EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VII: Günter Raphael – Sonata op. 74a (1957)
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EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
I: Walter Girnatis – Sonatina (1962)

1 Allegro EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
I: Walter Girnatis – Sonatina (1962)
1 Allegro

2 Arietta EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
I: Walter Girnatis – Sonatina (1962)
2 Arietta

3 Rondino EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
I: Walter Girnatis – Sonatina (1962)
3 Rondino

II: Friedrich Leinert – Sonata (1952)

4 Allegro moderato EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
II: Friedrich Leinert – Sonata (1952)
4 Allegro moderato

5 Larghetto EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
II: Friedrich Leinert – Sonata (1952)
5 Larghetto

6 Allegro con brio EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
II: Friedrich Leinert – Sonata (1952)
6 Allegro con brio

III: Bernhard Krol – Sonata op. 17 (1954)

7 Presto EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
III: Bernhard Krol – Sonata op. 17 (1954)
7 Presto

8 Maestoso EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
III: Bernhard Krol – Sonata op. 17 (1954)
8 Maestoso

9 Allegro assai EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
III: Bernhard Krol – Sonata op. 17 (1954)
9 Allegro assai

IV: Bernhard Heiden – Solo (1969)

10 Solo EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
IV: Bernhard Heiden – Solo (1969)
10 Solo

V: Hermann Reutter – Pièce concertante (1968)

11 Exposition EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
V: Hermann Reutter – Pièce concertante (1968)
11 Exposition

12 Berceuse EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
V: Hermann Reutter – Pièce concertante (1968)
12 Berceuse

13 Combination EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
V: Hermann Reutter – Pièce concertante (1968)
13 Combination

VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)

14 Thema. Un poco adagio EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
14 Thema. Un poco adagio

15 Variation 1. Andante EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
15 Variation 1. Andante

16 Variation 2. Allegro moderato EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
16 Variation 2. Allegro moderato

17 Variation 3. Allegro molto EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
17 Variation 3. Allegro molto

18 Variation 4. Adagio EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
18 Variation 4. Adagio

19 Variation 5. Con brio EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
19 Variation 5. Con brio

20 Variation 6. Allegretto grazioso EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VI: Kurt Fiebig – Variations on a Theme of M. Clementi (1952)
20 Variation 6. Allegretto grazioso

VII: Günter Raphael – Sonata op. 74a (1957)

21 Con moto EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VII: Günter Raphael – Sonata op. 74a (1957)
21 Con moto

22 Vivace EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VII: Günter Raphael – Sonata op. 74a (1957)
22 Vivace

23 Allegro molto energico EDA 33: Music for Saxophone from Germany 1952–1969
VII: Günter Raphael – Sonata op. 74a (1957)
23 Allegro molto energico

Herausragende Werke deutscher Komponisten für Saxophon und Klavier aus den beiden Nachkriegsdekaden des 2. Weltkriegs. Die stilistische und ästhetische Bandbreite der Kompositionen dokumentiert die wechselvolle Geschichte des Saxophons nach der Stigmatisierung durch die Nationalsozialisten und das Ringen der Komponisten mit dem Image des Instruments, aber auch mit den Dogmen und Verdikten der Nachkriegsmoderne. Eine Hommage an das moderne Saxophon.

Musik für Saxophon aus Deutschland 1952–1969

Die vorliegende Zusammenstellung "Musik für Saxophon aus Deutschland: 1952–1969" präsentiert herausragende Kompositionen der zwei Nachkriegsdekaden und ergänzt die dreiteilige CD-Serie "Musik für Saxophon aus Berlin" (EDA 21: 1930–1932, EDA 22: 1934–1938, EDA 29: 1982–2004). Die Anthologie beginnt im Jahre 1930 und spannt einen Bogen in das kompositorische Geschehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

In den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann in der deutschen Hauptstadt eine Auseinandersetzung mit dem Saxophon als klassischem Instrument. Jäh unterbrochen durch Repression und Krieg, fand sie ihre Fortsetzung erst in den achtziger Jahren. In der Aufbruchstimmung der Nachkriegsjahre hielt die Stigmatisierung des von den Nationalsozialisten als "entartet" eingestuften Saxophons an. In Berlin entstanden nur zwei Kompositionen für Altsaxophon und Klavier in den 1950er und 1960er Jahren, die Sonate op. 17 von Bernhard Krol (1954) und die Partita von Erwin Dressel (1965); ob noch weitere der ca. 20 nachweisbaren Werke in Berlin entstanden, ist nicht eindeutig. In der Nachkriegszeit erschwerte das Etikett "Saxophon" eine lebendige Auseinandersetzung junger, in Deutschland lebender Komponisten mit diesem Instrument. Es brillierte in der Unterhaltungsmusik und im Jazz wie einst in den "Goldenen Zwanzigern" und wurde schon deswegen von vielen "dem Zeitgeist folgenden" Komponisten nicht in Erwägung gezogen. In vielen Köpfen wirkte noch das zwiespältige Verhältnis der Nationalsozialisten zum Saxophon, welches sie als "jüdisch-negroid", "die Tonkunst zersetzend" oder "undeutsch" verteufelt hatten, insbesondere in der seriösen Konzert- und Opernmusik.

