EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17
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EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
I: Johannes Brahms – Piano Quintet F minor op. 34

1 Allegro non troppo EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
I: Johannes Brahms – Piano Quintet F minor op. 34
1 Allegro non troppo

2 Andante, un poco adagio EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
I: Johannes Brahms – Piano Quintet F minor op. 34
2 Andante, un poco adagio

3 Scherzo. Allegro EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
I: Johannes Brahms – Piano Quintet F minor op. 34
3 Scherzo. Allegro

4 Finale. Poco sostenuto – Allegro non troppo – Presto non troppo EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
I: Johannes Brahms – Piano Quintet F minor op. 34
4 Finale. Poco sostenuto – Allegro non troppo – Presto non troppo

II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17

5 Allegro moderato, un poco maestoso EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17
5 Allegro moderato, un poco maestoso

6 Adagio EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17
6 Adagio

7 Allegro EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17
7 Allegro

8 Presto EDA 25: Heinrich von Herzogenberg | Johannes Brahms: Piano Quintets
II: Heinrich von Herzogenberg – Piano Quintet C major op. 17
8 Presto

Hin und wieder spielt uns die Musikgeschichtsschreibung einen Streich. Wer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von der Musikwelt wahrgenommen werden wollte, so heißt es, der musste entweder "Wagnerianer" oder "Brahmine" sein. Natürlich musste er das nicht, das ästhetische Zweiparteiensystem ist zum Topos der Chronisten geworden und nur wenige Zeitgenossen trugen es tatsächlich in der Deutlichkeit zur Schau, wie es uns die Musikgeschichte glauben machen will.

Zum Beispiel Heinrich von Herzogenberg. Der 1843 in Graz geborene Sohn eines Kämmerers ist für die juristische Laufbahn bestimmt, entscheidet sich dann aber für ein Kompositionsstudium am Konservatorium in Wien bei Otto Dessoff. Er gewinnt zahlreiche schulinterne Wettbewerbe und gilt als eines der hoffnungsvollsten Talente des Konservatoriums, das er 1865 mit Auszeichnung abschließt. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er Brahms kennengelernt, vorerst seiner Beziehungen, weniger seiner Musik wegen. Denn Herzogenbergs Leitbild heißt Wagner. 1864 beurteilt die Neue Zeitschrift für Musik ein Streichquartett des 21-jährigen Studenten als "sogar ein wenig rassisch, fast möchte man sagen: neudeutsch".

Neudeutsch. Als die NZfM das schreibt, ist der Begriff gerade fünf Jahre alt, der Ring noch nicht fertig, Brahms eben erst in Wien eingetroffen. Neudeutsch – das steht für die Abkehr von der Tradition, den Bruch mit den alten Regeln. Genaugenommen steht es für einen Kreis von Musikern um Franz Liszt, der den Begriff 1859 auf der ersten Tonkünstlerversammlung in Leipzig prägte. Und mit dem Kreis steht es für die umstürzlerische Ästhetik seiner Mitglieder, gelegentlich sogar für persönliche Angriffe einzelner gegen die alte, totgesagte, reaktionäre Musik.

So wenig all dies mit Musik zu tun hatte, so sehr tat die Provokation doch ihre Wirkung. Bereits 1860 unterzeichnete Brahms auf Anraten von Joseph Joachim, Julius Otto Grimm und Bernhard Scholz eine "Erklärung" zur Distanzierung von den Kunstmaximen der Neudeutschen Schule. Zwar war das Dokument nur für den internen Gebrauch bestimmt, es wurde jedoch einer Berliner Tageszeitung zugespielt und dort veröffentlicht – mit Brahms' Namen an der Spitze.

Auch das hatte noch nichts mit Musik zu tun – aber bereits mit Musikgeschichte. Denn bis zu diesem Papier mussten sich die Neudeutschen ihre Gegner selbst definieren, ein unbefriedigendes Szenario für den Ästhetikerstreit, den sie initiieren wollten. Mit der "Erklärung" gab es die andere Seite wirklich, bekannte sie sich als Gruppe, nahm sie die Provokation an: ohne eigenes Programm, ohne den Willen, sich mit Streitschriften und Manifesten auf den Disput einzulassen.

