EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
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EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)

01 Die Infantin im Kreise ihrer Gespielinnen EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
01 Die Infantin im Kreise ihrer Gespielinnen

02 Aufzug und Gratulation der Knaben EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
02 Aufzug und Gratulation der Knaben

03 Der Stierkampf EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
03 Der Stierkampf

04 Die Infantin EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
04 Die Infantin

05 Die Marionetten EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
05 Die Marionetten

06 Menuett der Tänzerknaben EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
06 Menuett der Tänzerknaben

07 Auftritt des Zwerges EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
07 Auftritt des Zwerges

08 Mit dem Frühling im Wind EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
08 Mit dem Frühling im Wind

09 Der Tanz in blauen Sandalen über das Korn EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
09 Der Tanz in blauen Sandalen über das Korn

10 Der Tanz im roten Gewand im Herbst EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
10 Der Tanz im roten Gewand im Herbst

11 Die Rose EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
11 Die Rose

12 Der Spiegel / Das Ende des Zwerges EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
I: Franz Schreker – Der Geburtstag der Infantin (1908)
12 Der Spiegel / Das Ende des Zwerges

II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)

13 Der rote Wirbeltanz EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
13 Der rote Wirbeltanz

14 Tanz des Grauens EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
14 Tanz des Grauens

15 Intermezzo EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
15 Intermezzo

16 Tanz des Schweigens EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
16 Tanz des Schweigens

17 Intermezzo EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
17 Intermezzo

18 Tanz des Erwachens EDA 13: Franz Schreker: Der Geburtstag der Infantin, Ernst Toch: Tanz-Suite
II: Ernst Toch – Dance Suite op. 30 (1923)
18 Tanz des Erwachens

Zwei Tanzwerke, die die Geschichte des modernen Ausdruckstanzes begründet bzw. geprägt haben.

Die Partitur von Schrekers Tanz-Pantomime nach Oscar Wildes Märchen Der Geburtstag der Infantin – die hier erstmals seit ihrer letzten Aufführung in Wien 1910 wieder in der Urfassung zu hören ist – galt bis in die achtziger Jahre als verschollen. Zu Lebzeiten des Komponisten nie publiziert, fand sie sich schließlich, irreführend unter falschem Titel aufbewahrt, in einem Wiener Archiv. Erhalten hatte sich eine Bearbeitung aus der Feder des Komponisten für großes Orchester von 1923, Willem Mengelberg und dem Amsterdamer Concertgebouw Orchester gewidmet, die zu den beliebtesten Konzertstücken Schrekers in den zwanziger Jahren gehörte (DECCA "Tanz Grotesk" 444182-2). Schreker hatte diese Bearbeitung später zur Grundlage eines neuen, Spanisches Fest betitelten Balletts gemacht, das 1927 seine Uraufführung an der Berliner Staatsoper unter den Linden erlebte, dessen Handlung allerdings mit der Wildeschen Vorlage nur mehr wenig zu tun hatte. Diese spätere Fassung weicht vom Original nicht nur durch ihre opulente Instrumentierung ab, sondern vor allem durch das Fehlen der Einlage (Nr. 4) und des kompletten dritten Teils der Partitur, der die Spiegelszene und den Tod des Zwerges umfasst, was immerhin ein Drittel der ursprünglich komponierten Musik ausmacht.

Der Geburtstag der Infantin entstand im Auftrag der Schwestern Wiesenthal und wurde im Sommer 1908 im Rahmen der von der Klimt-Gruppe veranstalteten Kunstschau zur Aufführung gebracht. Die Pantomime stellte zweifellos den künstlerischen Höhepunkt dieses als Gesamtkunstwerk angelegten Ausstellungs-Programms dar, weshalb es unbegreiflich ist, dass Kunst- und Kulturwissenschaft bis heute an diesem Ereignis vorbeigegangen sind. In Karl Schorskes Standardwerk Wien. Geist und Gesellschaft im Fin de siècle wird dem Leser gar suggeriert, dass es sich um eine Schauspielaufführung gehandelt habe. Von Musik oder Tanz ist keine Rede. Die Kunstschau von 1908 war die erste umfassende Darstellung von Arbeiten der sogenannten Klimt-Gruppe, die sich 1905 von der 1896 gegründeten Wiener "Sezession" aus Ablehnung gegen deren kommerzielle Ausrichtung losgesagt hatte. Zu diesem Kreis um Gustav Klimt gehörten Carl Moll (der Stiefvater Alma Mahlers), Koloman Moser, Emil Orlik, die Jugendstil-Architekten Josef Hoffmann und Otto Wagner, aber auch Alfred Roller, Gustav Mahlers Bühnenbildner an der Hofoper, der später auch Bühnenbilder zu Schrekers Opern entwarf, unter anderem das zur Uraufführung des Fernen Klanges in Frankfurt 1912. Im Unterschied zu den Sezessionskünstlern, den "Nurmalern", verstanden sich die Künstler der Klimt-Gruppe als "Stilisten" oder "Raumkünstler", denen es um die Integration aller Kunstformen zu einem alle Lebensbereiche umfassenden Gesamtkunstwerk ging. In der Tanz-Pantomime konnte dies durch die Integration von Raum- und Bühnengestaltung, Garten-Architektur, Kostüm-Design, Tanz und Musik exemplarisch vorgeführt werden.