Jedoch setzten die Machthaber das Instrument auch gezielt ein, verordneten es gar für bestimmte Zwecke und vereinnahmten es auf ihre Weise. In der Luftwaffe beispielsweise hielt es die Obrigkeit für angebracht, die als besonders tollkühn geltenden Piloten mit "heißer" Musik bei Laune zu halten und stattete 1935 die Musikkorps dieser modernsten aller damaligen Waffengattungen mit adäquaten Musikinstrumenten – also: Saxophonen – aus. Dem "schneidigen" Saxophon-Klang in den Reihen der Wehrmacht folgte wenige Jahre später der samtige "Saxophone-Section-Sound" in einem von Propagandaminister Goebbels beauftragten inoffiziellen Swing-Orchester. "Charlie and his Orchestra" spielten amerikanische Hits, deren umgedichtete englische Texte mit deutscher Propaganda gespickt waren. Ziel war es, englischsprachige Hörer im Feindesland mit vertrauter Swing-Musik zu erreichen, um sie für die nationalsozialistische Idee zu gewinnen; eine skurrile Order mit zweifelhafter Aussicht auf Erfolg. Die tatsächliche Haltung der kulturpolitisch relevanten NS-Institutionen wird allerdings auf dem Plakat der Düsseldorfer Ausstellung "Entartete Musik" im Jahr 1938 augenfällig: ein vornehm gekleideter, Saxophon spielender, farbiger Tanzmusiker mit Judenstern am Revers (eine Anspielung auf Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf) offenbart unzweifelhaft den perfiden Blick der Nationalsozialisten auf das Saxophon. Dass dieses wandelbare Instrument für jeden Musikstil einsetzbar war und sich auch in der seriösen Kunstmusik seinen Platz zu erobern suchte, war den Kulturhütern der Machthaber ein Dorn im Auge. Für die Kunstmusik wurde es daher für nicht würdig befunden und als "entartet" eingestuft. Fortan wurde das Saxophon von den Nazis mit "Nigger-Musik" und erotisch-sexuellen Anzüglichkeiten verknüpft und entsprechend präsentiert. Diese Kampagne mündete schließlich in ein generelles Verbot, woraufhin sich viele Musiker gezwungen sahen, auf andere Instrumente umzuschulen. Der Verkauf von Saxophonen brach daraufhin ein; die deutschen Saxophonhersteller gerieten alsbald in Absatzschwierigkeiten und informierten das Reichswirtschaftsministerium und das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda über ihre Existenznot. Tatsächlich rehabilitierten die staatlichen Stellen daraufhin das Saxophon, allerdings nur für die "gute", also "deutsche" Musik. In der Zeitschrift des "Kampfbundes für Deutsche Kultur" warb man sogar um Verständnis für das Saxophon, das sich allerdings "aus der schlechten Gesellschaft befreien und schönen Melodien zuwenden müsse". Die Zeitschrift "Deutsche Zukunft" verlangte hingegen weiterhin die Verbannung des Saxophons aus deutschen Orchestern, da es ein "fremdländischer und jüdischer Import" sei.

Ob nun rehabilitiert oder nicht: das Saxophon war und blieb verdächtig – auch nach dem Krieg. Selbst ohne Entartungs-Edikt war an einen gleichberechtigten und damit ständigen Platz im klassischen Sinfonieorchester nicht zu denken, zu wenige Komponisten griffen auf das Saxophon zurück; wurde doch einmal eines gebraucht, übernahmen zumeist Saxophon spielende Klarinettisten die Partie (eine bis heute übliche Praxis). Der klassisch ausgerichtete Saxophonunterricht am Stern'schen Konservatorium Berlin war bereits 1936 eingestellt worden, womit die seit 1924 von Gustav Bumcke (1876–1963) aufgebaute Klasse ihren Charakter verlor und nur noch Musiker für Tanz-, Unterhaltungs- und Blasmusik ausbildete. Bumcke, der große Pionier des klassischen Saxophons in Berlin, wurde 1936 – zeitgleich mit der Umbenennung des Stern'schen Konservatoriums in "Konservatorium der Reichshauptstadt" – zum Parteieintritt aufgefordert und eine Fortführung seiner Dozentur von der Mitgliedschaft in der NSDAP abhängig gemacht. Er lehnte diese jedoch ab. Durch seine Elimination vom Konservatorium verwaiste die klassische Saxophonausbildung zusehends, ein Zustand, der nach dem Krieg nicht korrigiert wurde. Folglich gab es keine klassisch ausgebildeten Saxophonisten und es fehlte darüberhinaus ein charismatischer Protagonist von Rang und Namen – der Saxophonvirtuose Sigurd Rascher (1907–2001), der diese Berufung in den dreißiger Jahren auf das Vortrefflichste ausgefüllt hatte, emigrierte bereits 1933.

Abstrus muss das Saxophon den zeitgenössischen Komponisten der Nachkriegszeit vorgekommen sein. Die vielen Brüche und Ungereimtheiten in der jüngeren Geschichte machten es zu keinem vertrauenswürdigen Instrument. Gefeiert, verboten, gerühmt, diskreditiert, verehrt, verunglimpft, vereinnahmt, gepriesen, verleumdet, beklatscht, gebrandmarkt – für den seriösen Konzert-Gebrauch nahm man von diesem "strumento non grata" besser Abstand. Nicht nur die vorurteilsbehaftete Sicht auf das Saxophon selbst und der Mangel an fähigen Instrumentalisten, die diese Befangenheit hätten abbauen können, erschwerte einen Wiedereinstieg in das Konzertleben. Auch bezüglich der vorherrschenden stilistischen Verwendung in der Jazz-, Revue-, Blas- und Unterhaltungsmusik bereitete es den Komponisten Schwierigkeiten, die, dem radikalen musikalischen Bruch jener Jahre folgend, in Adornos Anti-Tonalitäts-Dogma ihre Berufung in serieller, aleatorischer, später verstärkt experimenteller Musik sahen und zudem auf elektronische Mittel setzten, mithin auf die kontrollierbare Beeinflussung des Klangs bis hin zu einer definierten und nicht ausschließlich dem Interpreten überlassenen Klang-Darstellung. Dies könnte erklären, warum die Serialisten das verdächtige Saxophon bei Instrumentierungsfragen überwiegend ausgeschlossen. Da das Saxophon dem Jazz nach wie vor als schillerndes Symbolinstrument verhaftet war und es in den 1920/30er Jahren häufig zu Anleihen dieser populären Stilistik in seriösen Kompositionen unter Verwendung des Saxophons gekommen war (z. B. in den Sonaten für Altsaxophon und Klavier von Erwin Schulhoff, Wolfgang Jacobi [beide 1930] und Bernhard Heiden [1937], in den Jazz-Koloraturen op. 1 [1929] für Sopran-Stimme, Altsaxophon und Fagott von Boris Blacher, im Konzertstück [1933] für zwei Altsaxophone von Paul Hindemith, dem Ballett La creation du monde [1923] von Darius Milhaud, in der Rhapsody in Blue [1924] von George Gershwin, der Jazz-Oper Jonny spielt auf [1927] von Ernst Krenek, in der Dreigroschenoper [1928] von Kurt Weill, der lustigen Oper Neues vom Tage [1929] von Paul Hindemith u.a.), passte es den Avantgardisten nicht ins Instrumentarium. Die Vertreter dieser radikalen Ästhetik in den musikalischen Zentren der Nachkriegs-Avantgarde in Köln, Darmstadt und Donaueschingen sahen das Fundament ihres Schaffensprozesses in Adornos 1949 publizierter Philosophie über neue Musik, in der die Entsagung des Schönen postuliert und zur Dekonstruktion des musikalischen Materials geraten wurde. Ein Dur-Dreiklang galt als reaktionär und faschistoid. Wer sich als der jungen Demokratie verpflichteter Komponist verstand, ließ sich auf das Adornosche Dogma der strikten Trennung von U- und E-Musik ein und unterließ alles, was ihn eines vermeintlich restaurativen Denkens verdächtig machen konnte. Adornos Auslassungen in Über Jazz (Zeitschrift für Sozialforschung, Paris 1936, Pseudonym Hektor Rottweiler) und in Zeitlose Mode. Zum Jazz (Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft, 1955) taten ihr Übriges: "… nicht bloß das Saxophon ist den Militärkapellen entlehnt, sondern die gesamte Disposition des Jazzorchesters, nach Melodie-, Baß-, "obligaten" Begleit- und bloßen Füllinstrumenten, ist mit der der Militärkapellen identisch. Darum will der Jazz zum faschistischen Gebrauch gut sich schicken." Und: "Ziel des Jazz ist die mechanische Reproduktion eines regressiven Moments, eine Kastrationssymbolik, die zu bedeuten scheint: gib den Anspruch deiner Männlichkeit auf, laß dich kastrieren, wie der eunuchenhafte Klang der Jazzband es verspottet und proklamiert, und du wirst dafür belohnt, in einen Männerbund aufgenommen, welcher das Geheimnis der Impotenz mit dir teilt, das im Augenblick des Initiationsritus sich lüftet."