Und der Disput schafft Publikum – insbesondere für die Neudeutschen. Zurück im konservativen Graz kann Herzogenberg seinen Lebensunterhalt als freier Komponist bestreiten. Neue Kompositionen werden fast immer mit großem Erfolg uraufgeführt, so auch die dramatische Kantate Columbus für Soli, Männerchor, gemischten Chor und großes Orchester op. 11, das Friedrich v. Hausegger wiederum als modernes, Wagner verpflichtetes Werk feiert:

"...daß der Autor nicht nur den Willen, sondern auch die Kraft bewies, mit überlebten Traditionen gründlich zu brechen und seinem Werke die einzig mehr triebfähige Gestaltung zu verleihen, daß er, sagen wir es ganz unverhohlen, sich [...] als Anhänger der von Richard Wagner vertretenen musikalischen Richtung bekannte."

Die Erfolge werden Herzogenberg zu einfach. 1872 wechselt er nach Leipzig, trifft dort jedoch auf eine derart konservative Musikkultur, dass ein Leben ausschließlich als Komponist nicht mehr möglich ist. Alfred Volkland, der Vorsitzende der Leipziger Bach-Gesellschaft und der Bach-Biograph Philip Spitta ermöglichen eine Mitarbeit in der Bach-Gesellschaft, später die Übernahme des Musikdirektorpostens. Die Bekanntschaft wird schnell zur Freundschaft; Spitta sorgt für Aufführungen von Herzogenberg-Kompositionen, freilich nur in den progressiveren Musikvereinen, das Gewandhausorchester bringt es in den dreizehn Jahren von 1872–85 nur zu einer Herzogenberg-Aufführung.

Als letztes an Wagner orientiertes Orchesterstück komponiert der 29-jährige die Symphonie Odysseus für großes Orchester op. 16, dann kommt es zum Bruch mit dem eigenen Werk. Was Herzogenberg zu dieser Kehrtwende veranlasst, ist nicht bekannt, ihren Anfang nahm sie offenbar in einem Gespräch mit dem Dirigenten Franz Wüllner. An diesen schreibt Herzogenberg 1872: "Diese Häutung nahm ihren Anfang in Schliersee, und sind Sie mit oder ohne Ihren Willen der Urheber gewesen. Im vorigen Jahr war es dann die noch innigere Bekanntschaft mit Brahms, und in diesem Winter die Gründung des Bach-Vereins, die den Läuterungsprozess fortsetzten, und mich endlich auf festen Grund und Boden stellten."

Es folgt eine fast dreijährige Publikationspause, beendet 1875 durch das Klavierquintett C-Dur op. 17. Das Klavierquintett ist das erste Werk der neuen Schaffensphase Herzogenbergs, die nicht mehr an Wagner, sondern an Brahms orientiert ist. So stark orientiert, dass Herzogenberg bereits 1876 Wagner als "feindlich" bezeichnet – ein "Brahmine", wie er im Musikgeschichtsbuch steht.

Es ist nicht nur ein Klavierquintett, das Herzogenberg als erstes Werk der neuen Phase komponiert, es ist in erster Linie ein Kammermusikwerk. Denn Kammermusik zu komponieren, kann durchaus eine ideologische Geste sein. Im neudeutschen Lager verachtet man die Kammermusik als konservativ, rückständig, als den Inbegriff einer reaktionären Auffassung von Musikästhetik. Sie trotzdem zu komponieren kann also nur Auflehnung bedeuten und für Herzogenberg ist eine Stellungnahme gegen Wagner gleichbedeutend mit einer Stellungnahme für Brahms. Auch im weiteren Verlauf seiner Kompositionstätigkeit wird er der Kammermusik mehr Aufmerksamkeit schenken als anderen Gattungen. Sie bleibt bevorzugter Gegenstand der Diskussion in Briefen.