Schrekers Adaption folgt, von einigen Kürzungen abgesehen, dem Wildeschen Märchen im Detail. Erzählt wird die tragische Geschichte eines hässlichen, buckligen Zwerges, der, ein naives Kind des Waldes, von seiner Hässlichkeit nichts weiß. Er wird von Edelleuten entdeckt, seinem Vater, einem armen Köhler, abgekauft und der jungen Infantin von Spanien zum Geburtstag geschenkt. (Gemeint ist die spätere Königin Margarethe Maria von Österreich, die Velazquez mehrfach porträtierte. Ihre Darstellung auf Velazquez' wohl berühmtesten Bild, Las Meninas ("Die Hoffräulein") von 1656, auf dem auch Matt Barbola, ein "Zwerg von ungeheuerlichem Aussehen" (Palomino) zu sehen ist, mag den Velazquez-Bewunderer Wilde zu seinem Märchen inspiriert haben.) Auf dem Geburtstagsfest im Garten des Königsschlosses gibt es nach der Begrüßung durch die Söhne der spanischen Granden (Nr. 2) einen von Kindern aufgeführten pantomimischen Stierkampf (Nr. 3), ein Marionettentheater (Nr. 5), das die Kinder zu Tränen rührt und selbst dem Großinquisitor die Bemerkung abringt, "es sei doch unerträglich, dass einfache Puppen aus Holz und farbigem Wachs, die man mechanisch mit Drähten bewegte, so unglücklich sein und von so furchtbarem Unglück betroffen werden könnten". Dann folgen die aus Saragossa angereisten Chorknaben von Nuestra Senora del Pilar mit ihrem berühmten Menuett (Nr. 6). "Die Infantin hatte diese wundervolle Zeremonie noch nie gesehen", heißt es bei Wilde, "obgleich sie jedes Jahr im Mai vor dem Hochaltar der Jungfrau stattfindet, und obendrein ihr zu Ehren; aber keiner aus der königlichen Familie von Spanien hatte die Kathedrale von Saragossa wieder betreten, seit ein wahnsinniger Priester – viele glaubten auch, er sei von Elisabeth von England bestochen gewesen – versucht hatte, dem Prinzen von Asturien eine vergiftete Oblate zu reichen." Den Höhepunkt der Belustigungen aber macht der Zwerg, der die Infantin und das vornehme Publikum mit allerlei drolligen Tänzen erheitert. Um welcher Art Tänze es sich handelt, bleibt im Märchen unausgesprochen. Schreker entlehnt die Namen der Tänze, die bei ihm das Zentrum des Werkes ausmachen (Nr. 8–10) einer späteren Episode des Märchens, in der die innige Verbundenheit des Zwerges mit der Natur zum Ausdruck kommt: "Alle Tänze des Windes kannte er: den tollen Tanz im roten Gewand mit dem Herbst, den leichten Tanz in blauen Sandalen über dem Korn, den Tanz mit weißen Schneekränzen im Winter und den Blütentanz durch die Gärten im Frühling." Tatsächlich sind diese Tänze im Märchen keine Tänze, sondern in poetische Bilder gefasste Naturschilderungen. (Vielleicht liegt hier auch der Keim zu Schrekers 1910 für Grete Wiesenthal komponierte Tanz-Pantomime Der Wind; EDA 9). Interessanterweise lässt Schreker den Zwerg nur drei der Tänze aufführen, wodurch der Jahreszeiten-Zyklus unvollständig bleibt. Es liegt auf der Hand, dass der tragische Schluss des Märchens, die Begegnung des Zwerges mit seinem Spiegelbild und sein Ende, stellvertretend für den Tanz des Winters – ls Symbol des Todes – steht.

