EDA 6: Boris Blacher: The String Quartets
V: String Quartet no. 5 "Variations" (1967) Please select a title to play
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I: String Quartet no. 1 (1930)
II: String Quartet no. 2 (1940) 4 Andante – Allegro
EDA 6: Boris Blacher: The String Quartets
III: String Quartet no. 3 (1944)II: String Quartet no. 2 (1940) 4 Andante – Allegro 9 Allegro molto
EDA 6: Boris Blacher: The String Quartets
IV: String Quartet no. 4 "Epitaph" (1951)III: String Quartet no. 3 (1944) 9 Allegro molto 11 Epitaph. Zum Gedächtnis von Franz Kafka
EDA 6: Boris Blacher: The String Quartets
V: String Quartet no. 5 "Variations" (1967)IV: String Quartet no. 4 "Epitaph" (1951) 11 Epitaph. Zum Gedächtnis von Franz Kafka 12 Variationen über einen divergierenden c-Moll-Dreiklang
EDA 6: Boris Blacher: The String Quartets
V: String Quartet no. 5 "Variations" (1967) 12 Variationen über einen divergierenden c-Moll-Dreiklang
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An seinem Grab wurde Quartettmusik gespielt. Noch kurz vor seinem Tod hatte Boris Blacher daran gearbeitet. Das Stück ist Fragment geblieben, und mit Sicherheit war es nicht für den Aufführungsort bestimmt. Hätte Blacher, der immer einen spöttisch-humorvollen Spruch auf der Zunge hatte, seine eigene Grablegung kommentieren dürfen, vermutlich hätte er gesagt: "Muß es denn unbedingt Streichquartett sein, meine Jazz-Poems würden es doch auch tun." Das Würdevolle und Tragische war seine Sache nicht. Wann immer der große schlaksige Wahl-Berliner mit dem schmalen Gesicht, der lieber in ausgebeulten Hosen und Pullovern herumlief als in schwarzen Anzügen, zum Notenpapier griff, ist Musik der leichtfüßigen und heiteren Art entstanden. Aus knappen Formulierungen konnte er Funken sprühen lassen. Seine Handschrift ist unverwechselbar: musikalische Eleganz gleich vom ersten Takt an. Kammermusik, vornehmlich in ihrer nobelsten Form, dem Streichquartett, ist für viele Komponisten noch immer ein Prüfstein, eine Art Hygiene des Komponierens. Der vierstimmige Satz soll anspornen zur Konzentration, zur Durchsichtigkeit und Ökonomie der Mittel. Blacher allerdings hat sich diese Übung zur Selbstbeschränkung nie in besonderer Weise auferlegen müssen. Sein gesamtes Werk, vom Orchesterstück bis zur abendfüllenden Oper, atmet kammermusikalischen Geist. Trotzdem sind es gerade die Streichquartette, die seine Originalität in lupenreiner Klarheit vor Augen führen. Blacher schrieb sein 1. Streichquartett im Jahre 1930. Es steht am Ende eines turbulenten Jahrzehnts, das ihn für sein Leben prägte. Als 19jähriger kam er 1922 nach Berlin, im Kopf alle guten Vorsätze, die ihm sein Vater, ein russischer Bankdirektor, mit auf den Weg gegeben hatte. Blacher studierte zunächst Architektur und Mathematik, versuchte seinem Leben eine solide Grundlage zu geben. Der Vater nahm es mit Genugtuung zur Kenntnis und honorierte es mit einem monatlichen Wechsel. Aber schon bald erlag Blacher den künstlerischen Verlockungen der Großstadt. Er verschlang alles, was das Berlin der zwanziger Jahre zu bieten hatte: Kino, Jazz, Tanz, Oper, Kabarett. Den musikalisch-frechen Ton dieser Jahre lernte er weniger am Konservatorium, das er nun ab und an besuchte, sondern vielmehr in den Bars, Tanzpalästen und Kinos der Stadt. Er arrangierte Tanz- und Unterhaltungsmusik, instrumentierte fremde Kompositionen und begleitete Stummfilme auf dem Harmonium: eine phänomenale Schule des Alltags, wie Blacher Jahre später bekannte. Die Musik dieser Jahre hatte endlich ihr weihevolles Refugium verlassen und sich in den Dienst neuer Formen der städtischen Kultur gestellt. Gebrauchsmusik statt Weltanschauungsmusik, das war auch Blachers Devise. Und selbst die Kammermusik, diese ehrwürdig-esoterische Gattung absoluter Musik, wurde sachlich und rasend schnell im Rhythmus der Maschinen. Von dem frischen Wind, den Komponisten wie