Nicht alle bemerken die Geste des Klavierquintetts. Man kennt Herzogenberg als progressiven Komponisten und auch das Quintett muss sich dieser Einschätzung beugen. "Endlich wagt es wieder einmal einer, keinen Sonatensatz zu schreiben!" stellt Hermann Kretzschmar fest. Doch das nur mit Mühe, denn tatsächlich ist es nur die Monothematik der Themengruppen, die ungewöhnlich ist: der Sonatensatz ist vorhanden, das Wagnis nicht.

Ab 1875 spielt Brahms die Hauptrolle in Herzogenbergs kompositorischem Leben. Sowohl persönlich und in Briefen, als auch musikalisch: als Maßstab, nicht als Schablone. Denn ein Brahms-Anhänger ist noch kein Brahms-Epigone. Vieles lernt Herzogenberg aus dem Studium Brahmsscher Partituren, anderes lehnt er ab, die charakteristische motivische Verarbeitung zum Beispiel, wieder anderes, wie die harmonische Farbigkeit Herzogenbergscher Durchführungen, ist nicht auf Brahms zurückzuführen, sondern auf den frühen Herzogenberg, von dem der späte nichts wissen will.

Das Ergebnis all dieser Einflüsse jedoch muss sich dann wieder an Brahms messen. "Seit 35 Jahren frage ich mich bei jedem Notenkopf: was wird Brahms dazu sagen?" bekennt er 1897 enttäuscht. Enttäuscht: denn Brahms hatte nie geantwortet. Fast jede Komposition geht in Kopie an Brahms mit der Bitte um Stellungnahme. Brahms weicht aus. Anderen gibt er sich besser zu erkennen, seiner ehemaligen Wiener Klavierschülerin Elisabeth von Stockhausen beispielsweise, die er 1862 unter mehr oder weniger pikanten Umständen an einen anderen Lehrer abgab und die sechs Jahre später Herzogenberg geheiratet hatte. Elisabeth spielt für Brahms eine ähnliche Rolle wie Clara Schumann. Ihr bekennt Brahms, dass ihm Herzogenbergs Werke nahezu ausnahmslos missfallen.

Herzogenberg hatte im Zuge seiner "Häutung" Wagner gründlicher abgestreift, als es Brahms lieb sein konnte. Spätestens seit Schönberg wissen wir, dass Brahms doch nicht so konservativ war, wie ihm vorgeworfen wurde. Speziell die Vorstufen der "entwickelnden Variation", die Schönberg bei Brahms vorfand, hatten ein ähnlich neuerndes Potential wie die musikalischen Ideen Wagners und Liszts. Durch diese Verbindung zu Brahms konnte Schönberg schließlich auch die ideologische Rolle der Kammermusik umstülpen, die uns heute wieder als der Inbegriff einer erneuernden Gattung gilt. Es waren diese "Kleinigkeiten", diese über die reine Musik hinausgehenden buchstäblichen Merkwürdigkeiten, die Brahms bei Herzogenberg vermisste. Es bleibt zu klären, ob er sie nur übersah.

Und so liegt bei Brahms das Progressive nicht in der Auslassung des Sonatensatzes, wie es Kretzschmar bei Herzogenberg vermutete, sondern in seiner Ausführung. Beide Ecksätze des Klavierquintetts f-Moll op. 34 von Johannes Brahms sind Sonatensätze, haben wenigstens eine ähnliche Struktur und weisen in besonderem Maße jene motivisch-thematischen Verarbeitungen auf, die für Schönberg das Fortschrittliche bei Brahms ausmachten. Auch hier sind die Sonatensätze modifiziert, die ihnen zugrundeliegenden Gegensätze müssen erst aus dem Grundmaterial entstehen und sich zu einem Netz aus Motiven, Themen und Gedanken auseinanderentwickeln.