Durch die zunehmende Präsenz des Serialismus und der ihm folgenden kompositorischen Strömungen (und auch deren Förderung seitens der öffentlichen Hand, u.a. durch den Rundfunk) gerieten tonal bzw. freitonal orientierte Kompositionstechniken ins Abseits. Gewiss gab es eine Vielzahl von Komponisten, die sich der Tonalitäts-Feindlichkeit widersetzten und konventionell-traditionell schrieben, doch ihre Werke erhielten deutlich weniger bis keine Aufmerksamkeit und gerieten häufig in Vergessenheit. Auch die hier eingespielten Werke sind größtenteils unbekannt und bis heute nicht in das Kern-Repertoire der klassischen Saxophonisten eingegangen. Die Qualität dieser Werke hingegen ist unbestreitbar, sie zeugen von einer ernsthaften Auseinandersetzung mit tradierten Kompositionstechniken für ein modernes Blasinstrument. Es wundert deshalb nicht, dass die meisten Werke gedruckt und verlegt wurden. Im hier zusammengestellten Werkkanon existieren bis dato lediglich die Variationen über ein Thema von M. Clementi von Kurt Fiebig allein in Manuskriptform, das die Schwiegertochter des Komponisten, Angelika Fiebig-Dreyer, zur Verfügung gestellt hat. Aufnahmen für Rundfunk, Schallplatte oder CD waren bislang nicht oder nur verstreut verfügbar. Die Hälfte der hier aufgenommenen Werke sind Ersteinspielungen.

"Empfehle wärmstens meinen Schüler Kurt Fiebig. Er ist ein ganz ausgezeichneter Musiker, hochbegabt als Komponist, ein sehr guter Organist und Klavierspieler, gewissenhaft und fleißig. Er wird in jeglicher Stellung im Bereiche seines Könnens seinen Platz voll ausfüllen." Kein Geringerer als der hochangesehene Direktor der Berliner Hochschule für Musik Franz Schreker stellte im Dezember 1932 seinem Studenten Kurt Fiebig dieses anerkennende Zeugnis aus. Allein Schrekers Kompositionsklasse anzugehören war Auszeichnung genug, denn sie war – im Gegensatz zu den ebenso bedeutenden Kompositionsklassen der 1920er Jahre von Busoni, Schönberg und Hindemith – für ihre pluralistische Idee berühmt. Sie vereinte Studentinnen und Studenten, die sich in ihrer Verschiedenheit entfalten durften und sollten. Nie unternahm Schreker den Versuch, einen bestimmten Kompositionsstil aufzuzwingen, sondern leitete mit Objektivität jeden Studenten so, wie es seiner Eigenart entsprach. Trotz tiefster Verehrung für Schreker wäre Fiebig nach zwei Jahren gerne in die Obhut Hindemiths gewechselt, da er sich begeistert der kirchenmusikalischen Erneuerungsbewegung anschloss, die Hindemith zum Vorbild hatte. Die Loyalität zu Schreker hielt den gerade zwanzigjährigen Schüler jedoch davon ab. 1908 in Berlin geboren, kam Kurt Fiebig frühzeitig durch seinen Vater, Militärmusiker beim 2. Garderegiment zu Fuß, mit Musik in Berührung. Neben dem Instrumentalunterricht (zunächst Klavier, später Orgel) sang er als Chorknabe im Berliner Domchor und fasste bald den Entschluss, Kirchenmusiker zu werden. Seinem Privatlehrer für Harmonielehre und Kontrapunkt, Karol Rathaus – Schreker-Schüler seit 1914 in Wien und Berlin – entging weder die außergewöhnliche Begabung seines Schülers, noch dessen Hinwendung zur Kirchenmusik, und er ermunterte ihn zu einem Studium beim Thomaskantor Karl Straube am Leipziger Konservatorium. Dieser war jedoch nicht als Komponist aktiv, und so strebte der 18jährige Hochbegabte in die illustre Klasse des prominenten Franz Schreker. Im liberalen Klima dieses Lernumfeldes entwickelte Fiebig seine der protestantischen Kirchenmusik verpflichtete Tonsprache weiter und gewann 1931 den begehrten Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Preis. Ab 1933 war er Kantor und Organist an St. Elisabeth in Berlin. 1936 erhielt er einen Ruf als Organist an den Dom zu Quedlinburg, welcher im Februar 1938 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und von Heinrich Himmler zu einer "nationalen Pilger- und Weihestätte" umfunktioniert wurde, womit Fiebigs Organisten-Dienst endete. Auf dem Fest der Deutschen Kirchenmusik in Berlin wurden 1937 Kompositionen von Fiebig, der den Deutschen Christen angehörte, aufgeführt. Mit Beginn seiner Tätigkeit in Quedlinburg wurde er Dozent an der Kirchenmusikschule in Aschersleben, die 1938 auf sein Betreiben nach Halle/Saale verlegt wurde und am neuen Standort stark prosperierte. Drei Jahre später übernahm er deren Leitung und behielt diese Stellung auch nach dem Krieg und bis in die Gründung der DDR hinein. 1951 wechselte er nach Hamburg an die Gnadenkirche St. Pauli, wo seine wichtigsten Werke entstanden, u.a. die Markuspassion und die Kantate Et unam sanctam. Von 1960 bis 1980 war er als Dozent und Professor für Tonsatz und Gehörbildung an der Musikhochschule Hamburg tätig. Seinen Schülern, Studenten und Chorsängern ist er als begnadeter Pädagoge und enthusiastischer Chorleiter in Erinnerung. Kurt Fiebig starb 1988 in Hamburg-Jenfeld. Seine Hinwendung zur Kirchenmusik inspirierte Fiebig überwiegend zu Kompositionen geistlicher Gattungen, dennoch entstanden einige Werke weltlicher Literatur, z. B. der Liederzyklus Jahrkreis der Liebe nach Ricarda Huch, ein Streich- und ein Flötenquartett sowie mehrere Kammermusikwerke in diversen Besetzungen. Die Variationen über ein Thema von M. Clementi schrieb Fiebig 1952 auf Anregung eines namentlich nicht erwähnten Saxophonisten, der die Komposition allerdings nie gespielt hat. Die Uraufführung fand durch die Interpreten dieser Einspielung im Oktober 2006 in Minden/Westf. statt. Das schlichte und anmutige Thema des Mittelsatzes der 3. Klaviersonatine op. 36 von Muzio Clementi aus dem Jahr 1797 variiert Fiebig sechs Mal. Die 1. Variation Andante überrascht durch eine griffige Auftaktfigur im Saxophon und spinnt zunächst die einfach punktierte Rhythmisierung des Themas fort. Auch die 2. Variation Allegro moderato bedient sich dieses Mittels, im Klavier nun doppelt punktiert. Über pulsierenden Akkorden dehnt das Saxophon im Allegro molto, der 3. Variation, bereits zuvor antizipierte Achtel-Triolen aus, die verbreitert in die 4. Variation Adagio überleiten. Hier hält Fiebig inne – süßer Schmerz greift Raum und ruft nach Trost, gespendet von einer entrückten Klaviermelodie. Eine fragende Geste entlässt in die 5. Variation Con brio, einer zunächst harmlos verspielten 6/8tel-Textur, deren Motiv binnen weniger Takte auflebt, sich verdichtet und nach zwei Modulationen entfesselt einer Befreiung entgegensteuert. Über eine dritte Modulation (sämtlich in die nächste Unterquinte) schließlich As-Dur erreichend, wird das Clementi-Thema in der 6. Variation Allegretto grazioso noch einmal deklamiert, bevor drei leere Klavierquinten die Dur-Terz des Saxophons schließend in ihre Mitte nehmen. "Konstruktivismus in der Musik ist meine Sache nicht – die Form muss sich immer der Inspiration unterordnen."

