtschwarze Schreie. Während es einerseits an den 'faustischen' Busoni erinnert (beinahe bis zum Zitat), weist es auch voraus, etwa auf die Grablegung aus Hindemiths Oper Mathis der Maler. Der Satz klingt aus in verzweifeltem Schweigen.

Diese Stimmung schmerzhafter Kontemplation wird von der Chaconne abrupt zunichte gemacht, einem schnellen und wilden Satz in einer Art dreiteiliger Anlage anstelle der sich entwickelnden Variationsfolge, die man üblicherweise mit dieser Form verbindet. Die Verwandtschaft zwischen der Musik Goldschmidts und der seines russischen Zeitgenossen Schostakowitsch wurde oft bemerkt. Dies hat nichts mit Nachahmung zu tun. Vielmehr kommt es aus ihren gemeinsamen Wurzeln in Mahlers Musik, vielleicht auch aus der ihnen gemeinsamen Skepsis, die sich häufig in bissigem, widerspenstigem Humor äußerte. Diese Verwandtschaft zeigt sich am deutlichsten in der Chaconne – Parallelen finden sich in manchen von Schostakowitschs frühen Bühnenwerken. Hinzu kommen die bereits genannten Parallelen zu Weill, die in der zentralen, liedartigen Trompetenmelodie aufzuklingen scheinen. Das mehr oder weniger durchgehende Fanfaren-Ostinato der Trompeten und Hörner, die treibenden Rhythmen und schließlich das Hauptthema der Chaconne, das 11 von 12 chromatischen Tönen verwendet (der zwölfte ist in der Begleitung ständig präsent), kennzeichnet Goldschmidt als Komponisten, der souverän mit den verschiedenen zeitgenössischen Ausdrucksformen umzugehen und sie nach Belieben zu verbinden verstand.

Mit ihren weiten Sprüngen, grotesken melodischen Verzerrungen und vorherrschenden Glissandi bewegt sich die darauffolgende Gavotte über Mahler hinaus in Richtung einer Art expressionistischen 'Neoklassizismus' – damit scheint dieser Satz seiner Zeit voraus, wenn man berücksichtigt, dass er vor der Veröffentlichung von Schönbergs Serenade geschrieben wurde. Das Trio, wie traditionell üblich im Stil einer Musette, ist kaum weniger extrem im Ausdruck, seine ruhigeren Phrasen unterliegen durch den ständigen Wechsel der Taktbezeichnung unsteter Veränderung. Ebenso steht die Tarantella am Schluss der Suite nicht im traditionellen 6/8-Takt, außer in wenigen Abschnitten, sondern wechselt zwischen 2/4-, 3/4- und 4/4-Takt; sie besitzt ein Hauptthema, das ebenso gut einem Kosakentanz entstammen könnte. Mit großem kontrapunktischem und polytonalem Einfallsreichtum bewegt sich dieser offensichtlich satirische Satz kampflustig hin zu seinem schroffen Ende.

Die Ursprünge von Roberto Gerhards Concertino für Streicher (auf Katalanisch Concertino per a instruments d'arc) mögen nicht so komplex gewesen sein wie die von Goldschmidts Suite, doch sind sie schwerer aufzuhellen. Gerhards handschriftliche Partitur ist verloren gegangen – das Werk wurde aus Aufführungsmaterialen durch den englischen Musikwissenschaftler Meirion Bowen rekonstruiert. Soweit man mit Sicherheit sagen kann, hat Gerhard das Concertino gegen Ende seiner Studienzeit bei Schönberg in Berlin, etwa 1927–28, geschrieben, also in derselben Zeit wie sein Bläserquintett (das lange Zeit als das einzige aus dieser Zeit erhaltene Werk Gerhards galt). Offensichtlich handelte es sich ursprünglich um ein Streichquartett. Die Partitur einer Quartettversion des langsamen Satzes existiert tatsächlich noch, zudem tragen manche der Streicherstimmen die Aufschrift 'Quartetto No. 3' (die zwei vorangehenden Quartette 1 und 2 hat es sicherlich gegeben, von ihnen ist allerdings nichts erhalten). Gerhard fügte später eine Kontrabassstimme hinzu, damit das Werk sich für Streichorchester eignete, wobei er einige Passagen für Solostreicher beibehielt. Er selber dirigierte die Uraufführung am 22. Dezember 1929 in Barcelona als Teil eines Gerhard-Konzertes, das seinen neuesten Werken gewidmet war. Das Konzert wurde von der Associació de Música da Camera im Palau de la Música Catalana veranstaltet. Die Strenge des Concertino und des Bläserquintetts erwies sich als zu viel für die örtlichen Kritiker, die moderne Musik ohne starke nationalistische Grundierung nicht gewöhnt waren. Das Konzert erhielt schlechte Kritiken, und man ließ die vorgesehene Wiederholung des Programms fallen.