Mancher Autor hat das f-Moll-Quintett als das größte Kammermusikwerk Brahms' bezeichnet. Clara Schumann befand sogar, dass es zu groß für ein Klavierquintett sei und "die Gedanken über ein ganzes Orchester ausgestreut werden müßten". Dabei hatte es gar nicht gut angefangen. 1862 war das Werk in seiner ersten Fassung als Streichquintett fertiggestellt. In einer Privataufführung bei Joseph Joachim in Hannover enttäuschte es alle Beteiligten. Brahms arbeitete das Quintett zu einer Sonate für zwei Klaviere um, die er 1864 in einem öffentlichen Konzert der Wiener Singakademie aufführte. Wieder blieb der Erfolg aus. Erst die Synthese aus den beiden missglückten Fassungen, erst die Verbindung von Streicherensemble und Klavier machte die Komposition weltberühmt.

Ebenso wie Herzogenberg ist der zehn Jahre ältere Brahms seit 1862 in Wien, dieser als Klavierlehrer, freier Pianist und Leiter der Singakademie, jener als Konservatoriumsstudent. Brahms, der keine Hochschule besucht hat, leidet sein Leben lang unter fehlender Allgemeinbildung und insbesondere Herzogenberg gilt ihm später als das Vorbild eines gebildeten Menschen. Während Herzogenberg nach dem Studium vom Komponieren leben kann, muss Brahms Klavierunterricht geben, jener Elisabeth von Stockhausen beispielsweise, die Herzogenberg zur gleichen Zeit kennenlernt und die zwölf Jahre später, 1874, in Leipzig eine Brahms-Woche organisiert, durch die der Kontakt zwischen den beiden Komponisten endgültig gefestigt wird. Ein Treffen, das viele Auswirkungen hat: neben dem Beginn eines intensiven Briefwechsels bezeichnet Herzogenberg es als weiteren Ausgangspunkt der "Häutung", deren erstes Ergebnis bekanntlich das Klavierquintett ist.

In Wien etabliert sich Brahms, so dass er den Klavierunterricht bald aufgeben und als freier Komponist leben kann. Obwohl ihm eine ordentliche Anstellung in Hamburg lieber gewesen wäre. Er macht sich Hoffnung auf die Leitung der Philharmonischen Gesellschaft in Hamburg; als die Stelle anderweitig besetzt wird, verbittert er: "Hätte man mich zur rechten Zeit gewählt, so wäre ich ein ordentlicher Mensch geworden, hätte mich verheiraten können und gelebt wie jeder andere. Jetzt bin ich ein Vagabund."

Dass er die Stelle in Hamburg nicht bekommt, hat einen einfachen Grund: er hatte sich nicht darauf beworben, sondern gehofft, dass die Hamburger auf ihn zukommen. Immerhin ergibt sich 1872 eine Möglichkeit zur Anstellung als Dirigent bei den Wiener Gesellschaftskonzerten. Brahms sagt zu, gibt das Amt aber drei Jahre später wieder auf: er eignet sich nicht zum Dirigenten. Er wird in seinem Leben keine Anstellung mehr annehmen.

1876 vollendet Brahms seine 1. Sinfonie. Der Konservative versucht sich an der Orchestermusik, der Domäne der Neudeutschen. Es ist nicht das erste Orchesterwerk, zwei Serenaden, ein Klavierkonzert, die Variationen über ein Thema von Haydn und einige später vernichtete Werke sind vorausgegangen, aber erst die Sinfonie ist im neudeutschen Sinne eine Grenzüberschreitung. Drei weitere Sinfonien folgen innerhalb eines Zeitraums von neun Jahren. Wagner, der auf den zwanzig Jahre jüngeren Brahms aufmerksam wird, schreibt Glossen und Verrisse gegen den "sonderbaren Tugendwächter der musikalischen Keuschheit", dessen Werke er als "Täuschung" diffamiert.