Diese kompositorische Maxime verwirklichte der Schönberg-Schüler Friedrich Leinert exemplarisch in seiner 1952 entstandenen Sonate für Altsaxophon und Klavier. Obwohl er sich der traditionellen Sonatenform bedient und sowohl musikalische Themen als auch rhythmische Motive durchaus strukturiert verwendet, bricht er von Satz zu Satz mit der mit dieser Form verbundenen Hörgewohnheit dieser Form. Das den 1. Satz Allegro moderato einleitende sechstaktige Thema birgt noch den Eindruck des Gefassten und Umrissenen; es erscheint im Saxophon drei Mal identisch und ein Mal variiert. Das Klavier nimmt sich des Themas ebenfalls an, wird es jedoch nie in seiner ursprünglichen Gestalt vollenden. Leinert überträgt der Klavierstimme den Part des dem Saxophon dialogisch begegnenden Partners, der der Kontroverse den Vorzug gibt und sich durch eine oft überraschend eintretende veränderte Themenfortführung profiliert. Beharrlich besteht das Klavier auf einem Achtel/Zwei-Sechzehntel-Rhythmus, der in eine markante Drei-Sechzehntel-Nachschlag-Kette mutiert, welche in der linken Hand von einem Jazz-Pattern kontrastiert wird. Das Klavier ist nun federführend und erzwingt vom Melodieinstrument eine Stellungnahme in Form eines Sechzehntel-Laufes, den es wiederum beredt übernimmt und in das ursprüngliche Pattern zurückführt. Zwei dezent aufflackernde lyrische Momente des Klaviers geben dem Saxophon für eine kurze Zeit Raum, so wie sonst nur in der Themenbegleitung. Die besondere Ausprägung einer Melodieführung begegnet uns im 2. Satz Larghetto – vier- bis siebenstimmige Akkordverschiebungen imaginieren fortschreitende prismatische Figuren, die vom Saxophon kommentiert werden. Ein Più mosso entlässt das Klavier in beständig aufwärtsstrebende Sechzehntel-Ketten, in das sich gegen Ende dezente Reminiszenzen der bekannten Prismen einfügen, ehe sich im a tempo das anfängliche Klangbild wieder einstellt. Nicht nur hinsichtlich einer nun nahezu übersteigerten Dominanz des Klaviers über das Saxophon bricht Leinert im Schlusssatz Allegro con brio ein drittes Mal mit der Gepflogenheit, indem er durch irritierende Akzentuierungen dem Hörer einen nachvollziehbaren Puls vorenthält. Sollte sich die Gewissheit des notierten 5/8-Taktes einstellen, wird sie mittels Phrasenverschiebung alsbald angezweifelt. Auf die Spitze treibt Leinert dieses Verwirrspiel im Mittelteil: während im Klavier der treibende 5/8 durchgeht, versetzt er das Saxophon in einen ruhigen 4/4-Takt und lässt es für eine Weile entschweben, das Klavier jedoch wird seiner Rolle in dieser faszinierenden Komposition gerecht und führt beide Instrumente mit rasenden Läufen in ein erdenschweres Finale. Friedrich Leinert wurde 1908 in Oppeln (Oberschlesien) geboren. Er studierte Musik in Dresden, u. a. Dirigieren bei Fritz Busch und promovierte 28jährig an der Phillips-Universität in Marburg/Lahn zum Dr. phil. Bereits 1931 wurde er für ein Jahr Privatschüler von Arnold Schönberg in Berlin. Im Wissen um seinen unangepassten Kompositionsstil unternahm Leinert in den dreißiger Jahren keinerlei Versuche aufgeführt zu werden; dies geschah erst nach dem Krieg. Das Regime ablehnend und mit einer "Halbjüdin" verehelicht, sah er sich zu einer unauffälligen Lebensführung genötigt. Dennoch geriet er in die Fänge der Gestapo aufgrund der Vermutung, dass seine Frau Agathe Wenzlaff ihren Ahnenpass gefälscht hatte; er wurde mit brennenden Zigaretten gefoltert und stundenlang mit erzwungenermaßen geöffneten Augen starkem Neonlicht ausgesetzt. Es gelang ihm schließlich, seine Frau unter Vorbehalten als "Arierin" einstufen zu lassen, was ihre drohende Verhaftung verhinderte. Als von der US-Militärregierung anerkanntes Nichtparteimitglied erhielt Leinert nach dem Krieg in Marburg/Lahn die Lizenz, Konzerte und musikalische Veranstaltungen durchzuführen. Er leitete ab 1954 die Musikabteilung des Amerika-Hauses in Hannover und war ab 1957 als Dozent und Professor für Musiktheorie, Generalbass, Partiturspiel und Opern-Dramaturgie und Ballett-Geschichte an der dortigen Staatlichen Hochschule für Musik und Theater tätig. Als Gastdozent für Ballett-Geschichte wirke er an der Folkwang Hochschule in Essen. Ebenfalls in Hannover gründete er mit Klaus Hashagen und Klaus Bernbacher das "Studio für Neue Musik", landesweit hielt er Vorträge über die Geschichte und Entwicklung des Jazz und unterhielt freundschaftliche Verbindungen zu Kollegen wie Ernst Krenek, Günter Raphael, Ernst Lothar von Knorr, Karl-Amadeus Hartmann und Leonard Bernstein. Friedrich Leinert starb 1975 in Emmendingen bei Freiburg. Sein kompositorisches Schaffen ist von der klanglichen Sensibilität französischer Meister ebenso beeinflusst wie von Rhythmen des Jazz. Er komponierte mehrere Opern und Kammeropern, auch auf Libretti seines Sohnes Michael Leinert, Kammermusik und Lieder. Vier seiner neun Sinfonien wurden vom Norddeutschen Rundfunk produziert. Dem Saxophon nahm er sich in mehrfacher Weise an und schrieb neben drei Sonaten für Saxophon und Klavier (zwei davon sind nicht verlegt) auch ein Saxophonquartett, das vom Quartet de Saxophones Marcel Mule aufgeführt wurde. Auch als Orchesterinstrument kam das Saxophon in Leinerts Œuvre zum Zuge, so auch in seiner 3. Sinfonie "In memoriam", die er auf den Tod Paul Hindemiths komponiert hat. Die hier vorliegende Sonate widmete er dem holländischen Saxophonisten Jules de Vries (1905–1981), einem der ersten Absolventen der berühmten Pariser Saxophonklasse von Marcel Mule (1901–2001) am Conservatoire National de Musique in Paris.