Die eigentliche Attraktion des Zwerges also ist seine abgrundtiefe Hässlichkeit, durch die die inszenierte Schönheit der höfischen Gesellschaft erst richtig zur Geltung kommt. Mit verführerischer Grazie wirft die Infantin dem Zwerg zur Belohnung für seine Tänze eine weiße Rose zu (Nr. 11). Der Zwerg, außer sich vor Freude, wähnt sich von der Infantin geliebt. Er trollt während der Siesta durch die Fluchten des menschenleeren Königspalastes, um sich die Zeit zu vertreiben, bis er wieder für die Infantin tanzen und ihr auch seine Liebe gestehen darf. Plötzlich steht er vor einem Spiegel, sieht zum ersten Mal seine jämmerliche Gestalt, hält sein Gegenüber für ein Monstrum, das ihn ärgern will, indem es alle seine Gesten nachäfft. Als ihm endlich die Wahrheit aufgeht, und er begreift, dass die Infantin nur ein zynisches Spiel mit ihm gespielt hat, bricht ihm das Herz. Die zurückkehrende Infantin und ihre Gesellschaft werden Zeuge seines schauerlich-grotesken Todeskampfes: "Sein Tanzen war lustig, sagte die Infantin, aber sein Spiel ist noch lustiger. Er ist beinah so gut wie Drahtpuppen, nur längst nicht so natürlich." Als der Kanzler ihr erklärt, dass der Zwerg nie mehr würde tanzen können, weil ihm das Herz gebrochen sei, entgegnet sie kalt: "In Zukunft lass die, die mit mir zu spielen kommen, keine Herzen haben."

Im Geburtstag der Infantin wurde das antagonistische Verhältnis von Natur und Kultur thematisiert, allerdings in einer der Freudschen Sublimierungs-Throne entgegenlaufenden Weise (wie sie Freud etwa in einem Aufsatz aus demselben Jahr 1908 "Die kulturelle Sexualmoral und die moderne Nervosität" formulierte). Natur (der Zwerg) gilt hier als das unverderbt Naive, moralisch Integre, der Hof dagegen als Sinnbild einer bis zum letzten verfeinerten aber unmoralischen aristokratischen Hochkultur. Das Aufeinanderprallen der beiden Bereiche wurde von Schreker genial umgesetzt: die expressionistisch zerklüftete, "atonale" Unisono-Figur, die den Auftritt des Zwerges markiert, folgt programmatisch auf das Menuett, die stilisierteste Form des Tanzes überhaupt, in der die Sublimierung des Prophanen (sprich Triebhaften) durch die religiöse Anbindung überdies "auf die Spitze getrieben" ist.

Der Zwerg, der in der Natur aufgeht aber kein "Ich" hat, ist, psychologisch gesehen, das Gegenstück zum Narziss, dem in sein Spiegelbild verliebten Ego, das zur Welt nicht finden kann, weil es kein "Du" (an)erkennt. Der narzistische Charakter, dessen abgründigste literarische Formung Oscar Wilde in seinem Roman Das Bildnis des Dorian Gray (1891, dt. 1903) gelang, bevölkerte auch die Dichtungen der Autoren des "Jungen Wien", Hofmannsthal, Andrian und Beer-Hofmann. In Leopold von Andrians Erzählung Der Garten der Erkenntnis (Wien 1895) – die beziehungsreich das Motto "Ego Narcissus" trägt – ist es keine Prinzessin, sondern ein Prinz, dem die Welt nur in sublimierter Form, im Kunstschönen erträglich ist. In Wildes Märchen wurde die ganze Hofgesellschaft, allen voran die Prinzessin, als narzistische Charaktere vorgeführt. Parallelen zu der sich höfisch gebärdenden aber politisch machtlosen liberalen Wiener Oberschicht, die sich vor dem hässlichen Leben in ihre Jugendstil-Paradiese zurückzog, sind unschwer zu ziehen. Oskar Kokoschka sprengte deren weltfernen Ästhetizismus auf der Klimtschen Kunstschau des Folgejahres 1909 mit seinem reißerischen Drama Mörder, Hoffnung der Frauen. Als "Explosion im Garten" bezeichnete Carl Schorske diesen bilderstürmerischen Aktionismus, der die Geburtsstunde des Expressionismus einläutete. In Schreker/Wildes Pantomime, in der sich das Hässliche im Umfeld vollkommener Schönheit Ausdruck verschaffte, hatte er seinen tanzenden Vorboten.