Trotzdem bleibt die Orchestermusik nur ein kleiner Teil in Brahms' Schaffen. Der Umfang an Klavier- und Kammermusikwerken beträgt das Vierfache der Orchestermusik. Keine der Sinfonien trägt eine Widmung, im Gegensatz zu einem Großteil der Kammermusik. So die in plötzlichem jugendlichem Überschwang komponierten Rhapsodien op. 79 des 46-Jährigen, die 1879 Elisabeth von Herzogenberg gewidmet werden sollen. Die Bitte um die Widmung fällt nicht weniger überschwänglich aus: "...erlauben Sie, daß ich auf den Schmarrn Ihren lieben und verehrten Namen setze? Aber wie schreibt sich der? Elsa oder Elisabeth? Freifrau oder Baronin? Geboren oder nicht? Verzeihen Sie alles Mögliche dem tumben Knaben, aber sagen Sie gleich ein Wort und zwar nach Ischl...".

Und auch die 4. Sinfonie bekommen die Herzogenbergs 1884 als erste zu Gesicht, bevor nach Brahms'schem Brauch das neue Werk im Kreise der Freunde an zwei Klavieren getestet wird. Fast jedes Werk von Brahms geht durch diese "Testphase". Im Falle des Klavierquintetts testeten Joachim und Karl Tausig (ein designierter "Neudeutscher"), später ist es immer öfter die Familie Herzogenberg, die erste Kommentare zu neuen Brahms-Kompositionen abgeben musste.

Obwohl denen die Prüfung der Brahms'schen 4. Sinfonie am 8. Oktober 1894 sicherlich nicht gelegen kommt. Eine Woche zuvor sind sie nach Berlin gezogen, weil Heinrich einem Ruf auf den Lehrstuhl für Komposition an der Berliner Hochschule für Musik folgt. Spitta hatte sich für Herzogenberg eingesetzt, da der Lehrstuhlinhaber Friedrich Kiel bereits 1882 infolge einer schweren Krankheit seine Tätigkeit nicht mehr ausüben konnte. Kiel gab seine Stelle jedoch nicht frei und so kann sie Herzogenberg erst 1884 antreten, nachdem Kiel gestorben ist.

Bereits 1887 zwingt Herzogenberg jedoch ein rheumatisches Leiden zum Aussetzen, 1891 zur Aufgabe der Stelle. Durch den Tod seiner Frau im darauffolgenden Jahr zögert sich die Genesung heraus, der 50-Jährige lebt als freier Kompositionslehrer in Berlin, arbeitet vorübergehend bei der Vierteljahresschrift für Musikwissenschaft, in der Herausgeberkommission der Denkmäler Deutscher Tonkunst, er schreibt wissenschaftliche Expertisen über verschiedene Musikangelegenheiten und leitet ab 1892 die Berliner Musikalische Gesellschaft.

Am 1. Mai 1897, drei Wochen nach Brahms' Tod, wird er ein zweites Mal an die Hochschule berufen, doch das Leiden stellt sich erneut ein, wiederum wird er durch Behandlungen und Kuren in verschiedenen Städten von der Lehrtätigkeit abgehalten, die er 1900 abermals kündigt. Noch im selben Jahr stirbt Herzogenberg während einer Kur in Wiesbaden.

In den letzten Jahren vor seinem Tod begann er ein Lehrbuch der Harmonielehre, von dem jedoch nur ein Aufsatz mit dem Titel "Tonalität" fertig wurde. Der Aufsatz soll Einblicke in die Werkstatt des Komponisten geben, er stellt indes niemals die Tonalität in Frage und zentriert sich um die Begriffe Dreiklang und Tonart. Es ist immer noch die Streitschrift eines Traditionalisten. Doch die Zeit hat sie längst überholt. Die Neudeutschen waren 27 Jahre aktiv gewesen, bis ihr Kopf 1886 starb, drei Jahre nach Wagner. Debussy, Satie, Schönberg und manch anderer lassen ihren ästhetischen Disput schal werden. Er versandete einfach, ohne Lösung (die ja auch nie gewollt war), ohne wirkliche historische Konsequenz. Nur manchmal spielt die Musikgeschichtsschreibung mit ihm immer noch ihre Streiche.

Jörg Siepermann

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