Marcel Mule, der legendäre Begründer der französischen Saxophonschule, formte eine Reihe hochtalentierter Protagonisten, die den Ruf dieser Stilistik in die Welt trugen. Neben de Vries nahmen Daniel Deffayet (1922–2002), Jean-Marie Londeix (*1932) und der Schweizer Ivan Roth (*1942) seit den 1960er Jahren großen Einfluss auf die klassische Saxophonausbildung in Deutschland. Sie unterrichteten viele deutsche Saxophonisten und etablierten hierzulande den französischen Stil. Die nach und nach eingerichteten Hochschuldozenturen folgen bis heute überwiegend der französischen Spielweise. Dieser Umstand erklärt, dass keines der auf dieser CD vorgestellten Werke der Nachkriegszeit Sigurd Rascher gewidmet wurde, sondern, so denn eine Widmung vermerkt ist, Saxophonisten der Mule-Nachfolge (Ausnahme: der Bumcke-Schüler Emil Manz). Rascher setzte seine ruhmreiche Karriere nach 1933 in Skandinavien und in den USA fort. Erst in den 1960er Jahren betrat er wieder deutschen Boden, jedoch nur für Konzerte und Aufnahmen. Seine Heimat hatte er in Shushan, New York, gefunden, wo er 2001 im Alter von 93 Jahren starb. Einige deutsche Komponisten widmeten dem exilierten Rascher auch nach dem Krieg Kompositionen für Altsaxophon und Klavier, z.B. Werner-Wolf Glaser, Will Eisenmann, Hans-Ludwig Brehme, Rochus Gebhardt und Erwin Dressel. Trotz langfristiger Vorbereitungen der vorliegenden CD-Produktion trafen etliche Noten dieser Komponisten gar nicht oder zu spät ein. Auch der Amerikaner Eugene Rousseau (*1932) studierte in den 1950er Jahren bei Marcel Mule in Paris. Nach seiner Rückkehr in die Staaten übernahm er eine Professur für klassisches Saxophon an der Indiana University School of Music, wo auch Bernhard Heiden einen Lehrstuhl innehatte.

Schon 1937 hatte Heiden eine groß angelegte Sonate für Saxophon und Klavier geschrieben; er komponierte sie kurz nach seiner Flucht aus Deutschland, wo er in Paul Hindemiths Kompositionsklasse die Möglichkeiten des Saxophons kennen gelernt hatte. Rousseau ermunterte ihn 32 Jahre später zu einer weiteren, nun wesentlich kompakteren Komposition, dem Solo for Alto Saxophone and Piano. Seine nochmalige Auseinandersetzung mit dieser Gattung beflügelte ihn, bei einem wesensgleichen kompositorischen Stil, zu einer nun exaltierten Partitur hinsichtlich Intervall-Behandlung und Dramaturgie. Seine synkopische Ausgestaltung der Klavierstimme im Allegro moderato erinnert deutlich an den Presto-Satz der Sonate, die ausgiebige Staccato-Verwendung im Saxophon an das Vivace. Sein Vertrauen in eine registerübergreifende Klangintensität war 1969 jedoch gewachsen, was Heiden im Lento durch markante Septimenlegati in den Sechszehntelketten ausdrückt. Der Prolog entwickelt so nach einem anfänglich majestätischen Charakter ein bezaubernd elastisches Gewebe. Bernhard Heiden (geb. 1910 als Bernhard Levi) stammte aus einem musikalischen Elternhaus in Frankfurt am Main. 1935 emigrierte er aufgrund seiner jüdischen Herkunft mit seinen Eltern in die USA und ließ sich zunächst in Detroit nieder, wo er sich schnell in das musikalische Leben integrierte und als Komponist, Arrangeur, Pianist, Cembalist und Organist arbeitete. 1946 übernahm er die Leitung der Kompositionsklasse an der Indiana University School of Music, eine Position, die er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1981 innehatte. Er starb im Jahr 2000 in Bloomington, Indiana. Streng genommen zählt Heiden als 1941 eingebürgerter amerikanischer Staatsbürger nicht mehr zu den Komponisten der hier behandelten Thematik. Sein Schaffen jedoch resultiert aus großer Verbundenheit zu seinem Lehrer und Mentor Paul Hindemith und der tiefen Verwurzelung im deutschen musikalischen Erbe. Ein weiterer früher Absolvent der Mule-Klasse, der Franzose Marcel Perrin (1912–1996), setzte sich nachhaltig für die Saxophon-Werke eines Komponisten ein, der in Berlin geboren wurde und dort als Jugendlicher – ohne tieferen Bezug zu Bumcke oder Rascher – die klangliche Andersartigkeit eines klassisch gespielten Saxophons aufnahm.

