EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)
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EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)

1 Grave – Allegro EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)
1 Grave – Allegro

2 Intermezzo EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)
2 Intermezzo

3 Andante EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)
3 Andante

4 Scherzo EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)
4 Scherzo

5 Moderato – Vivace EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
I: Jean Sibelius – Piano Quintet in G minor (1889–90)
5 Moderato – Vivace

II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)

6 Allegro ma non troppo EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)
6 Allegro ma non troppo

7 Andante EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)
7 Andante

8 Vivace EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)
8 Vivace

9 Finale. Allegro vivace EDA 7: Jean Sibelius | Christian Sinding: Piano Quintets
II: Christian Sinding – Piano Quintet in E minor op. 5 (1882–84)
9 Finale. Allegro vivace

Als Ferruccio Busoni im Jahr 1888 in Leipzig dem norwegischen Komponisten Christian Sinding vorgestellt wurde, begann eine Musikergeschichte, wie sie für das Zeitalter der reisenden Virtuosen und Komponisten im ausgehenden 19. Jahrhundert typisch ist. Zu diesem Zeitpunkt hatte das einstige pianistische Wunderkind Busoni bereits halb Europa bereist und setzte zum Sprung nach Übersee an. Christian Sinding war nach Leipzig, der Stadt, in der er bis 1879 fünf Jahre lang Schüler am Konservatorium gewesen war, zurückgekehrt, um für eine Aufführung seines bislang bedeutendsten Werkes zu werben: des Klavierquintetts in e-Moll. Sinding hatte sein op. 5 in den Jahren 1882–84 komponiert; der Osloer Uraufführung von 1885 folgten einige weitere in kleinem Rahmen, so dass sich Sinding von einer repräsentativen Aufführung in der berühmten Musikstadt Leipzig den Durchbruch erhoffte.

Edward J. Dent schreibt in seiner 1933 in London erschienenen Busoni-Biographie, dieser habe für Sinding eine persönliche Zuneigung von geradezu rührender Intensität empfunden. Dabei habe der überaus schüchterne und nervöse junge Komponist bei der ersten Begegnung überhaupt nicht gewusst, dass er mit Busoni einem der größten lebenden Pianisten gegenüber stand. Einige Zeit später überwand sich Sinding und zeigte dem Meister das Manuskript seines Klavierquintetts. Busoni setzte sich an den Flügel und spielte das Werk vom Blatt durch – und war begeistert. Sinding bestand sogleich darauf, dass Busoni der Pianist bei einer Leipziger Aufführung sein müsse. Tatsächlich erklang das Werk am I9. Januar 1889 in der Sechsten Kammermusik-Soirée des Neuen Gewandhauses mit dem Brodsky Quartett und Busoni am Flügel.

Aus zahlreichen Zeugnissen wissen wir, dass der Musikkritik in damaliger Zeit eine wesentlich größere Bedeutung zukam als heute. Von der Heftigkeit der Beifalls- bzw. Missfallensäußerungen eines Kritikers konnte das Schicksal eines Werkes, mitunter das des Komponisten selbst abhängen. Überhaupt ging man im Musikleben weitaus weniger zimperlich miteinander um, und dies nicht nur in Worten, sondern durch die Tat – so weiß Edward J. Dent über das Leipziger Konzert zu berichten, ein Kritiker habe während der Aufführung ostentativ sein Abendbrot vertilgt...

Die zwei erhaltenen Besprechungen der Leipziger Aufführung könnten gegensätzlicher nicht sein:

"Letzteres (das Klavierquintett e-Moll) haben wir in der Probe gehört, und wir begreifen vollkommen den sensationellen Erfolg, den dasselbe nach allen Berichten am Abend selbst gefunden hat. Das Werk zeugt in allen seinen vier Sätzen von einer geradezu verblüffenden Erfindungs- und Combinationsgabe sowie einem wunderbaren Sinn für Klangwirkung. Dabei ist das gedankliche Material so meisterlich gesichtet und tritt überall eine so glückliche thematische Gegensätzlichkeit zu Tage, daß man aus der Bewunderung über das hochbedeutsame Talent, das sich hier kühn und individuell allenthalben ausspricht, gar nicht hinauskommt." (Musikalisches Wochenblatt Leipzig, 24.1.1889)

"Mit diesem in den herkömmlichen vier Sätzen gehaltenen Werke begegnete uns sein Componist zum ersten Male, aber leider durchaus nicht zu unserer Freude. Denn etwas Monströseres, der musikalischen Logik und Causalität wie überhaupt dem gesunden Menschenverstande Hohnsprechenderes und den guten Geschmack Beleidigenderes als dieses Opus ist uns kaum je vorgekommen." (Signale, 1889)