Das Concertino wurde zu Gerhards Lebzeiten nicht mehr aufgeführt und wurde lange für verloren gehalten. Es ist allerdings nicht unwahrscheinlich, dass Gerhard die Partitur mitnahm, als er Katalonien infolge des Spanischen Bürgerkrieges verlassen musste. Ebenso wie Goldschmidt in seiner Suite op. 5 rief Gerhard einen Teil des Materials aus dem Concertino in einem späteren Stück in Erinnerung. Der erste Satz seines Violinkonzerts von 1942/43 beinhaltet einen beträchtlichen Teil des ersten und des dritten Satzes des Concertinos. Obwohl viele Unterschiede zwischen den Stücken bestehen, sind die Übereinstimmungen so präzise, dass Gerhard wahrscheinlich mit einer bereits existierenden Partitur arbeitete. Es kann auch sein (aber dies ist nur eine Annahme), dass er, nachdem er diese Musik in neuem Gewand verwendete, beschloss, das Concertino zu vernichten. Viele Jahre später fand man einen Stimmensatz des Concertino im Gerhard-Archiv, das das Institut d'Estudis Vallencs in Valls, der Geburtsstadt des Komponisten, aufbewahrte. Der Fund führte schließlich zur Veröffentlichung des Stücks 1997. Unabhängig vom Violinkonzert scheint es einer Wiederaufnahme ins Repertoire auch um seiner selbst willen wert zu sein, nicht zuletzt wegen des langsamen Satzes, der (mit Ausnahme vielleicht einer Quintolenfigur) in dem späteren Werk nicht zitiert wird.

Als Antwort auf einen Presseangriff auf das Concertino durch den angesehenen Dirigenten Lluis Millet – er behauptete, das Werk stünde den Traditionen der katalanischen Musik feindselig gegenüber, wie sie vom Palau de la Música Catalana gepflegt wurde – erwiderte Gerhard, dass er in der (ebenfalls nicht ins Violinkonzert übernommenen) Durchführung des ersten Satzes eine polyphone Technik verwendete, wie er sie später im Werk eines anonymen katalanischen Komponisten aus dem 13. Jahrhundert beobachtet hatte. Obwohl 'nationale' oder 'folkloristische' Elemente wenigstens als Überreste im Concertino präsent sind, stellen die kontrapunktische Arbeit und ein stark chromatisches harmonisches Vokabular es als im kompositorischen Ansatz vollkommen zeitgenössisches Werk heraus, das tief durchdrungen ist von dem, was Gerhard in Schönbergs Umkreis in Wien und Berlin gelernt hatte. Als gehaltvolles, 'abstraktes' Instrumentalwerk ohne sängerische oder tänzerische Bezüge ist es eine Ausnahme in den ersten 20 Jahren von Gerhards Schaffen. Auch unter diesem Gesichtspunkt handelt es sich um eine wichtige Wiederentdeckung.