Hindemith oder Weill in die Konzert- und Opernhallen brachten, ließ sich auch Blacher anwehen. Dieser Zeitgeschmack kam ihm, der auch in der Musik kühles Understatement pflegte und ein beträchtliches Maß an ironischer Distanz entwickeln konnte, gerade recht. In seiner mit Jazz- und Tangorhythmen gespickten Kammeroper Habemeajaja (1928) oder in den frechen Jazz-Koloraturen (1929) ist der musikalische Zeitgeschmack dieser Jahre ebenso eingefangen wie in dem gleichwohl noch traditionellen 1. Streichquartett. Es sind typische Produkte der Zwanziger, entstanden vor dem Hintergrund eines Hexenkessels aus frivolem Amüsement, stempelnden Arbeitslosen, fallenden Aktienkursen und steigender Inflation. Um ein Haar wäre das Stück dann auch in den Wirren der Zeit untergegangen. Es galt fast vier Jahrzehnte als verschollen, bis sich Anfang der 70er Jahre im Nachlass eines Notenschreibers Blachers eigene Handschrift der Stimmen fand. Der Kopist hatte zu Beginn der 30er Jahre vom Berliner Verleger Benno Balan, bei dem das Werk ursprünglich erscheinen sollte, den Auftrag bekommen, nach dem Autograph Vorlagen für die Druckausgabe herzustellen. Als er die Arbeit beendet hatte, war Benno Balan nicht mehr da; er war Jude, hatte die Zeichen der Zeit erkannt und war emigriert. Offensichtlich wusste der Mann nicht, was er mit den fertigen Stimmen anfangen sollte, und so blieb das Konvolut – vermutlich längst vergessen – bis zum Tod in seinem Besitz. (Eine veränderte, viersätzige Fassung, die 1939 in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde, ging während des Krieges offenbar verloren). Blacher leitet sein 1. Quartett sehr selbstbewusst ein mit einem forschen Triolen-Motiv, aus dem sich zweite Violine und Bratsche mit jeweils ausdrucksvollen Melodiebögen lösen. Tremolierende Effekte, Chromatik, starke Temposchwankungen, jazztypische Episoden: Das etwa zwölfminütige Stück trumpft bei aller akademischen Konstruktion und Traditionalität bereits mit frechen Gesten auf. Zehn Jahre später komponiert Blacher das 2. Streichquartett. Noch immer ist Berlin der inspiratorische Quell seines Schaffens. Aber die Zeiten haben sich gründlich geändert. Die Bedrückung ist allerorten spürbar, Schwulst und Pathos bestimmen die künstlerischen Maßstäbe. Zuweilen aber herrscht im Konzertsaal noch ein untrügliches Gespür für Qualität. Blacher erfährt dies, als 1937 seine Concertante Musik vom Berliner Philharmonischen Orchester uraufgeführt wird. Die verfemten Jazz-Synkopen lassen aufhorchen, und die Begeisterung ist derartig, dass das Stück sogleich wiederholt werden muss. Hellhörig ob so viel spielerischer Eleganz werden allerdings auch die Wachhunde einer nationalsozialistischen Musikästhetik, die Blacher und seiner Musik "rassefremde Merkmale" ankreiden. Blacher ist zunehmenden Anfeindungen ausgesetzt, kommt aber einigermaßen glimpflich davon. Das lag wohl auch daran, dass er erst relativ spät als sogenannter "Vierteljude" eingestuft wurde. In der ersten Ausgabe des "Lexikon der Juden in der Musik" von 1941 ist Blacher noch unerwähnt. Erst in der zweiten, 1943 erschienenen Auflage heißt es dann: "Unter den lebenden Vierteljuden, die versehentlich des öfteren auch bei Veranstaltungen von Parteigliederungen aufgeführt wurden, sind Boris Blacher und Heinz Kaminski die wichtigsten." Die vielen kleinen Goebbels und Rosenbergs hatten ganze Arbeit geleistet; sie hatten sogar das Taufregister der Blachers im fernen Estland studiert. Blacher schrieb sein 2. Streichquartett 1940, ein Kompositionsauftrag für die Biennale in Venedig, wo es ein Jahr später auch uraufgeführt wurde. Das Quartett gibt sich kompromisslos modern, verspottet und sabotiert geradezu auf freche Art den neu verordneten Ton in der deutschen Musik. Der gefühlvoll eingeleitete Andante-Satz mit seinen kammermusikalisch typischen Motiv-Gängen durch alle Instrumente entwickelt sich unter ständigem Taktwechsel und abrupten Dynamikänderungen zu einem fulminanten Feuerwerk mit einem harten Fortissimo-Schlag, der dann schnell wieder abkühlt und in die Pianissimo-Ausgangslage zurückkehrt. Der anschließende Sostenuto-Satz ist gekennzeichnet durch ein federndes Klangfeld repetierender Töne, auf dem die erste Geige in schwindelnde Höhen treibt. 