"Keim zu zukünftigen Entwicklungen"

Heinz Hartmann, der Kritiker der Wiener Musikzeitschrift Der Merker, erkannte im Anschluss an eine spätere Aufführungsserie im Wiener Apollotheater (März 1910) das Ingeniöse der Schrekersehen Musik: "Die unbedingte, instinktive Sicherheit, die Schreker alles Richtige treffen läßt, beweist wieder die staunenswerte Sicherheit seines Talents. (...) Diese Musik ist so gar nicht Tanzmusik nach eingewurzelten Begriffen und doch ungeheuer körperlich. Die Tänze des Zwerges sind vornehmste Orchesterlyrik. (...) Ich weiß keinen anderen Musiker, der Frühlings- und Sommertänze ebenso so herzlich phrasenlos, unsentimental und leichtschwebend komponieren könnte. Und bei aller Lust am Experimentieren: wie glänzend klingt das alles! Musikalische Feinschmeckerarbeit. Sie ist ein Anfang, von dem viele Wege ausgehen." Peter Altenberg sah in der Tragödie des Zwerges eine Allegorie des am Ideal scheiternden Künstlers, des Menschen überhaupt. In seiner Charakterisierung der Infantin wird die Nähe der Figur zur Salome, zur Wedekindschen Lulu, aber auch zu den enigmatischen Frauengestalten in den späteren Opern Schrekers deutlich: "Elsa Wiesenthal mimte wunderbar die jugendliche Infantin, eine "Kindliche", die bereits "Zerstörung verbreitet infolge ihrer frauenhaften Macht, wenn auch erst im Keime. Sie war unübertrefflich, dieses schöne Kind, mit der verheerenden Macht schlummernd in ihr wie ein Giftzahn der jungen Kreuzotter, der noch nicht vorhanden ist und dennoch zu wachsen beginnt! Grete Wiesenthal mimte den unglückseligen Zwerg. Nicht anders könnte man es sich vorstellen, daß ein Verkrüppelter tanzt – und wer wäre es nicht einem Lichtbilde gegenüber – tanzte in rührend grotesken Verrenkungen, sein armes Bestes leistend und dennoch unfähig zu erobern, zu bezwingen, da ihm die göttliche Anmut fehlt!? Es war ein Drama des Krüppels dieses Tanzen, es war die Tragödie unser aller, die wir als Verkrüppelte tanzen vor unseren Lichtgestalten. Alles in allem ein bedeutsamer Keim zu künftigen Entwicklungen." (Altenberg, S. 321 f).

Besonders berührt wurde Alexander Zemlinsky, der in der Tragödie des Zwerges seine unerfüllte Liebe zu Alma Mahler wiederfand. Im Anschluss an die Kunstschau-Aufführung bestellte er bei Schreker das Libretto zu einer "Tragödie des hässlichen Mannes" in Anlehnung an das Wildesche Märchen. Bei der Gestaltung des Librettos zu der später als Die Gezeichneten betitelten Oper unterzog Schreker den Wildeschen Plot einem faszinierenden Transformationsprozess. Aus der herzlosen Prinzessin wurde die herzkranke Malerin Carlotta, aus dem hässlichen Zwerg der schönheitssuchende Krüppel Alviano, Tamare funktioniert im übertragenen Sinne als Spiegel, indem er Alviano mit dem ihm entgegengesetzten Idealbild männlicher Schönheit konfrontiert. Aus den Schlüsselmomenten der Märchens – die aufeinander bezogenen Augenblicke der Täuschung und Ent-Täuschung in der Rosen- und Spiegelszene – werden die Atelierszene mit Carlottas offensichtlich vorgetäuschtem Liebesgeständnis und die Begegnung Alviano/Tamare im letzten Bild. Schreker fiel bei der Arbeit am Text allerdings bereits die ganze Musik mit ein, so dass er Zemlinsky bat, den Stoff für sich behalten zu dürfen. Er bot Zemlinsky als Entschädigung eine Dramatisierung von Edgar Allan Poes fantastischer Erzählung Die Maske des roten Todes an; Zemlinsky vertonte dann aber schließlich doch das Wildesche Märchen in der Adaption Georg Klarens, dem ersten Biographen Otto Weiningers (Der Zwerg, Köln 1922).