Bernhard Krol kam 1920 im Bezirk Kreuzberg in bescheidenen Verhältnissen zur Welt, es herrschte Massenarbeitslosigkeit und Inflation. Sein Elternhaus ermöglichte ihm dennoch den Zugang zur Musik. Der Vater erteilte ihm ersten Violinunterricht, die Tante finanzierte Klavier- und Orgelunterricht, er sang im Knabenchor der Kirchengemeinde und spielte Geige im kleinen Schulorchester des humanistisch geprägten Askanischen Gymnasiums, welches er nur vier Jahre lang besuchen konnte. Dem Katholiken Krol, schon als Jugendlicher fest für seinen Glauben einstehend und der Hitlerjugend abgewandt, wurde von den Parteimitgliedern unter den Lehrern derart zugesetzt, dass er das Gymnasium 1935 verließ und statt des Abiturs nun eine Buchhändlerlehre absolvierte. Mit 17 Jahren fand Krol zum Waldhorn, das ihn wegen seines weichen und romantischen Klangs faszinierte. Er studierte bei Josef Koller, Mitglied der Staatskapelle Berlin, dessen Nachfolger er nach dem Krieg wurde, und beim Solohornisten der Wiener Philharmoniker Gottfried Freiberg an der Wiener Musikakademie. Zeitglich war Krol Soldat und tat Dienst im Musikkorps Bad Vöslau südlich von Wien, später in Prag. 1944 wurden auch Musiker ans Kriegsgerät geschickt, Krol musste zunächst zur Flak und anschließend als Infanterist an die jugoslawische Front. Dort erlebte er das Kriegsende. Auf gefahrvollen Wegen gelangte er nach Berlin zurück und trat bereits im November 1945 eine Stelle als Hornist an der Berliner Staatsoper an. Parallel studierte er Komposition bei Josef Rufer, einem Schüler Arnold Schönbergs, womit Krol als Enkelschüler Schönbergs gilt. Serielle oder freitonale Kompositionstechniken hat er jedoch nicht übernommen, vielmehr fühlt er sich der Reger-Hindemith-Tradition verpflichtet. Krols Œuvre umfasst zahlreiche Orchesterwerke, Kammer-, Orgel- und Chormusik, viele Kompositionen sind religiös geprägt. Krol versteht sich in erster Linie als Komponist. Seinem Broterwerb ging er – als Vater von 13 Kindern – stets als praktizierender Orchestermusiker nach. Nach dem Bau der Mauer wechselte er 1962 ins Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, in dem er bis 1979 spielte. 1981 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen, 1990 der Professor-Titel. Von Papst Benedikt XVI. erhielt er 2007 den Ehrentitel eines Komtur mit Stern des Silvesterordens. Bis zu seinem Tod 2013 lebte Bernhard Krol in Ostfildern bei Stuttgart. Für Bläser komponiert Krol mit besonderer Vorliebe, und so nahm er Anfang der fünfziger Jahre die Idee seines langjährigen Freundes, des Pianisten Ernst Gröschel, eine Sonate für Saxophon und Klavier zu schreiben, mit Begeisterung auf. Eine Aria e Tarantella für Altsaxophon und Orchester folgte 1968. Den ersten Satz Presto seiner Sonate op. 17 eröffnet das Saxophon mit einem markanten Stakkato-Motiv. Dieses wird vom Klavier direkt aufgenommen und geradlinig in ein mit pointiert gesetzten Achteltriolen verfeinertes Seitenthema übergeleitet. In einem lyrischen poco meno mosso entfaltet sich die Durchführung in sinnlicher Zurückgenommenheit und entlässt den Hörer in die sich anschließende kraftvolle Reprise. Im zweiten Satz Maestoso zeigt Krol seine Fähigkeit, charaktervoll für Bläser zu komponieren. Weit ausschweifende Kantilenen in voller dynamischer Bandbreite beschwören die exaltierten Möglichkeiten des Saxophons, das dem Horn in seiner ausgeprägten Obertonstruktur sehr ähnlich ist. Der letzte Satz Allegro assai verblüfft nach einer zunächst tänzerischen 6/8-Textur mit einer unmittelbar eingeleiteten Fuge, die – in ihrer Kürze streng durchkomponiert – einen punktgenauen Kulminationspunkt herbeiführt. Die virtuos verspielte Reprise lässt Krol in einen hellen Dur-Schluss münden.

Eine auffallende Parallele zum Eingangsmotiv der Krol'schen Sonate von 1954 findet sich im 1. Satz der Pièce concertante aus dem Jahr 1968 von Hermann Reutter, gewidmet dem französischen Saxophonisten Jean-Marie Londeix. Obwohl die Exposition von einer viertaktigen Klaviereinleitung (und nicht wie bei Krol von einem knappen Vier-Achtel-Auftakt des Saxophons) eröffnet wird, positionieren beide Komponisten zunächst einen lang gehaltenen Saxophon-Ton in kräftiger Dynamik, der sich anschließend der motorischen Bewegung des Klaviers anschließt. Diese ist bei Reutter von einem Drei-Achtel-Zwei-Sechzehntel-Rhythmus geprägt, den er konsequent beibehält und in der Durchführung verdichtet. Dieses rhythmische Motiv erscheint erneut in der den 3. Satz Combination einleitenden Fuge, dort jedoch verstreut und unter Einbeziehung verschiedener Variationen. Nach einem hemiolisch geprägten ¾-Intermezzo markiert es – die viertaktige Klaviereinleitung der Exposition zitierend – den Beginn des Finales. In Verknüpfung zur gegenbewegten Saxophon-Linie erweist sich diese Reminiszenz als überaus kraftvoll und zielsicher. Der 2. Satz Berceuse trägt gänzlich andere Züge in sich. Allein Tempoangabe (Achtel = 60) und Taktart (5/8 im unregelmäßigen Wechsel mit 6/8) rufen eine surreale Stimmung hervor; wie absichtslos tröpfelt eine vermeintliche Reihe (zehn statt zwölf aufeinanderfolgende Töne) kristallin und zärtlich auf eine liebliche Kantilene des Saxophons zu. Eine duftige Sinnlichkeit entfaltet sich nun im symbiotischen Miteinander beider Melodieverläufe, ein beredtes Exempel klanglicher Analogie dieser Instrumentenkombination. Bei einem derart sensiblen Gespür für den Charakter des Saxophons ist es verwunderlich, dass Reutter das Instrument nur ein einziges Mal in einem kammermusikalischen Kontext verwendet hat. Im Orchester hat er es häufiger eingesetzt (vorzugsweise das Altsaxophon), aber erst ab 1950. Ausnahmen sind das Kammeroratorium Die Rückkehr des verlorenen Sohnes von 1929, das Oratorium Der große Kalender von 1933 und die Oper Doktor Johannes Faust von 1936. Es ist zu vermuten, dass er die Saxophone erst in die Neufassungen von 1952, 1970 bzw. 1954 eingearbeitet hat. Hermann Reutter, geboren 1900 in Stuttgart, wuchs in einer musikalischen Familie auf und hatte bereits als junger Mann Erfolge als Konzertpianist und Liedbegleiter. Als Komponist reüssierte er in den 1920er Jahren auf den zeitgenössischen Musikfesten in Donaueschingen und Baden-Baden und wurde 1932 als Kompositionsprofessor an die Württembergische Musikhochschule Stuttgart berufen. Von 1936 bis 1945 war er Direktor des Dr. Hoch'schen Konservatoriums Frankfurt am Main (ab 1938 Staatliche Hochschule für Musik), von dem bereits im April 1933 sämtliche jüdischen und ausländischen Lehrkräfte entfernt wurden. Ab 1950 nahm er seine vor dem Krieg begonnene Konzerttätigkeit als Pianist und Liedbegleiter wieder auf und arbeitete mit bekannten Sängerinnen und Sängern wie Elisabeth Schwarzkopf und Dietrich Fischer-Dieskau. Als Kompositionsprofessor erging 1952 ein erneuter Ruf an ihn, dieses Mal an die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart. Er war darüberhinaus ein international gesuchter Dozent für Meisterklassen in Liedkomposition/Liedinterpretation und erhielt zahlreiche hohe Auszeichnungen, u.a. 1975 das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Hermann Reutter starb 1985 in Heidenheim an der Brenz.