1944, im zerbombten Berlin, entsteht das 3. Streichquartett. Den erdrückenden Umständen weiß der staatenlose Blacher durch kompositorische Arbeit zu trotzen, aber auch durch privates Glück: Er lernt die junge Pianistin Gerty Herzog kennen, die er ein Jahr später heiratet und für die er fortan drei Klavierkonzerte und etliche Klavierstücke schreibt. Gemeinsam lauscht man in jenen Tagen der BBC und Radio Moskau, um zu hören, wie lange man noch ausharren muss; man trinkt billigen Fusel in kalten Bombennächten und schmiedet Pläne für "die Zeit danach". Mit seinem Schüler, dem Österreicher Gottfried von Einem, ist Blacher sich einig: mit der großen Oper und dem Konzert würde es in den Trümmerwüsten wohl ein für allemal vorbei sein. Also gelte es, Kammermusik und Kammeropern zu schreiben. Das 3. Streichquartett verdankt sich auch solchen spekulativen Überlegungen. Zunächst für die Schublade geschrieben, wurde es 1947 im Haus am Waldsee in Berlin uraufgeführt. Das Quartett wird eröffnet mit einem Presto im 5/4-Takt. Virtuose Passagen werden immer wieder in den rhythmisch-ostinaten Gleichlauf der Instrumente geführt. Das folgende Andantino besticht durch cantable Linienführung der Geigen, bevor im folgenden Allegro wiederum einmal der Jazz-Enthusiast Blacher auf den Plan tritt. Gleich zu Beginn legt der boogie-ähnliche "Walking-Bass" mit seinen Achtelgängen unzweideutig das Idiom fest, in dem sich dieser Satz nun bewegt. Irritierende Taktwechsel, zeitweilig sich überlagernde, unterschiedliche Rhythmen in den einzelnen Instrumenten, dann wieder - nach synkopisch orientierten Episoden - die plötzliche Akzentuierung der Takteins - das alles weist Blacher als einen stilsicheren Wanderer zwischen musikalischen Welten aus, der es versteht, mitreißend-klangliche Höhepunkte zu setzen. Erst nachdem sich dieser 3. Satz mit seinen dynamisch gesteigerten Schlägen verabschiedet, lässt ein kurzes Larghetto mit einem zart verhauchenden "morendo" das 3. Streichquartett auspendeln. 1945: keine "Stunde Null" der Musik, für Blacher aber doch eine Zäsur, der Beginn seiner eigentlichen Kariere. In den musikalischen Kreisen Berlins wird er schnell zur Integrationsfigur, zum Grenzgänger zwischen Ost und West ohne ideologische Scheuklappen. Das Berührungsverbot, das ihm die Stadtoberen hier und da gerne auferlegt hätten, nimmt er erst gar nicht ernst. So zählen im Ostteil wirkende Musiker wie Rudolf Wagner-Régeny, den er schon seit den zwanziger Jahren kennt, oder Paul Dessau ganz selbstverständlich zu seinen Freunden. Brecht besucht ihn in seiner Zehlendorfer Wohnung, sie diskutieren über die Zukunft der Oper und mögliche Formen der Zusammenarbeit. Zu einem gemeinsamen Opernprojekt mit Brecht ist es nie gekommen. Mit verschiedenen Liedvertonungen und Bearbeitungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit erweist Blacher aber dem im Ostteil der Stadt lebenden Brecht seine Reverenz. Blacher wird die zentrale Musikerpersönlichkeit im Nachkriegsberlin. Die Geschichte der Neuen Musik im Westteil der Stadt schreibt er zeitweilig ganz allein. Daneben bestimmt er maßgeblich die Musikausbildung: als Direktor der Hochschule für Musik (1953–1970), als Präsident der Berliner Akademie der Künste (1968–1971). Die Liste seiner Schüler enthält klangvolle Namen: Claude Ballif, Gottfried von Einem, Maki Ishii, Rudolf Kelterborn, Giselher Klebe, Günter Kochan, Isang Yun, Aribert Reimann, um nur die wichtigsten zu nennen. Weder bei seinen alltäglichen Verpflichtungen noch in der Musik ist Blacher ein Mann der vielen Worte. Keine