Ein Stück für Grete Wiesenthal

Mit dem Geburtstag der Infantin leisteten die Schwestern Wiesenthal – Grete, Elsa und Berta – ihren Beitrag zu einer Sezession des Tanzes, die Befreiung bedeutete vom akademischen Reglement der klassisch-romantischen Tradition. Grete und Elsa hatten sich im Vorjahr von der Hofoper losgesagt, wo der Tanz, mit Gretes Worten, zu einem "Hopsen nach dem Takt, ohne Empfindung und Ausdruck von der Idee der Musik" erstarrt war. Mit ihren Walzerprogrammen, mit denen sie sich zum ersten Mal im Januar 1908 in dem berühmten Jugendstil-Kabarett "Die Fledermaus" vorstellten, fanden die Wiesenthals – durch Isidora Duncan beeinflusst (allerdings eher im emanzipatorischen als im künstlerischen Sinne) – zu einem eigenen Stil, der von den Zeitgenossen als "Apologie der Schönheit" (Carl Zuckmayer) gefeiert wurde. Bezeichnenderweise war es Hugo von Hofmannsthal, der die Wiesenthals im Atelier eines befreundeten Malers entdeckte, und den mit Grete Wiesenthal dann eine ähnliche lebenslange Künstler-Freundschaft verband wie mit der Reinhardt-Schauspielerin Grete Eysoldt.. Während die Duncan – nach dem Vorbild antiker Vasenmalereien – der Schönheit des Körpers in der stilisierten Gebärde nachspürte, erkannten die Wiesenthals – wie ein Kritiker anlässlich ihres Gastspiels in Hannover 1908 schrieb – "in der Bewegung den Selbstzweck ihres Tanzes. Sie ist ihnen nicht wie der Duncan nur Übergang von einer Pose in die andere, sondern letztes Kunstziel. Die Schönheit des bewegten Körpers wollen sie uns zeigen." (Fiedler, S.24) Die Vorstellung, die der eben zitierte Kritiker besprach, besuchte auch ein zwanzigjähriges Mädchen namens Sofie Marie Wiegmann, die sich unter dem Eindruck des Erlebten entschloss, Tänzerin zu werden und die als Mary Wigmann Tanz-Geschichte machen sollte. – Der "Keim zu zukünftigen Entwicklungen" war gelegt.

Die Frage, warum Schreker bei der Bearbeitung der Pantomime den so ungemein packenden 3. Teil eliminierte, und warum er sich zwischen 1910 und 1923 gerade um das Werk nicht mehr kümmerte, das den erfolgreichen Wendepunkt in seiner Karriere markiert hatte, gab Anlass zu verschiedenen Spekulationen. Ein hochinteressantes Argument lieferte Eckhardt van den Hoogen. Nach dem Wiederauffinden der Partitur der Originalfassung äußerte er die Vermutung, dass Schreker in der Spiegelszene gleichsam zu viel aus der Werkstatt plauderte, dass "der Schluß ein Schlüssel", ein "aufgeschlagenes Wörterbuch" sei zum Verständnis der Semantik der Schrekerschen Tonsprache, die den immerwährenden "Konflikt zwischen Kunst und Natur" zum Substrat habe (van den Hoogen, S. 120 f). Ich glaube allerdings, dass es eine ganz pragmatische Antwort auf diese Frage gibt: Wie sehr Schreker in seiner Musik den tänzerischen Bedürfnissen Grete Wiesenthals entsprach, brachte die Künstlerin 1909 in einem "Unsere Tänze" betitelten Aufsatz im Merker zum Ausdruck: "im Geburtstag der Infantin von Franz Schreker ist die Musik zu den Tänzen des Zwerges die Erfüllung all dessen, was ich mir nur wünschen konnte." (Fiedler, S. 57). Dass es gerade die Tänze des Zwerges waren – also der rein tänzerische Moment der Tanz-Pantomime und nicht der ausschließlich pantomimisch gestaltete dramatische Schluss der Spiegelszene – wirft ein bezeichnendes Licht auf Grete Wiesenthals künstlerische Absichten und auch Stärken, die eben nicht in der pantomimischen Umsetzung einer vorgegebenen Handlung, im Erzählerischen, lagen, sondern in der Umsetzung der "abstrakten", durch Musik ausgedrückten seelischen Spannung in körperliche Bewegung. Grete Wiesenthals "eigenstes, überzeugendstes Ausdrucksmittel" schreibt Leonhard Fiedler, "war offensichtlich der von jedem Wort, jeder Nachahmung entfernte Tanz." Von hier aus wird auch Schrekers Unzufriedenheit mit der Spiegelszene verständlich, die er in einem Brief an Grete vom September 1909 zum Ausdruck brachte, die sich kaum auf die Qualität der Musik bezogen haben wird, sondern auf das "Korsett", in das sie die Tänzerin zwang, in dem sie jeden Schritt, jede Geste vorzeichnete: "über eine Aufführung in London würde ich mich außerordentlich freuen! Zu diesem Zweck würde ich Ihnen den Schluß vor dem Spiegel noch umarbeiten –, nach den gewonnenen Erfahrungen noch wirkungsvoller gestalten." Von einem grundsätzlichen Zweifel an der Wirkung der Spiegelszene, den Schreker später im Zusammenhang mit der Uraufführung des Spanischen Festes zum Ausdruck brachte, ist hier keine Rede. Nur: zu einer Umarbeitung kam es nicht mehr, weil die Schwestern Wiesenthal im Frühjahr 1910 nach einem letzten gemeinsamen Auftritt in der von Max Reinhardt in den Berliner Kammerspielen des Deutschen Theaters inszenierten Pantomime Sumurûm auseinandergingen. Während die jüngeren Schwestern Elsa und Berta in Wien eine Schule für künstlerischen Tanz gründeten, arbeitete Grete verstärkt mit Hugo von Hofmannsthal, der seinerseits, was die Musik anbelangte, an Richard Strauss gebunden war (Grete tanzte beispielsweise den Küchenjungen in der Uraufführung von Strauss'/Hofmannsthals Bürger als Edelmann, dem Vorspiel zur Ariadne auf Naxos in der Erstfassung). Dass Schreker das Interesse an seinem Stück verlor, das in so starkem Maße aus der künstlerischen Zusammenarbeit mit den Wiesenthals entstanden und auf diese zugeschnitten war, ist nur zu verständlich.