Am 1. Mai 1933 trat Reutter, wie auch Walter Girnatis, der NSDAP bei. Ein sensibles Datum, denn mit selbigem Tag trat eine zeitlich unbegrenzte Aufnahmesperre in Kraft. Anfang 1933 ereilte die Partei eine massenhafte Eintrittswelle, sodass im Zeitraum Januar bis April die Zahl der Mitglieder von 850.000 auf über 2,5 Millionen anwuchs. Hinter der hohen Zahl von Neuanmeldungen vermutete die NSDAP-Führung einerseits Tausende von Personen, die nicht aus nationalsozialistischer Überzeugung, sondern aus persönlichem Vorteil der Partei angehören wollten; andererseits befürchtete sie die Zunahme subversiver Gegenkräfte. Ob Reutter und Girnatis den Weg in die Partei aus politischer Überzeugung (für oder wider die nationalsozialistische Idee) oder aus persönlichem Kalkül zu diesem vorerst letztmöglichen Termin antraten, bleibt Spekulation. In Girnatis' Werkverzeichnis der 1930/40er Jahre sind mehrere Eigenkompositionen bzw. Arrangements diverser Treue-, Kampf- und Kriegslieder, für die Aufführung anlässlich politischer Veranstaltungen (z. B. der Hitlerjugend, der NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude oder für das Volksliedsingen im Schulfunk) zu finden. Reutter hingegen verfasste oder arrangierte keine ideologische Gebrauchsmusik, seine Kompositionen wurden jedoch im Rahmen politischer Veranstaltungen aufgeführt, so erklangen z. B. im Rahmen der Abschlussfeierlichkeiten des Reichsparteitages in Nürnberg 1937 seine Niederrheinischen Bilder in einer Übertragung des Reichssenders Köln. (Diese Komposition ist im Verzeichnis der veröffentlichten Werke, Schott, 2000, nicht aufgelistet.) Zuweilen verstieß Reutter allerdings gegen die ästhetischen Vorstellungen der Partei-Oberen: "Höre auf Schallplatten Musik von Reut[t]er. Scheußlich und unerträglich." (Goebbels Tagebuch III, 20.01.1938, Fehler im Original). Reutters Musik wurde sowohl gefeiert als auch abgelehnt. Am 7. Oktober 1942 gelangte z. B. seine Oper Odysseus an der Frankfurter Oper zur Uraufführung, sein Lehrstück Der neue Hiob op. 37 von 1930 nach einem Text von Robert Seitz jedoch wurde als "entartet" eingestuft und in der oben genannten Düsseldorfer Ausstellung "Entartete Musik" angeprangert. Ist die Situation Reutters im Dritten Reich ansatzweise dokumentierbar, haben die Nachforschungen zu Walter Girnatis' Leben und Wirken in der NS-Zeit keine umfangreichen Ergebnisse zu Tage gefördert. Wie oben erwähnt, war er in kompositorischer Hinsicht angepasst, bekleidete jedoch keine Ämter oder Lehrstühle.

Girnatis wurde 1894 in Posen/Westpreußen geboren und erhielt im Alter von sieben Jahren Klavierunterricht bei seinem Vater, einem Buchdruckereibesitzer, der eine juristische Laufbahn für seinen Sohn vorgesehen hatte. 21jährig wurde er in den Krieg eingezogen und kehrt 1918 verwundet zurück. Nach seiner Genesung fand er rasch in seine pianistische Tätigkeit zurück und reiste als Pianist und Konzertbegleiter durch Südafrika und Nordamerika. Als Komponist war er zwei Jahre für die City Music League in New York tätig und arbeitete parallel als Kinoorganist. 1925 kehrte er nach Deutschland zurück. Von 1930 bis 1934 war er Schauspiel-Kapellmeister in Hamburg und von 1934 bis 1959 musikalischer Sachbearbeiter, später Redakteur, bei der Nordischen Rundfunk AG, die 1945 unter britischer Besatzung in Nordwestdeutscher Rundfunk umbenannt wurde und seit 1956, zuvor bereits acht Jahre in deutscher Hand, als Norddeutscher Rundfunk bis heute existiert. In seiner Zeit beim Rundfunk verfasste er viele funkeigene Kompositionen. Stationskennung hießen z. B. die sieben von ihm komponierten Töne des Pausenzeichens vor den Nachrichten (c-e-g-b-d-c-c), das bis in die achtziger Jahre ausgestrahlt wurde. Exakt vier Sekunden dauerten sie und waren jedem Hörer des NDR, so auch dem Verfasser dieses Textes, bestens vertraut. 1949 erhielt Girnatis den Entnazifizierungsschein und wurde im gleichen Jahr Mitglied im Berufsverband deutscher Komponisten. In seine bis 1966 andauernde Zeit in Hamburg fällt auch die Komposition der Sonatine für Altsaxophon und Klavier (1962). Der Anlass für die Entstehung ist unklar, es gibt weder Widmung noch Einführungstext oder autobiographische Notizen hierzu. Drei kurzweilige und unterhaltsame Preziosen formen dieses Werk; drei Sätze von unbeschwerter Leichtigkeit, betörendem Charme und intelligentem Witz. Dem Grave-Allegro wohnt eine Perspektive inne, die sich nach einem pathetischen Einleitungsmotiv augenblicklich etabliert und selbst in lyrischen Passagen nicht abhanden kommt. Das Einleitungsmotiv webt Girnatis immer wieder in beide Instrumente ein, es verliert jedoch seine Schwere und verwandelt sich in ein vorausschauendes Element, das erst im Schlusstakt zu seinem ursprünglichen Charakter zurückfindet. Die Arietta entzückt mit ihrer punktierten 6/8-Gestalt, die auf einen geschmeidigen und maßvoll entfachten dynamischen Höhepunkt zusteuert. Im Rondino kommt der Sonatinen-Charakter in besonderem Maße zum Ausdruck, da sich Girnatis hier einer einfachen, aber wirkungsvollen Form bedient. Geschickt variiert oder verdichtet er von Mal zu Mal die schlichte Motivik und nutzt – in bestens geeigneter Instrumentenlage – die Slap-Tongue des Saxophons. Das zielsicher angesteuerte Presto beschließt dieses in wohldosierten Maßen komponierte Gelegenheitswerk. Dass es vermutlich ein solches gewesen ist, lässt die Abwesenheit des Saxophons in anderen Kompositionen erkennen. Walter Girnatis übersiedelte 1966 nach Baden-Württemberg und komponierte nur noch vereinzelt. Gegen Ende seines Lebens zog er zu seiner Tochter nach Olching nordwestlich von München, wo er 1981 starb.