Dem Werk hat diese Auseinandersetzung nicht geschadet; ohnehin wurde die Leipziger Premiere vom Publikum, folgt man den Berichten, überwiegend bejubelt. "Ich glaube, die Aufführung wird für mich von unabsehbaren Folgen sein, es ist sehr wahrscheinlich, daß ich mir mit diesem Quintett einen Namen mache," schrieb Sinding am Tag nach der Aufführung an seinen Freund Frederick Delius, und seine Einschätzung erwies sich als richtig: Nicht nur, dass Busoni das Werk in den kommenden Jahren wiederholt aufführte, Sinding konnte auch die Partitur an den Verleger Wilhelm Hansen verkaufen, der sich vehement für das neue Werk einsetzte – in nur drei Jahren brachte es das Quintett auf die stattliche Zahl von fast 30 Aufführungen in 19 Städten auf zwei Kontinenten. Als die Notenausgabe erschienen war, wurde sie, wieder in den Signalen, auf intelligente und differenzierte Art besprochen: "Nicht oft tritt in Tonwerken der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung mit solcher Deutlichkeit hervor wie in diesem Quintett von Sinding. Die Musik Wagners, möglicherweise auch diejenige Berlioz', hat ihm den Kopf warm gemacht, und mit der dadurch erhitzen Phantasie ist er an die Composition seines Werkes gegangen. Mit Grund ist zu vermuthen, daß Herr Sinding noch auf jener Altersstufe steht, wo man bereitwillig fremde Einflüsse in sich aufnimmt, ohne zu unterscheiden, was nachahmenswert ist und was nicht."

Zu den Komponistenkollegen, die das Werk kannten und schätzten, gehörte neben Tschaikowsky auch Jean Sibelius. Er hat es im Winter 1889/90 bei einem Wiederholungskonzert in Leipzig gehört, zu dessen Besuch ihn niemand anders als Ferruccio Busoni regelrecht überreden musste. Busoni lernte Sibelius in Helsinki kennen, wo er seit 1888 eine Stelle als Klavierprofessor am Konservatorium innehatte. Sibelius, selbst mit der Aura des jungen Genies umgeben, geriet schnell in den Sog Busonis, und es entwickelte sich eine für beide Seiten fruchtbare Bekanntschaft. Sibelius studierte zu dieser Zeit Violine und Komposition, letztes bei Martin Wegelius, dem Direktor der Konservatoriums und Wegbereiter einer nationalen finnischen Musik.

Mit der Aussicht auf ein einträgliches Stipendium des finnischen Staates trat Sibelius im Herbst 1889 seine erste Auslandsreise an. Sie führte ihn zunächst nach Berlin, wo er auf Wegelius' Rat und mit einer Empfehlung von ihm in der Tasche Albert Becker aufsuchte, einen seinerzeit angesehenen, erwiesenermaßen konservativen Komponisten und Musiktheoretiker. "Ich schrieb für Becker Fugen in strengem Stil und anderes Kontrapunktisches. Der Alte war in musikalischen Fragen äußerst orthodox. 'Lieber langweilig, aber im Stil!' pflegte er zu sagen. Ich mußte bei Becker streng arbeiten und schrieb eine Menge Fugen zusammen, instrumentale und vokale. Aber ich konnte mich ganz einfach nicht des Gefühls erwehren, daß ich mich die ganze Zeit hindurch mit Dingen beschäftigte, die der Vergangenheit angehörten, und mitunter ging mir die Geduld aus." (zitiert nach: Nils-Eric Ringbom: Jean Sibelius. Olten 1950)

So war die winterliche Reise nach Leipzig eine willkommene Abwechslung. Busoni war es schließlich gelungen, Sibelius dem Dunstkreis skandinavischer Künstlerzirkel, die mit Vorliebe in den Berliner Bierkneipen zusammentraten, zu entreißen. Sibelius kaufte sich für den bevorstehenden Anlass sogar einen Zylinder, und sein Geld reichte gerade noch für das Billet. Die zweite Leipziger Aufführung des Quintetts spaltete das Publikum nunmehr in zwei Lager; Sibelius, selbst begeistert von der Aufführung, zeigte sich empört darüber, dass die überwiegende Mehrheit des Publikums durch lautes Pfeifen jeglichen Beifall nahezu unhörbar machte. Es spricht einiges dafür, dass Sibelius in seiner Idee, selbst ein Werk für diese Besetzung zu schreiben, durch den Besuch dieses Konzerts bestärkt wurde.