Zusätzlich zum folkloristischen Element – sorgfältig in Einklang gebracht mit einer raffinierten harmonischen und kontrapunktischen Sprache – beweist die Musik nachdrücklich Gerhards aufrichtige Bewunderung für Béla Bartók, die er gegen den Widerspruch von anderen Mitgliedern der Schönberg-Schule beibehielt. Allerdings bin ich weniger überzeugt als der Herausgeber der Partitur, dass Gerhard 1927 oder auch 1928 notwendigerweise Bartóks drittes und viertes Streichquartett gekannt haben sollte (keines der beiden wurde vor 1929 in Europa veröffentlicht oder aufgeführt). Vielleicht war das zweite Quartett alles, was er nötigenfalls kennen mochte; und es lohnt darauf hinzuweisen, dass dasjenige Werk Bartóks, an das Gerhards Concertino gelegentlich erinnert – das Divertimento für Streicher – erst 1939 entstand. Wichtiger ist sicher der Hinweis auf ein bedeutendes Ereignis in der Geschichte der Quartett-Literatur, das sich in eben dem Kreis ereignete, den Gerhard zu diesem Zeitpunkt frequentierte: Alban Bergs 1925/26 komponierte Lyrische Suite.2 Gerhard war mit Berg befreundet. Sein Concertino verdankt ihm, auch wenn es nicht die ausgefeilte 12-Ton-Technik von Bergs Suite aufweist, einiges, in Hinsicht auf die flüssige und sensible Anwendung gesteigerter Chromatik und die subtile Einheit von elegischen und phantastischen Elementen. (Dieser 'Bergsche' Aspekt wird in Gerhards erstem Ballett, Ariel, wieder auftauchen.)

Der erste Satz ist ein verkürzter Sonatenhauptsatz mit zwei Hauptthemen: eine lyrische, dabei tanzartige Melodie, die durch absteigende Tonleitersegmente gekennzeichnet ist, und ein dem entgegengesetztes Thema, für das der schwere jambische Akzent typisch ist. Die Durchführung ist zerrissener und differenzierter in ihrer Struktur, mit Engführungen und anderen Formen ähnlicher (aber nicht exakter) Imitation, bei denen es sich vielleicht um die "katalanischen Techniken aus dem 13. Jahrhundert" handelt, auf die sich Gerhard bezog. Das zweite Thema taucht in der Reprise als erstes wieder auf; das Anfangsthema führt zu einem leisen, aber unruhigen Ende mit einer unerwarteten Wendung in die pikardische Terz im abschließenden Fis-Dur Akkord – einer Art Transformation des unbehaglichen (und für Streicher schwierigen) Ges-Dur, mit dem der Satz begann.

Der kraftvolle und beredte langsame Satz ist nahezu frei von 'folkloristischen' Anspielungen – manche Passagen erinnern in ihrer Intensität an das Adagio appassionato aus Bergs Lyrischer Suite. Das mit einer Tonrepetition anhebende Thema der Solo-Bratsche könnte aus dem zweiten Thema des ersten Satzes abgeleitet sein. Die Melodie wird fugenartig entwickelt. Die bereits oben erwähnte immer präsente Quintolen-Figur beginnt, eine eigene, ostinate Persönlichkeit zu entwickeln. Eine kontrastierende, stark chromatische Idee, wiederum durch Soloinstrumente eingeführt, führt zu einem turbulenten und leidenschaftlichen Höhepunkt. All diese Elemente werden in der zweiten Hälfte des Satzes mit verschiedensten Bezügen weiter verarbeitet. Die Coda beruht auf der Quintolen-Figur und dem zweiten Takt des Hauptthemas, bezeichnet mit 'Colla più gran forza sino la fine, veemente'; sie endet – so überraschend wie der erste Satz zuvor – auf einem (E-) Dur-Dreiklang.

Der dritte und letzte Satz ist tänzerischer, sein Charakter scherzoartig, abwechselnd kraftvoll und zart. Wie im gesamten Concertino dominiert die kontrapunktische Faktur. Doch findet sich eine größere Bandbreite an Streicherfarben, mit kontrastierendem pizzicato, saltando, con legno, sul tasto und sul ponticello-Spiel. (Eine Passage der sul ponticello gespielten durchgehenden Sechzehntel-Figuration erinnert sehr stark an das Allegro misterioso aus Bergs Lyrischer Suite). Die Figuration verläuft sich in den zweiten Geigen, und der Satz endet plötzlich – wie vorzeitig abgebrochen – auf einem 'pizzicato'-Dreiklang in C-Dur.

Malcolm McDonald

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1 Ich danke dem Goldschmidt-Experten Dr. Michael Struck für die Details zur Entstehungsgeschichte der Suite op. 5.

2 Es finden sich keine Spuren von Schönbergs 3. Quartett op. 30, das im September 1927 vollendet wurde und somit etwa gleichzeitig mit Gerhard Concertino entstand. Anderersteits kann man sagen, dass Schönbergs Einfluss auf Gerhards Komposition ganz allgemein in der handwerklichen Perfektion und formalen Präzision zu finden ist.

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