Einen Höhepunkt in der vorliegenden Sammlung von Werken für Altsaxophon und Klavier aus den 1950er und 1960er Jahren bildet die 1957 entstandene Sonate op. 74A von Günter Raphael. 1903 in Berlin geboren, eignete sich Raphael bereits als Kind und Jugendlicher in der musikgeprägten Atmosphäre einer evangelischen Kantorenfamilie fundierte Kenntnisse der klassischen und humanistischen Literatur sowie der Musik an. Sein Großvater mütterlicherseits, der bedeutende Komponist und Kirchenmusiker Albert Becker, war u. a. Lehrer von seinem Vater Georg Raphael und Jean Sibelius. Auch Kaiser Wilhelm I. gab er Unterricht und war Mitglied der Königliche Akademie der Künste. Günter Raphael studierte zunächst an der Musikhochschule Berlin u.a. bei Robert Kahn. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Begabung erhielt er im Alter von 19 Jahren ein Stipendium der Robert-Schumann-Stiftung in Leipzig und wurde von Thomaskantor Karl Straube, der mit Georg Raphael befreundet war, nachhaltig gefördert. Straube vermittelte 1925 Privatunterricht bei Arnold Mendelssohn in Darmstadt. 1926 gelangte seine 1. Sinfonie durch Wilhelm Furtwängler mit dem Leipziger Gewandhausorchester zur Uraufführung; im gleichen Jahr wurde er, 23jährig, Dozent für Musiktheorie und Komposition am Landeskonservatorium für Musik in Leipzig. Raphaels glänzende Karriere währte bis 1934, als die Nationalsozialisten ihn als "Halbjuden" einstuften und ihm Berufs- und Aufführungsverbot erteilten. Es ist erstaunlich, dass er in Meiningen mit seiner Familie die darauffolgende schwere Zeit überleben konnte, zumal er an einer Tuberkulose erkrankte, welche mehrere Krankenhaus-, Sanatoriumaufenthalte und Operationen nach sich zog. Sein Leben war durch drohende Verhaftungen der SS ständig in Gefahr, besonders nach den Entscheidungen der Wannseekonferenz 1941. Da seine Ärzte ihn für transportunfähig erklärten, konnte er diesem Schicksal bis zum Kriegsende entgehen. Trotz schwierigster Umstände blieb Raphael auch in dieser von ihm selbst als "stumme Periode" bezeichneten Schaffensphase ein äußerst produktiver und unbeirrbarer Komponist. Direkt nach dem Krieg konnte er an seine frühen Erfolge als Komponist nur schwer anknüpfen, zu lange war er aus dem Musikleben verbannt. 1949 erhielt er wieder eine Stellung, vier Jahre lehrte er am Duisburger Konservatorium, ab 1957 war er Professor in Köln. Bei seinen Studenten war er als brillanter und geistreich-humorvoller Lehrer beliebt. Dosierten Witz trug er zuweilen auch in seine Musik; das 1951 entstandene hochvirtuose Concertino op. 71 für Altsaxophon und kleines Orchester, ein Meilenstein der Solokonzert-Literatur für Saxophon, ist hierfür ein gutes Beispiel. Auffällig in Raphaels Schaffen ist ein Wechsel bei der Instrumentenwahl: 1948 und 1950 verwendete er die Klarinette zum letzten Mal kammermusikalisch. In diesen Werken (op. 65/3 und op. 70) wird ihr das romantische Idiom bedächtig genommen und ein Kolorit anvertraut, das sich in den Saxophon-Werken ab 1951 fortsetzt. In einer Werkgruppe mit der Sonate für Saxophon und Cello von 1952 entstand die Sonate op. 74A für Altsaxophon und Klavier, die er dem Bumcke-Schüler Emil Manz widmete. (Weitere Werke für Saxophon eignete er Jules de Vries zu). Er tat dies vermutlich aufgrund der großartigen Interpretation des Saxophonkonzerts durch Emil Manz, der das Werk mit dem Dirigenten Wolfgang Sawallisch für den WDR produzierte. Manz starb überraschend im Entstehungsjahr der Sonate (1957) im Alter von 51 Jahren. Raphael fügte daraufhin in tiefer Verehrung für Manz den Zusatz "in memoriam" in das Manuskript ein. Günter Raphael schuf mit der Saxophonsonate einen empfindsamen und bewegenden Einblick in sein Seelenleben. Im beständigen Kampf gegen seine Krankheit bis zu seinem Tod 1960 war ihm die Endlichkeit der menschlichen Existenz fortwährend bewusst. Einem Subtext gleich übermittelt Raphael Empfindungen emphatischer Qualität – er entlarvt im Con moto die Entschlossenheit des Schicksals, bekennt im Vivace die Getriebenheit des Rastlosen, unterbrochen von einem inne haltenden, reflektierenden, letztlich alles verwerfenden Selbstgespräch, lässt im Allegro molto energico keinen Zweifel an der Grausamkeit des Unausweichlichen. Schonungslos ist diese Tonsprache, von bestechender Klarheit und unbedingter Wahrhaftigkeit.

Frank Lunte

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