Darüber hinaus ließ Wegelius im März 1890 aus Helsinki verlauten, dass gute Chancen für die Aufführung eines neuen Kammermusikwerks aus Sibelius' Feder bestünden – allerdings stellte man sich ein Streichquartett vor. Sibelius, seinem forschen Wesen entsprechend, ignorierte den Wunsch seines ehemaligen Lehrers und vollendete stattdessen in nur wenigen Wochen, zwischen Euphorie und tiefer Niedergeschlagenheit schwankend, sein Klavierquintett in g-Moll (das einzige Werk übrigens, das er in Berlin komponiert hat).

Bereits am 5. Mai 1890 fand die fragmentarische Uraufführung in Helsinki statt, mit Busoni am Klavier. Sie stand unter keinem glücklichen Stern; Busoni mochte den zweiten Satz nicht, der vierte fand keinerlei Anklang, und zum Studium des Finales reichte die Zeit nicht aus, so dass überhaupt nur der erste und dritte Satz aufgeführt wurden. Wegelius, der den Experimenten seines ehemaligen Schülers, der dazu noch "ein so schlechter Pianist" war, ohnehin skeptisch gegenüberstand, schrieb Sibelius eine Kritik zu seinem Quintett, die kaum ein gutes Haar an dem Stück ließ. Sibelius wird es verschmerzt haben, nicht zuletzt weil ihm eine Privataufführung seines Werkes vor Albert Becker in Berlin als Lohn für manche Stunde trockenen Unterrichts eine Empfehlung einbrachte, in der Becker erfreut feststellte, dass Sibelius nicht nur ein emsig Lernender, sondern ein originelles Talent sei. Zu einer Veröffentlichung des Werkes zu Sibelius' Lebzeiten ist es nicht gekommen, und offensichtlich lag dem Komponisten, wie bei vielen anderen Werken, auch überhaupt nichts daran. Bis in die achtziger Jahre blieb das Werk Manuskript; in Deutschland führte es das Pihtipudas Kvintetti nach mehr als 100 Jahren in Berlin wieder auf (am 23. Juni 1993).

Ein Vergleich der beiden Werke lohnt hinsichtlich ihrer Stellung im Gesamtschaffen und ihrer Ausstrahlung auf die weitere kompositorische Entwicklung beider Komponisten. Sindings Quintett kann durchaus als Geniestreich zwischen Wagner, Tschaikowsky und dem typischen "nordischen Idiom" bezeichnet werden. In Sindings Werk sei "der Kammermusikstil öfter zugunsten einer beinahe orchestralen Aufmachung aufgegeben. Freilich klingt fast alles herrlich, ja oft geradezu berauschend", schreibt Wilhelm Altmann in seinem Handbuch für Klavierquintettspieler, "ein Werk voller jugendlicher Kraft, die zum Überschwang neigt". Das Quintett hat die (allerdings verhältnismäßig kurze) Periode der Berühmtheit Sindings begründet, die ihm I921/ I922 sogar einen Ruf an die Eastman School of Music in Rochester, New York, einbrachte. Im Laufe seines Lebens versuchte er sich an fast allen Gattungen, zerrieb sich jedoch schließlich am Widerstand der rasanten musikalischen Entwicklungen und verfiel in seinen späten Werken immer mehr dem Eklektizismus. Sein umfangreiches Œuvre überlebte einzig in seinem berühmten Klavierstück Frühlingsrauschen, durchaus zu Unrecht, wie z. B. das frühe Klavierquintett zu zeigen vermag.

Sibelius' Quintett hingegen fällt in die Periode seiner frühen kammermusikalischen Versuche. Nils-Eric Ringbom erkennt in dem Stück "das Erwachen einer spezifisch orchestralen Klangphantasie mit breiter Farbgebung" und weist zurecht darauf hin, dass "Sibelius' Interesse sich nach diesem Werk in steigendem Maße dem Orchesterapparat zuwendet". Aber ohne Zweifel besitzt das Klavierquintett bereits jene Originalität, die Sibelius in vielen seiner Werke als Querdenker auf dem soliden Boden finnischer Tradition ausweist. Wie sehr er sich seinem Heimatland und der Verwirklichung seiner eigenen Ideen verpflichtet fühlte, zeigt sich auch daran, dass er 1912 eine Berufung als Kompositionsprofessor ausgerechnet nach Wien, der Stadt des musikalischen Aufruhrs und der Provokation, ohne zu zögern ablehnte.

In rund vierzig Jahren der künstlerischen Produktivität schuf Sibelius fast 200 Werke. Am Ende der zwanziger Jahre, die dem Geist des 19. Jahrhunderts endgültig den Garaus machten, legte er den Stift beiseite und schrieb in den restlichen 28 Jahren seines Lebens keine einzige Note mehr. Auf diese Weise bewahrte er seine Position als einsame und, was die finnische Musik betrifft, exklusive Erscheinung der Spätromantik an der Schwelle zu den musikalischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts.

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