sechs Minuten dauert das 4. Streichquartett aus dem Jahre 1951. Seine Teile, Adagio – Allegro molto – Moderato, fließen unmittelbar ineinander. Das Werk trägt die Überschrift "Epitaph" und ist komponiert zum Gedächtnis von Franz Kafka. Kleingliedrige Motivik, ostinate Wendungen, expressive, mit wildem Bogenstrich vorgetragene Gedankensplitter: nicht pietätvoll, eher provozierend gibt sich diese musikalische Grabschrift. Das Stück steht am Anfang eines Jahrzehnts, das Kafka zunehmend in das Zentrum künstlerischer Auseinandersetzungen rückte. Die Verstrickungen in undurchschaubare Machtstrukturen fühlten Menschen in Ost und West. Ein Jahr später übrigens beschäftigte sich Blacher erneut mit Kafka, diesmal als Librettist und Bearbeiter des Romans Der Prozess für die Oper seines ehemaligen Kompositionsschülers Gottfried von Einem. Das 5. Streichquartett aus dem Jahre 1967 trägt die Bezeichnung "Variationen über einen divergierenden c-Moll-Dreiklang". Ein eigenartiger Titel, fast schon ein wenig maniriert und dennoch ein echter Blacher. Denn Blacher schätzte musikalisch-handwerkliche Arbeit im Sinne der Variationskunst. Seine berühmt gewordenen Paganini-Variationen, seine Clementi- oder Tchaikovsky-Zyklen weisen ihn als einen musikalischen Jongleur und Verwandlungskünstler aus, der fremdes Material auf schöpferische Art neu zu gestalten wusste. Diesmal ist es kein Thema aus fremder Komponistenhand, sondern kompositorisches Rohmaterial: der c-Moll-Dreiklang. Blachers handwerkliche Meisterschaft zeigt sich einmal mehr darin, wie er diesen Akkord nach allen Regeln der Kunst seziert und daraus wieder ein fesselndes Stück Musik entstehen lässt. Bereits der Anfang, reines c-Moll, wird instrumentaltechnisch verfremdet. Die Streicher spielen "sul ponticello", streichen die Saiten sehr nahe am Steg. In den folgenden vierzehn Variationen divergiert der Akkord, strebt auseinander, bleibt aber in allen Verkleidungen kenntlich. Die Entscheidung am Anfang, so sagte Blacher einmal, ist immer die schwerste, der Rest sei vollkommen mechanisch. Technisch greift Blacher auf die Variationskunst zurück: er umspielt, fügt hinzu, imitiert, forciert. Mikrokosmisch tönen ganze Welten konzentrierten Ausdrucks. Rasende Unisonoführungen, Flageolett- und Glissandoeffekte sowie breites Legato-Spiel über ostinaten Notenketten fügen dem etwa siebzehnminütigen Werk instrumentaltechnische Tupfer hinzu, bevor am Ende das c-Moll in erweiterter Form wiederkehrt: ein fulminantes und einzigartiges Werk der Quartettliteratur, das höchste Anforderungen an die Instrumentalisten stellt und voller Überraschungen für den Hörer ist. Das 5. Streichquartett gibt aber noch etwas preis: den Komponisten der "variablen Metren". Blacher hat dieses Verfahren der Vergrößerung und Verkleinerung von Taktinhalten nach vorher festgelegten Zahlenkombinationen Anfang der fünfziger Jahre entwickelt. Er nimmt damit teil an den vielfältigen Bemühungen von Komponisten dieser Jahre, Musik gleichermaßen nach mathematischen Gesichtspunkten zu ordnen. Aber er operiert – anders als beispielsweise die seriellen Komponisten – nicht mit starren Ordnungsprinzipien, sondern sucht für jede Komposition nach jeweils eigenen Modellen. Den ersten Takt seines 5. Streichquartetts füllt Blacher mit einer einzigen Note des Violoncellos: das Allegretto gezündet, sein innerer Motor läuft; dann langsame Forcierung des Tempos: drei, fünf, sieben Noten, der Satz setzt sich in Bewegung. Nochmalige Zurücknahme, schließlich rasante Beschleunigung auf 16 Noten pro Takt. Der Geschwindigkeitsverlauf der Musik lässt sich exakt in Zahlenreihen übertragen. Aber es ist gut zu wissen, dass sich Blachers Musik gänzlich auch ohne Kenntnis davon unmittelbar dem Ohr mitteilt. Aus der Zahlenspielerei ist bei Blacher immer noch sinnlich-lebendige Musik geworden. Martin Willenbrink
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