So wenig die Tanzkunst der Wiesenthals sich vorbehaltlos der Ästhetik des Jugendstils einverleiben lässt, so wenig auch die Musik Schrekers. Seltsamerweise erscheint gerade in diesem Werk, das ja im Umfeld der Apotheose des Jugendstils entstand, das ornamentale Element viel weniger vordergründig als beispielsweise in Alban Bergs Jugendliedern. Natürlich ließe sich gleich zu Beginn das elegante, rhythmische frei ausschwingende, vor einem zarten Klang-Grund aus Drei- und Vierklangsbrechungen in Streichern und Harfe sich "organisch" fortrankende Thema der Infantin als "jugendstilig" empfinden. Vergleicht man damit aber den klanglich viel raffinierter ausgekosteten Beginn des Gezeichneten-Vorspiels, wo sich die Assoziation eines Klimtschen Goldgrundes eher einstellt (man denke etwa an das Porträt der Adele Bloch-Bauer von 1907), dann wird deutlich, dass es Schreker im Geburtstag der Infantin nicht um das Ergründen neuer Klang-Welten ging, sondern um Erkundungen auf rhythmischem Terrain: um Musik, die aus sich heraus Impulse zu tänzerischer, also körperlicher Umsetzung gab; um Musik, die aber gleichwohl auch vom Reiche der Seele zu erzählen wusste.

Als Ernst Toch 1923 seine Tanzsuite op. 30 komponierte, war der moderne Ausdruckstanz längst zu einer eigenständigen künstlerischen Disziplin geworden. Die Namen der Pioniere: Isidora Duncan, Grete Wiesenthal, Rudolf von Laban, Emile Jaques-Dalcroze, Mary Wigman und Gret Palucca, standen dabei für verschiedene künstlerische wie auch pädagogische Konzepte. Der Tanz hatte die Oper als Experimentierfeld der Avantgarde abgelöst. Die enge und bisweilen dauerhafte Zusammenarbeit von Komponist und Ensemble – in Paris von Strawinsky und den Ballets Russes schon vor dem ersten Weltkrieg exemplarisch vorgeführt –, war bald nichts ungewöhnliches mehr. 1922 fasste Oskar Schlemmer diese Entwicklung treffend zusammen: "Der theatralische Tanz kann heute wieder Ausgangspunkt der Erneuerung sein. Nicht durch Tradition belastet, wie Oper und Schauspiel, und durch Ton und Geste verpflichtet, ist er frei und prädestiniert, das Neue auf sachte Weise in die Sinne zu senken: maskiert – und vor allem – verschwiegen!" (Rode, S. 254)

Tochs op. 30 entstand für die Tanzklasse der Wigman-Schülerin Frieda Ursula Back an der Mannheimer Musikhochschule, an der Toch seit 1912 Komposition lehrte. Dem ursprünglich aus vier Sätzen bestehenden Werk (die Nummern 1, 2, 4, und 6) auf eine Tanzdichtung der Choreographin, betitelt Der Wald, lag nach Auskunft der Autoren "keine Handlung zugrunde, sondern freie, tänzerische Gestaltung der in den Titeln ausgedrückten Waldstimmungen." Wenn eine direkte Anknüpfung an die Tänze des Zwerges im Geburtstag der Infantin zwar nicht nachgewiesen werden kann, so sind die Parallelen doch offensichtlich, bis in die Titel hinein: Der rote Wirbeltanz/Der Tanz im roten Gewand im Herbst. Die bei Schreker/Wiesenthal in den Tänzen des Zwerges erprobte Möglichkeit eines von allen erzählerischen Momenten befreiten Ausdrucks von Seelen- und Natur-Stimmungen, findet sich hier verselbständigt. Durch den Erfolg der Uraufführung bestätigt – die übrigens von Paul Breisach, einem Schüler und Vertrauten Schrekers aus Wiener Zeiten, dirigiert wurde –, ergänzte Toch das Werk um zwei Intermezzi zur Konzert-Suite. In dieser Gestalt kam es dann im Laufe der folgenden Jahre auch zu weiteren Choreographien, unter anderem durch Kurt Jooß in Münster.

Alles andere als nur "Gebrauchsmusik", gehört die Tanzsuite in eine Reihe mit den herausragenden Werken, die Tochs Ruhm in den zwanziger Jahren begründeten: Die chinesische Flöte op. 29 für Sopran und Kammerensemble nach Gedichten von Hans Bethge (die Sammlung ist heute vor allem bekannt durch Gustav Mahlers Vertonungen im Lied von der Erde), den Burlesken op. 31, dessen Nr. 3, "Der Jongleur", zu den bekanntesten und beliebtesten Klavierstücken Neuer Musik gehörte, dem durch Hindemith und sein Amar-Quartett aus der Taufe gehobenen Streichquartett op. 34, dem Cellokonzert op. 35 und dem Klavierkonzert op. 38, mit denen Emanuel Feuermann respektive Walter Gieseking als Solisten brillierten. Sie zeigt alle Facetten einer Tonsprache, die nicht nur auf den Festivals für zeitgenössische Musik ankam, sondern auch von einem breiten Publikum geschätzt wurde; in der alles Spektakuläre und Bilderstürmerische, vordergründig Experimentierfreudige wie rein Intellektuelle vor einem behutsam aus der Tradition sich entwickelnden Stilbegriff zurücktrat, auf den man Busonis Diktum von der "Jungen Klassizität" anwenden möchte. Dass Toch damit, zumindest in Deutschland, eine Ausnahmeerscheinung war, erkannte schon Hermann Scherchen, der 1928 an ihm feststellte, "daß auch ein deutscher Komponist Charme, Geist, Witz und strengen, künstlerisch sich selbst messenden Dispositions- und Ordnungssinn haben kann bei wirklich fruchtbarer Fantasie."

Toch, wie Schreker zunächst in Brahmsschen Bahnen wandelnd, nahm von Anfang an eine Position ein gegen "die überemotionale musikalische Ausdruckskunst, die sich insbesondere im Werk Richard Wagners manifestierte," – so Toch in einem Interview Anfang der 60er Jahre. Die Stilwende um 1920 empfand er als "so erfrischend wie ein Sprung in kaltes Wasser an einem tropischen Sommertag." Toch, der sich als Autodidakt vor allem an den Streichquartetten Mozarts schulte, blieb dabei der österreichischen Tradition erstaunlich treu, ja, sein op. 30 klingt bisweilen wie eine tänzerische Reverenz vor den musikalischen Idiomen der untergegangenen K. u. K. Monarchie.

Der 1. Satz beginnt mit einer furiosen Introduktion im 6/8 Takt, deren Charakter bestimmt wird durch "schwirrende", zwischen Streichern und Bläsern alternierde chromatische Figurationen. Das Schlagzeug – Becken, Holztrommel, Kleine Trommel, Große Trommel, Kastagnetten und Tambourin – sorgt für scharfe rhythmische Profilierung und dient der Herausstreichung formaler Zäsuren. Eine Überleitung im 2/4 Takt mündet in eine Kadenz der Bratsche, die – im stark verlangsamten Tempo – das Thema des abschließenden 3. Teils vorstellt. Dieser, ein echter Csärdäs mit seinen charakteristischen Tonrepetitionen, leittönigen Vorschlägen und der markanten pizzicato-Begleitung in den grundierenden Unterstimmen, entwickelt sich aus dem piano heraus aus tiefer Lage durch sukzessiven Einsatz des Themas in Bratsche, Klarinette und Flöte zu einem wilden, "jahrmarktsmäßigen", alles mit sich reißenden Taumel. Der Verzicht auf die obertonreiche, verbindende Farbe des Cellos in der Streichergruppe, die Beschränkung der Holzbläser auf Klarinette, Flöte und Piccoloflöte, die Einbeziehung des Schlagzeugs – das sind Charakteristika natürlich der auf Transparenz und rhythmische Prägnanz zielenden "neusachlichen" Ästhetik der 20er Jahre. Toch scheint sich hier aber direkt bei den ungarischen Zigeunerkapellen inspiriert zu haben, – auch das durch übermäßige Intervalle dominierte Thema der Stretta unterstreicht den "alla zingarese"-Charakter.

Zu der fast manischen Überdrehtheit des ersten Satzes steht der zweite, der "Tanz des Grauens" – "Schwer, lastend" überschrieben –, im denkbar schärfsten Kontrast. Die sordinierten Streicher, in die sich einzig die Farbe der Klarinette mischt, verbreiten ein fahles, kaltes Licht. Der Satz ist auch in formaler Hinsicht interessant. Eine einfache Liedform A – B (Pizzicato-Abschnitt) – A' – B' – A (Coda) wird durch einen durchführungsartigen Mittelteil geweitet. Der Vordersatz des Themas, zuerst als Kontrabass-Solo vorgestellt, erfährt darin eine kurze fugierte Weiterführung; der Kontrapunkt verselbständigt sich, die vier Stimmen verdichten sich zu einem hochexpressiven chromatischen Geflecht (man fühlt sich an Bartók erinnert), das sich in einem "quasi Agitato" entlädt. Der Pizzicato-(= B)Teil ist nun Begleitung einer Klarinetten-Kantilene, die den chromatischen Gestus des "Mittelteils" wieder aufgreift.

Entspannung bringt das erste Intermezzo (3. Satz), als "Bicinium" zwischen Flöte und Klarinette beginnend, das von seiner rhythmischen Vielfalt lebt (freier Wechsel von 3/4, 5/4 und 6/4 Takten), vor allem aber von dem reizvollen Wechselspiel zwischen Streicher-Pizzicato und Schlagzeug.

Die Nr. 4, der Tanz des Schweigens, kontrastiert im trauermarschartigen A-Teil ornamental-ausschwingende Melodiebögen in Flöte und Bratsche mit einem feierlich-strengen Thema in Bratsche und Violine (pizzicato) über einem durchgehenden Kontrabass-Ostinato; der bewegtere B-Teil löst das strenge Gleichmaß in einem drei- und vierstimmigen kontrapunktisch durchwirkten melodiösen Satz in hoher Lage, der in einer Unisono-Figur der Bläser und hohen Streicher kulminiert.

Ausgelassene "Jahrmarkts"-Stimmung verbreiten noch einmal die Rahmenabschnitte des 2. Intermezzos (Nr. 5), das in den virtuosen Figurationen, der prägnanten, kurzgliedrigen Thematik und der dominierenden Rolle des Schlagzeugs an den Charakter des ersten Satzes anknüpft. Der Mittelteil bringt ein ausgedehntes Fugato – der einzige im traditionellen Sinn kontrapunktisch durchgearbeitete Abschnitt des Zyklus – mit einem eleganten, von einem Zentralton aus fächerförmig sich weitenden Fugenthema.

Mit einer beziehungsreichen Reminiszenz aus dem 2. Satz ("Tanz des Grauens") beginnt der Tanz des Erwachens, der groß-proportionierte Schlusssatz der Suite, ein Walzer mit Introduktion, dem das Motto: "Aus Nacht zum Licht" – augenzwinkernd – eingeschrieben zu sein scheint. Schon in der den Walzer vorbereitenden, wunderbar-perlenden Kadenz von Flöte, Solo-Violine und Solo-Bratsche, in die sich ein grummelnder Wirbel auf der großen Trommel einmischt, meldet sich Toch von seiner charmantesten Wiener Seite, und im Walzer schließlich kann er seine Herkunft nicht mehr verleugnen. Da erklingt zwischendurch gar ein Gruß an den Schöpfer des Rosenkavaliers (auch wenn der kein Wiener war), und in der ausgelassenen Stretta gemahnen Becken, große Trommel und Triangel wohl nicht zufällig an Mozarts Janitscharenmusik.

In ihren so verschieden gearteten künstlerischen Zielsetzungen konnte es kaum direkte Berührungspunkte geben zwischen Toch und Schreker, trotz der gemeinsamen Wurzeln in der Wiener Kultur des untergehenden Kaiserreiches. Was sie verband, war die immense Popularität, die beide zu Lebzeiten als Künstler in Deutschland erlebten und die im umgekehrten Verhältnis steht zu ihrem heutigen Bekanntheitsgrad. Die nazionalsozialistische Propaganda zwang die beiden in der Düsseldorfer Ausstellung Entartete Musik 1938 unter dem Stichwort "Zwei jüdische Vielschreiber" auf einer Schau-Tafel zusammen. Ihre Fotos waren so entstellt, wie die antisemitischen Klischees, die sie kommentierten. Schreker war zu diesem Zeitpunkt bereits tot (er starb 1934 an den Folgen eines Schlaganfalls), Toch befand sich in der Emigration in Amerika. Obwohl Toch auch nach dem Krieg noch mit den höchsten Preisen und Ehrungen bedacht wurde (Pulitzer Preis 1956 für die 3. Sinfonie; Grammy Award 1960; Bundesverdienstkreuz 1957), fühlte er sich als "der Welt meistvergessener Komponist".

Frank Harders-Wuthenow

 

Bibliography

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WILDE, OSCAR, Complete Works (London, 1966)

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